„Ordentlich Neid wegen Leipzig“

Interview mit Lotto King Karl

25.04.2017

Er ist ein unverzichtbarer Bestandteil der Heimspiele des HSV. Den Song „Hamburg, meine Perle“ kennt jeder. Mit dem sportjournalist sprach Lotto King Karl über Kult, Kommerz und Konkurrenz.

 

Seit Jahren prägt Lotto King Karl die Heimspiele des HSV. Auch wenn die Norddeutschen fußballerisch häufig enttäuschten, bei den Auftritten mit dem Song „Hamburg, meine Perle“ bebt das Volksparkstadion vor dem Anpfiff. Lotto, geboren als Gerrit Heesemann in Hamburg, ist seit 2004 Stadionsprecher. Seine Karriere begann der 50-Jährige als Radiomoderator. Mit seiner seit 1995 bestehenden Band „The Barmbek Dream Boys“ geht Lotto regelmäßig auf Tournee. Am 12. Mai erscheint deren neues Album „360°“.

sportjournalist: Erst England, nun China – im Fußball wird mit Millionen jongliert, als ob es Spielgeld wäre. Machst du dir Sorgen um deinen Lieblingssport, Lotto?
 
Lotto King Karl: Es sind in der Tat absurde Summen, die haben mit Sport nichts zu tun. Es ist eine weltweite Umverteilung. Aber so ist halt das Prinzip, wenn wenige Leute machen, was viele Leute interessiert. Und wenn viele Leute wenig geben, kriegen wenige Leute viel (Porträt-Foto: Patrick Ludolph).
 
sj: Ist es nicht längst zu viel, wenn Durchschnittsspieler Wahnsinnsgehälter bekommen?
 
Lotto: Darüber kann man diskutieren. Auf der anderen Seite geht es um Massenwirkung, und deshalb ist es ein Teil des Showgeschäftes. Fußballer sind schon lange Popstars, auch im Sinne von populär. Was im Fernsehen passiert, ist Unterhaltung, völlig egal, ob die Fußball, Formel 1 oder eine Castingshow übertragen. Wenn jemand Schnecken bemalt und das würden acht Millionen Leute gucken, würden die auch das senden.
 
sj: Also ist Fußball eine Ware von vielen?
 
Lotto: Der Sport entwickelt sich absolut in eine Richtung, die Stars weiter nach vorne bringt. Das sieht man an der Werbung und den üppigen Verträgen, von denen auch die Vereine profitieren.
 
sj: Ist die Stadionshow bei vielen Klubs nicht schon deutlich übertrieben? Demnächst werden vielleicht noch Platzverweise von einem Sponsor präsentiert.

Lotto: Es ist mal ganz witzig im Stadion die Ansage zu machen: Der Spieler mit der Nummer sechs verlässt das Spiel, es kommt neu der Spieler mit der Nummer neun. Aber wenn die fünfziger Jahre so toll wären, dann hätte man die Achtziger oder Neunziger nie zugelassen. Das Fernsehen zahlt für den Unterhaltungswert, da gehört auch etwas anderes als Fußball dazu.
 
sj: Du siehst das offenbar ganz entspannt.
 
Lotto: Das Schöne ist, dass es immer noch 90 Minuten sind und vorher keiner weiß, was nachher passiert. Solange der Fußball das behält, finde ich es auch okay (Stadion-Foto: firo sportphoto/Augenklick).
 
sj: In Deutschland wird über einen Klub leidenschaftlich debattiert, den manche für eine einzige Werbemaßnahme halten. Wie stehst du zu RB Leipzig?
 
Lotto: Ich sehe nicht, dass bei Leipzig eine Grenze überschritten wurde, die dem Sport schadet. Man kann bei RB lange darüber streiten, ob das nun eine Marketingidee ist oder nicht. Tatsache ist, dass das, was die Mannschaft in die Bundesliga bringt, ein erfolgreiches Konzept ist. Junge Spieler günstig kaufen, hochzüchten und so weit wie möglich kommen.
 
sj: Aber gibt es nicht gute Gründe, das Leipziger Modell kritisch zu hinterfragen? Ein Milliardär leistet sich einen Klub als Spielzeug.
 
Lotto: Fast alle Vereine, die sich über Leipzig aufregen, haben genauso viel oder mehr in Spieler investiert, leider nicht mit einer so hohen Trefferquote.
 
sj: Also Ablehnung als eine Form des Neides?
 
Lotto: Natürlich ist wegen Leipzig ordentlich Neid im Spiel. Das ist doch auch der Grund, warum so viele gegen die Bayern sind. Ich bin auch neidisch auf die sportlichen Erfolge der Bayern, auch wenn ich sonst ein total unneidischer Mensch bin. Der Trick bei Bayern ist ja so einfach: Sie machen nicht alles richtig, aber weniger falsch als die anderen. Und bei Leipzig finde ich auch nicht alles super, aber die spielen einen guten Fußball.
 
sj: Was stört dich denn an Leipzig?
 
