Bitte, vergesst mich!

Medienrecht-Kolumne „SJ Legal Quarterly“

06.07.2017 Das Netz merkt sich alles, heißt es. Das stimmt leider, insbesondere wenn es um peinliche Sachen geht. Die Löschung der Daten ist schwierig, das Recht auf Vergessenwerden als Gesetz nicht in Sicht.
Autor: Clemens Gerlach
Tolles Examen, Spezialkenntnisse und auch sonst nicht auf den Kopf gefallen. Mit dem Traumjob bei einem renommierten Unternehmen wird es dennoch nichts. Vielleicht liegt es ja an den aus Sicht des potenziellen Arbeitgebers zu unseriösen Fotos aus Jugendtagen. Dumm gelaufen, war wohl doch keine so gute Idee, in Shorts und mit freiem Oberkörper vor der Konzernzentrale Faxen zu machen und das Ganze auch noch in einem Sozialen Netzwerk für jeden offen zu posten.

Firmen nutzen verstärkt die Online-Recherche, um sich einen möglichst fundierten Eindruck von der Bewerberschaft zu machen. Die noch so sorgfältige Durchsicht der eingereichten Unterlagen alleine reicht nicht (Foto: sampics photographie/Augenklick). Es ist einfach, im Netz fündig zu werden. Die ohnehin nicht mehr sehr hohe Hemmschwelle, selbst Höchstprivates in die Welt hinauszuschicken, sinkt immer weiter.

Diese Art von privatpublizistischer Offenherzigkeit rächt sich häufig. Denn es ist überaus schwierig, kompromittierende Bilder oder der eigenen Reputation schadende Einträge im Nachhinein wieder aus dem Netz zu bekommen. Einmal gestreut, auf ewig gereut?

Auf eine reine digitale Weste muss mancher verzichten

Mittlerweile hat sich ein gut laufendes Geschäft entwickelt, dass Firmen für Kunden Websites durchsuchen und deren Betreiber zur Löschung kritischer Daten auffordern. Mal klappt es, mal nicht. Auf eine reine digitale Weste muss mancher verzichten, auch wenn sein Verhalten mittlerweile gar nicht mehr pubertär ist und die Ausrutscher lange zurückliegen.

In einem größeren Zusammenhang erlangt das sogenannte „Recht auf das Vergessenwerden“ immer größere Bedeutung. Es geht um Daten- und Verbraucherschutz im digitalen Zeitalter. Müssen es sich Menschen gefallen lassen, dass auch nach vielen Jahren noch Beiträge im Netz zu finden sind, die zum Beispiel deren Privatinsolvenz oder Rechtshändel zum Thema haben?

In Italien hat unlängst das höchste Gericht des Landes entschieden, dass eine Zeitung einen Artikel aus dem Online-Archiv löschen muss. Die Kammer hatte sich der Argumentation des Antragstellers angeschlossen. Dem Mann ging es um seinen guten Ruf. Es könne nicht sein, dass er immer wieder mit einem zurückliegenden Gerichtsverfahren in Verbindung gebracht werde. Was sollten denn die Leute von ihm denken? Das Gericht hielt einen Zeitraum der Verfügbarkeit von zweieinhalb Jahren für angemessen. Danach bestehe kein öffentliches Interesse mehr, das Recht auf Privatsphäre sei höher zu bewerten.

Für Medienhäuser, nicht nur in Italien, wäre es natürlich ein großes Problem, wenn nun flächendeckend die Archive nach Aufforderung hin leergeräumt werden müssten. Stichwort: digitaler Radiergummi. Wie es aussieht, dürften Löschungen von Artikeln allerdings die Ausnahme bleiben. Es ist nicht anzunehmen, dass ein gesetzlich geregelter Automatismus kommen wird, zum Beispiel derart, dass Beiträge zwingend nach einem bestimmten Zeitraum gelöscht werden müssen.

Alle elektronisch vorgehaltenen Informationen mit Verfallsdatum versehen

Auch künftig zählt sehr wahrscheinlich die Einzelfallprüfung. Ein Antragsteller, der sich durch die immer noch auffindbare Berichterstattung geschädigt fühlt, hat nachzuweisen, dass dies auch tatsächlich der Fall ist. Gerichte müssen dann die Güterabwägung vornehmen, sollte sich der Seitenbetreiber weigern, der Aufforderung nachzukommen.

Eine technisch einfache, aber datenschutzpolitisch radikale und deshalb wohl in letzter Konsequenz nicht durchsetzbare Idee vertritt im Übrigen Viktor Mayer-Schönberger. Der österreichische Jurist möchte, dass alle elektronisch vorgehaltenen Informationen mit einem Verfallsdatum versehen werden. Nach Ablauf einer verbindlich fixierten Frist würde automatisch eine computergesteuerte Löschung der Daten erfolgen.

Hopp und ex statt ex und hopp – für manch einen ist der digitale Rausch ohne anschließenden Kater eine überaus verlockende Perspektive.

Wir danken dem VDS-Anwalt Dirk Feldmann für die fachliche Beratung. Dirk Feldmann ist seit 1983 als Anwalt tätig und Gründungspartner der Medienrechtskanzlei Unverzagt von Have in Hamburg. Jedes VDS-Mitglied kann kostenlos Rat zu sämtlichen Rechtsfragen einholen, die im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit stehen. Bitte geben Sie bei Ihren Anfragen jeweils kurz an, bei welchem Regionalverein Sie Mitglied sind.

Dieser Artikel stammt aus der Print-Ausgabe des sportjournalist. Das Jahresabo kann direkt beim Meyer & Meyer Verlag abgeschlossen werden. Mitglieder des VDS können sich das Heft als PDF im Mitgliederbereich kostenlos herunterladen.