Kritischer Sportjournalismus? War einmal!

Gedanken zu Ronny Blaschkes Debattenbeitrag

18.11.2016 Ronny Blaschke hat in seinem Debattenbeitrag eine klare Position bezogen: Der Sportjournalismus müsse politischer werden. VDS-Vizepräsident Dr. Christoph Fischer pflichtet dem bei – und sieht zudem eine große Gefahr für den gesamten Berufsstand.
Autor: Dr. Christoph Fischer
Ich habe viele Mails bekommen zuletzt, nette und weniger nette, wie das immer so ist. Die Zeilen, die die Kollegenschaft mir zudachte, fielen zufällig zusammen mit Ronny Blaschkes Text in der November-Ausgabe des sportjournalist („Plädoyer für einen politischeren Sportjournalismus“). Ronny hatte sein neues Buch („Gesellschaftsspielchen – Fußball zwischen Hilfsbereitschaft und Heuchelei“) auch auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellt und Fragen von FAZ-Sportchef Anno Hecker beantwortet. Mich beschäftigt das Problem seit dem Auftritt intensiver als jemals zuvor, weil es kluge Gedanken sind zum Sportjournalismus und seinem fehlenden politischen Impetus.
 
Das war einmal anders. In den ausgehenden siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, auch in den Achtzigern und Neunzigern, gab es so etwas wie „kritischen Sportjournalismus“ in Deutschland, der sich durchaus auch politisch verstand. Davon ist heute bis auf wenige Stimmen und ein, zwei überregionale Blätter nicht mehr viel übrig (Fischer-Foto: GES-Sportfoto/Augenklick).
 
„Ich finde mich und die Realität unseres untergehenden Berufes in nichts von dem wieder, mit dem man sich im VDS beschäftigt“, schreibt ein ebenso langjähriger wie ambitionierter Kollege. „Olympia trifft die wenigsten, die Kumpanei mit Pressesprechern auch. Aber keiner klagt seinen eigenen Arbeitgeber an. Und man müsste fast alle anklagen.“ Der Kollege erinnert an die Verantwortung eines Berufsverbandes für dieses Thema, „aber da versagen ja auch der DJV und verdi“. Ich kann das gut verstehen und nachvollziehen.

Alles längst auf dem Weg zur ausschließlichen Unterhaltungsindustrie
 
„Wenn sich die Mehrheit mit Inszenierung beschäftigt, wer untersucht dann systematische Probleme wie Korruption, Doping und Gewalt?“, fragt Ronny Blaschke. Werden in zehn Jahren überhaupt noch Journalisten gebraucht, die kritische Fragen stellen, wo doch alles längst auf dem Weg ist zur ausschließlichen Unterhaltungsindustrie, die jedem dient, der daran verdient.
 
Auf Kritik reagieren Kollegen oft beleidigt Das gilt für Schreiber wie für Fotografen, für Onliner und Radio- und Fernsehmenschen. Für alle. Kaum jemand ist frei von Abhängigkeiten. Ob von Bundesligaklubs, dem Deutschen Fußball-Bund, von Sponsoren oder anderen Playern im Geschäft. Die Nähe zu Protagonisten der Berichterstattung darf nicht zu Kritiklosigkeit führen, ist aber der Anspruch, der von uns allen immer noch vertreten wird. Aber realisiert sich dieser Anspruch noch irgendwo? Gerade auch in kritischen Zeiten unseres Berufsstandes?

„Ratlosigkeit und Planlosigkeit haben sich in Dummheit verwandelt“

 „Vereine und Verbände haben durch Massenmedien ihre gesellschaftliche Stellung erlangt, nun beanspruchen viele von ihnen die Deutungshoheit“, schreibt Ronny Blaschke zutreffend. Vereine suchen sich die Journalisten aus, die ein Interview bekommen. Und wer wehrt sich dagegen? „Ratlosigkeit und Planlosigkeit haben sich in dieser Branche in Dummheit verwandelt“, schreibt ein Kollege.
 
Kritik und Kontrolle, zu der wir alle einmal angetreten sind, was ist davon geblieben? Wird der Verlust noch irgendwo thematisiert? Das betrifft nicht nur die Kollegenschaft, sondern auch den Verband, der sich als Dienstleister versteht. Das ist nachvollziehbar, aber kann das auf Dauer reichen? Wenn wir schon keine Antworten haben, sollten wir zumindest Fragen stellen, wie es mit uns und unserem Beruf weitergeht. Wenn wir das nicht lernen, wird auch ein Berufsverband irgendwann zwangsläufig überflüssig. Ich habe diese Befürchtung, offen gestanden.