Umsteiger Jörn Wolf – „Eine Form von atmosphärischem Management“

Serie „Einsteiger, Aussteiger, Umsteiger“

16.02.2017 Beim HSV war er viele Jahre Mediendirektor, in Leverkusen arbeitet er im Trainerteam. Mit dem sportjournalist sprach Jörn Wolf über seinen neuen Job, alte Verbundenheit und die Gründe für seinen Abschied aus Hamburg.
 
14 Jahre lang war Jörn Wolf beim Hamburger SV, zuletzt als Mediendirektor. Inzwischen arbeitet der 40-Jährige, der beim Sport Mikrofon volontierte und später als Redakteur für die Hamburger Morgenpost tätig war, im Trainerteam des Fußball-Bundesligisten Bayer 04 Leverkusen.

sportjournalist: Jörn Wolf, Ihre Jobbezeichnung ist neu in der Bundesliga. Was macht ein „Koordinator Trainer- und Funktionsteam“?

Jörn Wolf: Hauptsächlich geht es darum, dem Trainer mehr Zeit zu verschaffen, um sich noch intensiver mit seiner Mannschaft auseinanderzusetzen. Jeden Morgen habe ich einen langen Austausch mit Roger Schmidt (Foto: KSmediaNET). Ich probiere, die Kommunikation untereinander zu optimieren, die Integration von jüngeren Spielern und Mitarbeitern zu begleiten sowie gemeinsam mit dem Trainerteam deren Arbeit und Auftreten zu reflektieren.

sj: Ist ein Bundesligatrainer so beschäftigt, dass er diese Unterstützung benötigt?
 
Wolf: Ich bin überzeugt, dass Trainer bei der immer größer werdenden Gesamtkomplexität ihres Jobs Leute an ihrer Seite brauchen, die sie unterstützen, ihnen zuarbeiten, sie aber auch jeden Tag herausfordern und ihnen Sparringspartner sind. Für den Cheftrainer allein ist es nicht mehr möglich, den Bedürfnissen aller gerecht zu werden.

sj: Haben Sie ein konkretes Beispiel?
 
Wolf: Du hast als Trainer 25 Spieler, mit denen du dich auseinandersetzen musst. Aber fast genauso viele Leute arbeiten bei einem Verein wie Bayer Leverkusen um die Mannschaft herum – Ärzte, Physiotherapeuten, Zeugwarte, Köche, Teammanager oder Busfahrer. So eine Mannschaft muss auch funktionieren, jeder einzelne will gehört und gesehen werden. Jemand muss sich kümmern. Das mache ich. Das ist eine Form von atmosphärischem Management.
 
sj: Bayer 04 gilt als Retortenklub, der HSV hat jede Menge Tradition. Haben Sie schon Unterschiede feststellen können?
 
Wolf: Der für mich spürbarste Unterschied ist, dass in Leverkusen 95 Prozent aller Gespräche über Fußball geführt werden. Wie man die gesamten Abläufe verbessern und das gemeinsam schaffen kann. Der HSV verliert leider zu viel Kraft bei Kämpfen auf Nebenkriegsschauplätzen. Es arbeiten viele tolle Menschen in diesem Klub. Meist wird jedoch nur darauf geguckt, was jemand nicht kann. Wenn es dem HSV gelingen würde, die Kräfte zu bündeln, wäre er kaum zu stoppen.

sj: Warum haben Sie beim HSV aufgehört? Hatten Sie genug davon, für andere den Kopf hinzuhalten?

Wolf: Ich denke nicht, dass es den einen Grund gab. Dass du in dem Job oft Blitzableiter bist, gehört quasi zur Arbeitsplatzbeschreibung. Für die gute Presse sind alle verantwortlich, für die schlechte ist es der Pressesprecher. Die meisten Leute vergessen nur, dass der Außendarstellung eines Klubs immer eine Folge von Management-Entscheidungen zugrunde liegt. Was tief im Verein passiert, bildet sich früher oder später nach außen ab. Im positiven wie im negativen Fall (Foto Chicharito: firo sportphoto).

sj: Wie lange hatten Sie schon überlegt, eine neue Aufgabe anzugehen?