Lotto: Den Namen Rasenball finde ich schon komisch, aber das man das Vereinslogo macht wie das Sponsorending, das ist unclever. Das hat auch nichts mit Leipzig zu tun. Das Logo ist nun wirklich die Chance, einmal einen Bezug zu deiner Stadt herzustellen (Konzert-Foto: Torsten Sörup).
 
sj: Deine Stadt ist Hamburg, dein Klub der HSV. Lief schon mal besser mit den Rothosen, oder?
 
Lotto: Stimmt, wir waren mal vor den Bayern, konnten das Niveau aber nicht halten. Wenn du beim HSV bist, hast du nicht viele Chancen, etwas Sinnvolles und Kluges darüber zu sagen, was an der Spitze der Bundesliga passiert. Wir müssen ein wenig demütig sein.
 
sj: Du bist seit der Saison 2004/2005 bei HSV-Heimspielen mit für das Stadionprogramm zuständig und singst jedes Mal „Hamburg, meine Perle“. Noch immer Lust?
 
Lotto: Das ist ein toller Job. Ich mache das sehr gerne, würde mir das Spiel ja eh angucken. In einer sentimentalen Sekunde denke ich manchmal: Es ist schade, dass wir alle hier gemeinsam singen, eine Klimax erreichen ­– und dann kommt dieses Fußballspiel. Es könnte so schön sein, wenn nicht angepfiffen werden würde.
 
sj: Du kennst Konzert und Fußballspiel – was unterscheidet die Zuschauer?
 
Lotto: Wir haben keinen Gegner! Spaß beiseite, die Fans im Stadion haben natürlich eine totale Freiheit, was sie machen können oder nicht. Bei Konzerten ist es naturgemäß so, dass die Band, die spielt, den Takt vorgibt. Beim Fußball ist zudem die Identifikation größer. Es ist sehr selten, dass Generationen von Fans für eine Band schwärmen, bei Fußballvereinen ist das eher üblich.
 
sj: „Hamburg, meine Perle“ ist das HSV-Lied, dabei ist es nicht einmal der offizielle Song. Bist du deshalb besonders stolz darauf?
 
Lotto: Wir haben das Lied nicht mit dem Anspruch geschrieben, dass das jemals in einem Stadion Aufsehen erregt. Es hat ja auch vier, fünf Jahre gedauert, bis die Leute das mitgekriegt haben. Wir haben uns natürlich gefreut, dass es ein Song so weit bringt, der eigentlich gar nichts mit einem Verein zu tun hat. Das Wort HSV taucht nicht einmal auf.
 
sj: Du bist schon in vielen Bundesligastadien gewesen. Hast du bei den Vereinshymnen einen Favoriten?
 
Lotto: Ich fand immer den „Zebra Twist“ des MSV Duisburg gut. Ansonsten stört mich an vielen Vereinshymnen dieses „Wir sind immer bei dir“, und dann wird das Wetter bemüht. Zum Schluss kommen noch mal die Vereinsfarben. Rot-weiß-blau, ich bin schlau, meine Frau, dann was mit grün, alles schön. Manchmal ist es ganz gut, wenn man zehn Minuten für einen Text braucht und nicht drei.
 
sj: Du bist ein als Musiker ein sehr direkter Typ. Kannst du das auch als Stadionsprecher sein?
 
Lotto: Ich kann wegen der Tätigkeit meine Emotionen nicht so rauslassen, wie ich es mache, wenn ich nicht offiziell da bin. Ich muss mich ein bisschen benehmen und mir auf die Zunge beißen. Wir müssen ja auch manches Mal deeskalieren. Dabei ist es nicht immer dankbar, ein 0:4 oder noch schlimmer abzumoderieren.
 
sj: Wie lange willst du noch beim HSV den Stadionjob machen?
 
Lotto: Ich habe kein Limit und bin im Verhältnis zu den anderen Stadionsprechern der deutschen Proficlubs in der älteren Hälfte, gehöre nicht zu den ältesten zehn Prozent. Ich bin mir dessen bewusst, dass ich das nicht ewig machen werde oder kann. Ich würde gerne an Jo Brauner rankommen, der war 17 Jahre dabei.
 
sj: Du als ewiger Stadionsänger – diese Vorstellung hätte aber schon etwas.
 
Lotto: Wenn die mich am Tropf reintragen und die Fans finden das gut, wäre es eine Überlegung wert. Meine Ärzte müssten natürlich einverstanden sein.
 
Mit Lotto King Karl sprach Clemens Gerlach

Dieser Artikel stammt aus der Ausgabe April 2017 des sportjournalist, die direkt beim Meyer & Meyer Verlag bestellt werden kann. Mitglieder des VDS können sich das Heft als PDF im Mitgliederbereich kostenlos herunterladen.