„Der kritische Teil der Berichterstattung fällt weg“

Erschwerte Arbeitsbedingungen – Teil II

21.07.2016 Vereine, Verbände und Sportler nehmen die Berichterstattung verstärkt selbst in die Hand. Für Sportjournalisten wird es deshalb immer schwieriger, an authentische Informationen zu kommen.
Autor: Julia Wellmann
Sportjournalisten obliegt die Aufgabe, distanziert und unabhängig zu berichten. Inwieweit ist dies jedoch in einer zunehmend ökonomisierten und medialisierten Sportlandschaft noch möglich? Mit dieser Frage beschäftigte sich Julia Wellmann (Foto: privat) und interviewte dazu sieben Sportjournalisten aus Print-, Rundfunk- und Onlinemedien. Die Autorin studierte an der Ludwig-Maximilians-Universität München Kommunikationswissenschaft und Psychologie. Mit der vorgestellten Studie schloss sie ihr Bachelorstudium im Jahr 2015 erfolgreich ab. Derzeit macht sie ihren Master in „Cognition and Communication“ an der Universität Kopenhagen. Im ersten Teil des Reports ging es um den erschwerten Zugang zu exklusiven Informationen.

Fakt ist, dass Sportler, insbesondere Fußballer, ihre Kommunikation zunehmend über Pressesprecher laufen lassen. Boris Herrmann von der Süddeutschen Zeitung (SZ) „nervt das kolossal“: Der „ganz normale herrliche Fußballprolet“ sterbe langsam aus. Pressesprecher würden sich „zwischen Sportler und Journalisten stellen“ und „Sätze reinschreiben, so wie das niemals jemand sagen würde“, mahnt Boris Herrmann. Dass Interviews mit Pressesprechern abgesprochen werden, galt früher weitestgehend als Entgegenkommen der Journalisten. Heute werde es als „Grundrecht aufgefasst“, dass jedes Statement „fünfmal gegengezeichnet“ wird.

Davon betroffen seien nicht nur persönlich geführte Interviews, sondern auch Social-Media-Beiträge, welche immer weiter in den Fokus der Sportjournalisten rücken. Besonders in einer Zeit, in der sich die Athleten verstärkt zurückziehen, biete Social Media eine zusätzliche Quelle, erklärt Claudio Catuogno, ebenfalls von der SZ. Wobei auch hier zu beachten sei, dass es sich um „glattgeschliffenes PR-Material“ handele: „Investigativer Journalismus ist das nicht.“

Besonders im Fußball sei zu beobachten, dass sich vereins- oder verbandseigene Onlineauftritte zu Konkurrenzplattformen für alle Medienbereiche entwickeln, so Catuogno. Dadurch, dass etwa Berichterstatter des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) die Spieler der Nationalmannschaft interviewen und diese Interviews frei zugänglich auf der Homepage des Verbands landen, werden Journalistentermine mit Spielern weiter reduziert.

Das Exklusivinterview sei scheinbar nicht mehr von Nöten, da alle Antworten ja ohnehin schon online zu finden seien. Dazu komme der „Effekt, dass halt der kritische Teil der Berichterstattung wegfällt. Kein DFB-Journalist spricht Themen an, die er eigentlich nicht so gerne in der Öffentlichkeit ausgebreitet sieht, während eine Zeitung das natürlich tut“, stellt Catuogno fest (Draxler-Foto: GES-Sportfoto/Augenklick).

Auch Andreas Egertz vom Bayerischen Rundfunk merkt an, dass „das Material natürlich dann ganz klar vorausgewählt“ wird. Letztendlich werde durch diese Verfahrensweise „der Weg um die Journalisten umgangen“, wie Florian Weiß von Sport1 erkennt. Es handele sich hier um ein Problem, das keinesfalls zunehmen dürfe, da sonst eine sportjournalistische Berichterstattung vor Ort irgendwann hinfällig wäre, weil der Verein genauestens bestimme, was er herausgebe.

Diese „schwierige Entwicklung“, wie sie Egertz bezeichnet, schränkt die Arbeitsweise der Sportjournalisten stark ein. In wachsendem Umfang übernähmen PR-Abteilungen die Kontrolle über die journalistische Arbeit und limitieren dadurch kritische sportjournalistische Hinterfragungen: „Natürlich ist das absurd, wenn der DFB sich selbst interviewt“, moniert auch Herrmann von der SZ.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die heutige Sportberichterstattung von unterschiedlichsten Einflüssen tangiert wird und Themen anders in den Medien erscheinen würden, wenn Sportjournalisten ihre Ziele freier Berichterstattung umsetzen könnten. Sportrealität und Sportmedienrealität fallen immer weiter auseinander. Sportjournalistische Auswahlkriterien orientieren sich demnach zwangsläufig zunehmend an ökonomischen Bedingungen, geprägt durch PR-Strategien und weniger an publizistischen Ansprüchen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf der Website European Journalism Observatory. Wir danken für die großzügige Überlassung.