Alfred „Ali“ Flohr zum 90. Geburtstag – Mitbegründer des neuen Sportjournalismus in Deutschland

Verein Hamburger Sportjournalisten (VHS)

26.02.2017 Dieser Mann ist ein Phänomen im deutschen Journalismus. Warum? Er machte eine wunderbare Karriere auf zwei Wegen. Wege, die journalistisch weit voneinander entfernt waren. Wir sprechen von Alfred Flohr, den alle nur „Ali“ nannten. Am 26. Februar wird er 90 Jahre alt.
Autor: Jürgen Eilers und Günter Schiefelbein
Die erste Station des geborenen Hamburgers (er holte kurz nach dem Krieg sein Abitur nach) war der damalige Hamburger Sport- und Jugend-Verlag – von 1948 bis 1953 Redakteur beim Wochenblatt Der Sport und Mitarbeiter bei der Tageszeitung Hamburger Freie Presse, später Hamburger Anzeiger.
 
... aber es begab sich zu der Zeit, dass Axel Springer persönlich an seinem großen journalistischen Kind bastelte, der Bild-Zeitung. Viele Fotos. Wenig Text. Noch weniger Sport. Für den Dummy, der gebastelten Bild, rief man auch diesen Ali Flohr. Er durfte drei Meldungen schreiben. Das war’s (Flohr-Foto: privat).
 
Okay, aber man vergaß ihn nicht. Bild startete am 24. Juni 1952 – auflagenmäßig holprig. Doch es ging – Axel Springer kämpfte darum – weiter. Und nach oben. Ein knappes Jahr später, am 1. April 1953 – „Kein Scherz“, sagt Ali noch heute – holte man Flohr zu Bild. Dort war er erst der zweite Redakteur im Sport. Vier Jahre später, 1957, aber Nummer 1, der dritte Sportchef von Bild.
 
Bei Bild die große Sportwelt: 1954 Leichtathletik-EM in Bern, 1958 Fußball-WM in Schweden. Flohrs journalistischer Coup: Nach dem Finale schaffte er es bis in die Kabine der siegreichen Brasilianer (5:2 gegen Schweden) und berichtete über Pelé und Torhüter Gilmar.
 
Dann die Zäsur im Fußball. Und zugleich im Sportjournalismus. Im August 1963 bekam Deutschland etwas total Neues: eine einheitliche erste Liga, die Bundesliga. Auch für den Journalismus begann ein neues Zeitalter. Für alle Zeitungen. Aber Bild voran. Und wer war Bild? Ali Flohr. Sein Job: Vergrößerung der Redaktion. In jedem Bundesliga-Stadion Platztelefon. In der Zentrale Aufstockung der Telefon-Aufnahme für die Spielberichte.

Weg von der 1:0-Berichterstattung, hin zum Hintergrund
 
Das alles kannte man vorher nicht. Aber vor allem: Veränderung des Journalismus. Weg von der 1:0-Berichterstattung (die gab es nur noch im aktuellen Spielbericht in der Bild am Sonntag). Hin zum Hintergrund: Warum wurde es 1:0? Was war nach dem 1:0? Was wird nach dem 1:0? Ali Flohr – ein Mitbegründer und Wegbegleiter des neuen Sportjournalismus in Deutschland.
 
Schluss mit Sport. 1965. Ali Flohr nennt es heute ein „gutes Schicksal“. Sein ehemaliger BamS-Chefredakteur Hans Bluhm rief ihn an und bat: „Ali, du musst zu mir kommen und mir helfen, hier versteht mich keiner.“
 
Bluhm war seit einem Jahr Chefredakteur der größten deutschen Programmzeitschrift Hörzu. Ali sagte ja. Ab Dezember 1965 stellvertretender Chefredakteur. Und genau hier beginnt der zweite journalistische Weg des Ali Flohr. Weit weg vom Sport. Mitten im Fernsehen. Mitten in der erfolgreichsten deutschen TV-Zeitschrift.

Zuständig für rund 150 Mitarbeiter und zweistellige Millionenetats
 
Jetzt zuständig für Organisation und Personal. Aber er kannte ja das Geschäft. Zuständig für rund 150 Mitarbeiter und zweistellige Millionenetats. Zuständig für Verbindungen zwischen Redaktion, Verlag, Vertrieb und Anzeigen. Jede Woche die Struktur für das kommende Heft. Mit einem Umfang von bis zu 200 Seiten.
 
Aber – und nun kommt wieder der Journalismus: Zuständig auch für die „Goldene Kamera“. Sein Chefredakteur Hans Bluhm: „Eine Zeitschrift für das Fernsehen mit einer Auflage von fast vier Millionen Exemplaren muss Auszeichnungen an die Fernsehschaffenden vergeben.“ Der erste deutsche Fernsehpreis. Zum ersten Mal am 25. Januar 1966 im Hamburger Hotel „Vier Jahreszeiten“ verliehen.
 
Kleine Anekdote: Verleger Axel Springer betrat den Festsaal erst, als ihm versichert wurde, dass tatsächlich alle angekündigten Preisträger wie Inge Meysel, Hans-Joachim Kulenkampff, Caterina Valente, Wim Thoelke, Harry Valérien und weitere erschienen waren. Ali Flohr hatte alles organisiert, das tat er auch in den nächsten 20 Jahren.

Reisen mit seiner Frau Lieselotte, Ballett-Besuche und Jazz hören
 
Das Ende des zweiten journalistischen Weges. Beide Wege waren so wunderbar erfolgreich. Im März 1987 beendete Ali seine großartige und überaus erfolgreiche Laufbahn im Journalismus, ging in den vorzeitigen Ruhestand und hatte jetzt endlich mehr Zeit für die Familie – am liebsten Reisen mit seiner Frau Lieselotte, Ballett-Besuche (Ali kannte den Goldene-Kamera-Preisträger John Neumeier gut) und Jazz hören.
 
Der Swing war seit den späten 1940er-Jahren seine Leidenschaft gewesen, die er jetzt auch sportlich umsetzte – als Turniertänzer mit seiner Frau. Als dann auch noch Enkel hinzukamen, konnte Ali ein weiteres, längst verschüttet geglaubtes Talent auspacken: Er malte und zeichnete für die Kinder, was das Zeug hielt. Seine Werke füllen heute ganze Schränke.
 
Inzwischen lebt er gut behütet und versorgt im Hamburger Alsterdomizil und freut sich jeden Tag über den Blick auf das Wellingsbütteler Torhaus. Wir wünschen alles Gute!