„Im Datenjournalismus sehe ich positive Entwicklungen“

Interview mit Medienwissenschaftlerin Wiebke Loosen – Teil III

29.01.2017 Die Medienbranche steckt stark unter Druck. Für die Hamburger Kommunikationswissenschaftlerin Dr. Wiebke Loosen gibt es aber auch Anlass, optimistisch zu sein.
 
Im ersten Teil des dreiteiligen Interviews mit Dr. Wiebke Loosen ging es um die vielfältige Nutzung von Social Media. Der zweite Teil widmete sich dem „Kampfbegriff Lügenpresse“. Seit April 2010 ist die Privatdozentin Wissenschaftliche Referentin im Hamburger Hans-Bredow-Institut für Medienforschung an der Universität Hamburg. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Journalismusforschung, Online-Kommunikation und Methoden der empirischen Kommunikationsforschung. Zudem ist Loosen Mitglied im Kuratorium der Akademie für Publizistik sowie Mitherausgeberin der Reihe „Aktuell – Studien zum Journalismus“. Eines ihrer Projekte trägt den Titel „Die (Wieder-)Entdeckung des Publikums“, für das sie Fallstudien in vier Redaktionen (ARD-Tagesschau, ARD Polittalk, Süddeutsche Zeitung und Der Freitag) durchgeführt hat.

sportjournalist: Frau Dr. Loosen, die Medienwelt wandelt sich sehr stark. Es ist vermehrt vom Begriff der „Disruption“ die Rede. Etwas Vertrautes bricht weg und kommt nicht wieder. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

Loosen (Foto: Hans-Bredow-Institut): Wir erleben eine Erschütterung unserer Realitätsgewissheit. Diese gesellschaftliche Entwicklung trifft auf eine weltpolitische Lage, bei der wir allen Grund haben, irritiert und verunsichert zu sein. Es gibt keine einfachen Lösungen dieser Probleme, man muss das ein Stück weit aushalten. Bei einigen Menschen führt das dazu, dass denen der Nachrichtenfluss zu viel wird. Diese sagen: Ich wende mich ab von diesem Aktualitätshype.

sj: Ziehen sich nicht auch Medienhäuser zurück? Statt kritisch zu recherchieren und Themen zu setzen, orientieren sie sich sehr häufig an dem, was gut läuft. Gewissermaßen Normprodukte aus der Fabrik für suchmaschinenoptimierte Inhalte.

Loosen: Durch die extrem gestiegenen Möglichkeiten der Publikumsbeobachtung ist natürlich die Versuchung sehr groß, das Angebot daran anzupassen. Aber auch da gibt es viele Diskussionen in den Redaktionen.

sj: Worüber wird diskutiert?

Loosen: Zum Beispiel darüber, was viel geklickt wird und sich schnell verbreitet, dass aber die Leute nicht lange auf der Seite bleiben oder gar nicht wiederkommen. Die eine Redaktion entscheidet dann, dass Clickbaiting, also das Ködern mit reißerischen Überschriften, der richtige Weg ist, weil sie so Werbeeinnahmen erzielen; eine andere Redaktion hat ein nachhaltigeres Konzept. Die brauchen kein Massenpublikum, sondern wollen eine kleinere Zielgruppe haben, die regelmäßig auf die Seite kommt und eventuell zu Abonnenten gemacht werden kann. Es gibt die Tendenz zur Nische, zu kleineren Segmenten und themenspezifischen Angeboten jenseits der etablierten Massenmedien. Kleine journalistische Startups entstehen.

sj: Wo sehen Sie noch positive Entwicklungen?

Loosen: Im Datenjournalismus. Die Gesellschaft insgesamt ist zunehmend datengetrieben. Der Sport ist ein Bereich, in dem routinemäßig viele Daten anfallen. Hier und in der Wirtschaft werden ja auch Inhalte automatisiert erstellt, Stichwort Roboterjournalismus. Das, was wir Datenjournalismus nennen, ist eine Folgeerscheinung und quasi die Antwort des Journalismus auf die Datengesellschaft.

sj: Haben Sie ein Beispiel für gelungenen Datenjournalismus?

Loosen: Nehmen Sie die Panama Papers. Da war es wegen der Riesenmengen an Daten erforderlich, dass sehr viele Journalisten und Organisationen mit ganz unterschiedlichem Know-how zusammenarbeiteten. Das ist schon etwas, wo viele Leser verstanden haben, was Datenjournalismus leistet. Nirgendwo kann Journalismus klarer zeigen, wozu er gut ist, als im investigativen Journalismus. Kritik und Kontrolle.

sj: Kann das auch Facebook leisten?

Loosen: Wir müssen sehen, dass Facebook ein Player in dem Markt geworden ist, der bis dato überwiegend journalistischen Organisationen vorbehalten gewesen ist. Das Unternehmen selektiert Inhalte für seine User und definiert so Relevanz – das sind ureigene journalistische Aufgaben. Das Handeln insgesamt ist aber dennoch nur journalismusähnlich. Denn Facebook möchte keine journalistische Organisation sein, weil es nicht die Pflichten haben will, die daran hängen.

sj: Wird Facebook die klassischen Medien verdrängen?

Loosen: Das glaube ich nicht. Der Anteil derjenigen, die Nachrichten ausschließlich über soziale Netzwerke beziehen, ist verschwindend gering. Auch junge Leute stellen sich ihr Medienportfolio selbst zusammen. Zu diesem gehören in den allermeisten Fällen noch immer auch klassische Medien.

Mit Dr. Wiebke Loosen sprach Clemens Gerlach

Dieser Artikel stammt aus der Ausgabe Dezember 2016 des sportjournalist, die direkt beim Meyer & Meyer Verlag bestellt werden kann. Mitglieder des VDS können sich das Heft als PDF im Mitgliederbereich kostenlos herunterladen.