Wolf: Ich habe in den vergangenen zwei, drei Jahren immer mal darüber nachgedacht. Dann wurde ich aber schnell wieder von der Intensität des Jobs eingeholt. Offenbar habe ich diese ständigen Turbulenzen eine lange Zeit auch gebraucht. Wenn man sich jeden Tag mit etwas auseinandersetzt, gibt man es wohl nicht so leicht auf. Der HSV ist ein großer, bedeutender Teil meines Lebens gewesen. Schlussendlich hatte ich aber das ganz persönliche Bedürfnis nach einer Veränderung. Ich kann mir kaum vorstellen, dass ich jemals wieder so lange irgendwo arbeiten werde.

sj: Sie sind nun nicht mehr im Medienbereich tätig. Wollen Sie wieder zurück?

Wolf: Ich hatte nie einen Masterplan für meine berufliche Laufbahn. Das wird sich auch nicht ändern. Mir war immer wichtig, dass ich mich in den Aufgaben wiederfinden konnte und sie etwas mit Fußball zu tun haben. Die Aufgabe hier reizt mich sehr. Leverkusen und Roger Schmidt haben eine Art Vorreiterrolle geschaffen. Viele andere Trainer und deren Berater haben sich inzwischen gemeldet und interessiert nach diesem Jobprofil gefragt.

sj: Mussten Sie sich umstellen? Vermissen sie den täglichen Kontakt zu den Journalistenkollegen?
 
Wolf: Vermissen nicht. Es war am Anfang einfach ungewohnt. Nach all den Jahren war ich natürlich noch auf minütlich eingehende Anrufe, Nachrichten und Mails programmiert. Jetzt genieße ich es, nicht den ganzen Tag am Telefon hängen zu müssen und mehr Kapazität für andere Dinge und persönliche Gespräche zu haben.
 
sj: Sie sind schon lange im Fußballbusiness. Gibt es aus Ihrer Sicht negative Entwicklungen?
 
Wolf: Ich habe Entwicklungen nie lange bedauert, sondern immer probiert, schnell einen guten Umgang mit diesen zu finden. Eine Form von Gelassenheit. Ständiges Hadern oder sich an Defiziten zu orientieren, frisst zu viel Energie. Es ist festzustellen, dass Trainer unter immer größerem Druck stehen, immer schneller und stärker für den Misserfolg in Vereinen verantwortlich gemacht und gefeuert werden. Wohl weil ich das in den meisten Fällen nicht für gerechtfertigt halte, habe ich in den vergangenen Jahren eine große Verbundenheit zu den Trainern verspürt und arbeite jetzt sogar mit einem von ihnen in seinem Team zusammen.

sj: Als Mediendirektor beim HSV mussten Sie quasi 24/7 arbeiten. Haben Sie jetzt weniger Stress?

Wolf: Wer einen Job in der Bundesliga annimmt, sollte nicht davon ausgehen, dass es immer nur entspannt zugeht. Aber Stress kann man sich auch machen. Ich arbeite gern. Manchmal vielleicht sogar zu gern. So dass andere, private Dinge mal zu kurz kommen. Da bin ich immer auf großes Wohlwollen aus meinem privaten Umfeld angewiesen und weiß dieses sehr zu schätzen (Foto mit Bruno Labbadia: firo sportphoto).
 
sj: Sie sind ein Hamburger Jung. Ziehen Sie ganz aus dem Norden weg?
 
Wolf: Das sicher nicht. Meine Wohnung in Hamburg habe ich behalten. Ich möchte auch erst mal gucken, wie ich mich in der neuen Rolle in Leverkusen zurechtfinde und sich das alles entwickelt. Ob es mir dauerhaft Freude macht.
 
sj: Nachdem es beim HSV vorbei ist, können Sie es ja sagen. Wer war Ihr Lieblingsspieler? Mit welchem Trainer kamen Sie am besten klar?
 
Wolf: Rafael van der Vaart in seiner ersten Zeit. Als er 2012 zurückkam, konnte er daran leider nicht mehr anknüpfen. Sein Privatleben hat ihn zu viel Kraft gekostet. In dieser Phase sind wir durch den ständigen Austausch aber zu Freunden geworden. Was die Trainer betrifft, da bin ich – zumindest in meinem Empfinden – mit fast allen sehr gut ausgekommen. Der Kontakt zu Thomas Doll, Thorsten Fink, Huub Stevens, Bert van Marwijk, Martin Jol, Armin Veh und natürlich Bruno Labbadia ist bis heute nicht abgerissen.

Mit Jörn Wolf sprach Clemens Gerlach