Wie die Fußballklubs Journalisten überflüssig machen wollen

Versickernde Informationsströme – Teil I

03.08.2017 Die Vereine der Fußball-Bundesliga setzen vermehrt auf eigene Infokanäle. Das geht vielerorts zu Lasten des klassischen Journalismus, der von den zu Medienfabriken umgerüsteten Pressestellen als lästige Konkurrenz gesehen wird.
Autor: Christoph Ruf
Natürlich gab es auch schon vor 15 Jahren leichtere Unterfangen, als ein Interview mit einem Bayern-Spieler zu bekommen. Stefan Wessels, damals Ersatztorhüter, wäre vielleicht noch zeitnah zu sprechen gewesen. Doch Ballack? Kahn? Elber? In einigen Monaten bestenfalls, und nach Abarbeitung einer Liste, auf der mehrere Dutzend Kollegen standen, die vorher angefragt hatten.

Doch es gibt zwei entscheidende Unterschiede zu heute. Erstens: Man bekam am Telefon noch real existierende Mitarbeiter der Presseabteilung zu sprechen, deren Nummer war ja in der E-Mail-Signatur angegeben. Heute steht dort „FC Bayern München AG, Direktion Medien, Digital und Kommunikation“. Keine Durchwahl mehr. Und zweitens: Wenn es dann wirklich klappte mit dem Gespräch, konnte es durchaus passieren, dass ein lesenswertes Interview dabei herauskam.

Doch seit der FC Bayern im Februar seinen eigenen 24-Stunden-TV-Kanal auf Sendung brachte, sollen News, die wirklich „new“ sind, auch dort verbreitet werden (Foto: Screenshot FCB-TV). Das erste kurze Interview mit Star-Zugang James Rodríguez bekommt dann, klar, der eigene Kanal. Denn, so Karl-Heinz Rummenigge, „niemand kennt den FC Bayern besser als der FC Bayern“.

Doch was der FC Bayern noch besser kennt als sich selbst, ist die Art und Weise, wie er sich gerne dargestellt sieht. Wer könnte ihm das verdenken? Die vereinseigenen Medien werden es allerdings nicht sein, die die Frage stellen, wie es um die Vorbildfunktion eines Spielers bestellt ist, gegen den wegen häuslicher Gewalt ermittelt wird. PR und Journalismus sind eben doch zweierlei Paar Schuhe.

Auch bei Hertha BSC sind die Reichweiten und Zugriffszahlen der digitalen Angebote zuletzt explodiert. Zum Teil dank origineller Aktionen. Zum Teil aber auch dank Posts, deren Sinngehalt man hinterfragen darf. Dass die ungeheuer originelle Fake-Meldung, wonach Zlatan Ibrahimovic zu Hertha wechsele, 14.000 neue Follower auf Twitter brachte, hinterlässt Stirnrunzeln. Denn ziemlich sicher würde auch die Fake-Meldung „Ministerin X schwer erkrankt“ oder „Sex-Affäre um Promi Y“ für Aufruhr im Netz sorgen. Der tiefere Sinn dahinter muss sich deswegen allerdings nicht erschließen.

Haben bei den Klubs längst die Marketingkollegen das Kommando übernommen?

Als Kollateralschaden der Digital-Offensive ist das Verhältnis zu den klassischen Berliner Medien allerdings schlechter geworden – noch schlechter, wie die meisten langjährigen Hertha-Berichterstatter wohl sagen würden. „Transfers werden hier längst per Twitter bekanntgegeben“, sagt Markus Lotter, Sportchef der Berliner Zeitung, „keiner der Berliner Hertha-Reporter, mit denen ich darüber in den vergangenen Monaten gesprochen habe, hat das Gefühl, dass die Presseabteilung noch Wert auf unsere Arbeit legt.“ Ob das auch daran liegt, dass vielerorts „längst die Marketingkollegen das Kommando übernommen haben“, wie der ehemalige Pressesprecher eines Bundesligisten sagt?

Harald Stenger, jahrelanger DFB-Pressesprecher, blickt jedenfalls sorgenvoll auf die gewandelte Kommunikationsstrategie der Vereine. Gegen Infos via Twitter hat er nichts einzuwenden, zumal der DFB in seiner Amtszeit begann, Pressekonferenzen der Nationalmannschaft regelmäßig live im TV zu zeigen. „Aber wenn kritische Recherchen unbeantwortet bleiben oder Anrufe von Journalisten, die Details zum Alltagsgeschäft wissen wollen, als lästig und störend empfunden werden, stimmt etwas nicht.“

Auch Stenger spricht von „manchmal unglaublichen oder sogar beschämenden Erfahrungen vieler Kollegen“. Allerdings machten auch viele Pressestellen schlechte Erfahrungen. „Wer Falschmeldungen verbreitet, darf sich nicht wundern, dass das Gegenreaktionen hervorruft“, sagt er.

Wie bei Hertha oder den Bayern geht es allerdings nicht überall in der Liga zu. In Mainz hat der ehemalige Präsident Harald Strutz in den vergangenen Monaten am eigenen Leib erfahren, wie hoch die Wogen schlagen, die ein selbstbewusster, unerschrockener Lokaljournalismus auslösen kann. Und auch in Freiburg müssen die örtlichen Medien nicht fürchten, dass ihnen via Twitter Konkurrenz mit Informationsvorsprung erwächst. „Die eigene Kommunikation wird wichtiger, ersetzt aber noch lange nicht die klassischen Medien“, sagt Mediendirektor Philipp Walter, „wenn ich mir das Board hinter mir gerade anschaue, steht da: Badische Zeitung, Südkurier, Offenburger Tageblatt, Südwestpresse.“

Anfragen von Sky, die einzelne Spieltags-PKs gerne live übertragen würden, lehne man ab. „Auch weil dies den Charakter der PKs ändern würde, die bei uns ja schon mal eine Stunde gehen und in richtige Gespräche zwischen Trainer und einzelnen Journalisten münden.“

Das stimmt, doch auch in Freiburg wird mit einigen Stunden Verzögerung jede PK in voller Länge online gestellt. Ein Journalist, der eine Frage stellt, weiß, dass sie für sein Medium verloren ist, weil die Antwort zuvor mit hoher Wahrscheinlichkeit schon von Kollegen verwertet worden ist, deren Rechner in Berlin oder Köln steht.

Lesen Sie im zweiten Teil des Reports, welche Fußballklubs nur mit ausgewählten Journalisten reden und Anfragen anderer systematisch ignorieren.

Dieser Artikel stammt aus der Ausgabe August/September 2017 des sportjournalist, die direkt beim Meyer & Meyer Verlag bestellt werden kann. Mitglieder des VDS können sich das Heft als PDF im Mitgliederbereich kostenlos herunterladen.