„Einfach so wegsenden kommt für mich nicht mehr in Frage“

Umsteiger Niklas Schenck im Interview – Teil III

25.01.2018 Als Investigativspezialist hat sich Niklas Schenck einen Namen gemacht. Im dritten und letzten Teil des Interviews erklärt der preisgekrönte Journalist, wie er und Kollegen einem der größten Medizinskandale der jüngsten Vergangenheit auf die Spur gekommen sind.
 
Er war ein preisgekrönter Sportjournalist. Doch mittlerweile ist Niklas Schenck in anderen Medienbereichen aktiv. Pharma-Skandale, Geheimdienste oder Kriegsgräuel sind zum Beispiel die Themen des Investigativspezialisten, der unter anderem Geographie und Umweltgeochemie studierte. Eine besondere Beziehung hat Schenck, Jahrgang 1983, zu Afghanistan entwickelt. Kabul ist neben Hamburg sein zweiter Lebens- und Arbeitsmittelpunkt geworden. Im ersten Teil des dreiteiligen Interviews mit Niklas Schenck ging es um die Gründe für seinen Ausstieg aus dem Sportjournalismus und warum er nach Afghanistan gegangen ist. Der zweite Teil widmete sich unter anderem der Thematik, welche Vorsichtsmaßnahmen nötig sind, um in Afghanistan zurechtzukommen.

sportjournalist: Niklas Schenck, Sie arbeiten häufig mit ihrer Frau Ronja von Wurmb-Seibel zusammen, die ebenfalls Journalistin ist. Wie schaffen Sie es, von der Arbeit abzuschalten?

Schenck: Sehr schlecht, aber immer besser. Wir erlauben uns, Mobiltelefone komplett auszuschalten oder wochenlang in Osteuropa zelten zu gehen. Wir fahren mit Kajaks durch Alsterkanäle. Und wir versuchen, nur an Geschichten zu arbeiten, hinter denen wir zu 100 Prozent stehen können (Foto Ronja von Wurmb-Seibel, links, und Niklas Schenck: privat).

sj: Dazu zählt auch ein brisantes Pharma-Thema. In Ihrem Buch „Die Krebsmafia“, das Anfang November erschienen ist, geht es um die Manipulation von und den Betrug mit Medikamenten. Wie sind Sie auf dieses Thema gestoßen?

Schenck: Bei meinem Kollegen Oliver Schröm, damals Chef des Stern-Investigativteams, hat sich ein Apotheker gemeldet, der Betrugsmodelle detailliert schilderte. Wir trafen ihn, dann bekam er aber kalte Füße, als wir ihn baten, mit versteckter Kamera dabei sein zu dürfen, wenn Händler versuchen, ihn zu bestechen. Aber da waren wir schon so angefixt von den offenkundig systemischen Missständen. Also bin ich zu Gerichtsterminen gefahren und habe mir erste Ermittlungsunterlagen besorgt, damit wir die systematischen Fehlanreize besser verstehen. Und ich staune und lerne dann ständig, wenn ich erlebe, wie Oliver Schröm vom Verständnis eines Systems übergeht zur Tiefenbohrung in einzelnen Fällen. Da gibt es richtig viel zu lernen.

sj: Wie ist der Betrug mit den Krebsmedikamenten genau gelaufen?

Schenck: Wir beschreiben in dem Buch eine inzwischen drei Jahre währende Recherche. Da geht es um Apotheker, die niedergelassenen Onkologen mit Kickbacks am Profit aus den von ihnen ausgestellten Rezepten beteiligen. Oder um Pharmahändler, die Ärzte bestechen, während wir mit versteckter Kamera aus Wandschränken filmten, und Mediziner, die finanziell abhängig wurden und in derselben Patientengruppe plötzlich mehr Chemotherapie verschreiben, weil es sich finanziell lohnt. Ein Kapitel dreht sich um den Bottroper Apotheker Peter S., der in zehntausenden Fällen Antikörper-Infusionen und Chemotherapie-Zubereitungen unterdosierte und so mutmaßlich tausenden Menschen Lebenszeit raubte. Dazu haben wir bei Panorama Die Reporter (NDR) auch eine halbstündige Dokumentation gesendet (der Prozess gegen Peter S. vor dem Landgericht Essen hat inzwischen begonnen; die Red.).

sj: Was sind Ihre nächsten Projekte?

Schenck: Ich bin inzwischen überzeugt, dass wir unsere Projekte nach außen tragen müssen, zu den Leuten, die sich für sie interessieren könnten. Einfach so wegsenden oder wegdrucken und weiter ins nächste Projekt – das kommt für mich nicht mehr in Frage.

sj: Was bedeutet das konkret?

Schenck: Wir gehen aktiv auf mögliche Partner zu, um Lesungen oder Diskussionsrunden zu der Krebsrecherche und Vorführungen des Dokumentarfilms aus Kabul zu organisieren. In beiden Veröffentlichungen sind extrem wichtige Debatten angelegt. Wir diskutieren mit Medizinstudenten über die ethischen Versuchungen, wenn sie als Ärzte anfangen, und mit Gesundheitspolitikern darüber, wie sich die exorbitanten Medikamentenpreise senken lassen und ob es nicht Zeit ist, Patente aufzubrechen. Beim Film dürften sich viele Diskussionen um Fluchtursachen und die Frage eines Abschiebestopps drehen, um Terror und um Afghanistan-Klischees. Diese intensive Art der Kontaktaufnahmen werden wir ein paar Monate lang fast in Vollzeit machen.

Mit Niklas Schenck sprach Clemens Gerlach.

Anmerkung der Redaktion am 26. Januar 2018: Wegen des Buches „Die Krebsmafia“ gibt es inzwischen einen Rechtsstreit. Der Apotheker Günther Z., dessen Praktiken die Autoren scharf kritisieren, hat erwirkt, dass die Erstauflage nicht mehr verkauft werden darf. Der Verlag hat gegen diese Entscheidung Rechtsmittel eingelegt.

Dieser Artikel stammt aus der Ausgabe Dezember 2017/Januar 2018 des sportjournalist, die direkt beim Meyer & Meyer Verlag bestellt werden kann. Mitglieder des VDS können sich das Heft als PDF im Mitgliederbereich kostenlos herunterladen.