Herbert Neumann zum 90. Geburtstag – „Rastelli vom Atzelberg“

Verein Frankfurter Sportpresse (VFS)

26.12.2016 Der zweite Weihnachtstag ist für Herbert Neumann dieses Jahr ein ganz besonderer. Der gebürtige Berliner wird 90 Jahre alt. Dessen Leitsatz lautet: „Denn das Leben ist meine Universität.“
Autor: Steffen Haffner
Treffpunkt Bockenheimer Warte: Wir sind verabredet, wollen gemeinsam zur Eintracht fahren. Doch Herbert sitzt noch bei den Briefmarkensammlern. Nach einigem Warten gebe ich in den Saal hinein ein Signal: Es wird nun aber Zeit! Doch nichts rührt sich. Erst auf ein zweites energisches Zeichen hin kommt der Kollege angelaufen und entschuldigt sich mit der Erklärung: „Das war sooo interessant.“

Das ist Herbert Neumann pur, der am zweiten Weihnachtsfeiertag 90 Jahre alt wird. Ein Vollblutjournalist, der von gesunder Neugierde und Wissensdurst getrieben wird. Und da der Berliner mit der flotten Schreibe und der kessen Lippe sich nicht nur auf das Thema Sport beschränkte, sondern auch als Gerichtsreporter unterwegs war, geriet schon einmal sein Terminplan durcheinander. Zwischendurch spielte er mit den Lehrern oder den Juristen Fußball, schob schnell noch eine Rindswurst oder ein Stück Kuchen rein. Denn eine Trennung zwischen Beruf und privat ist dem wirklich freien Journalisten fremd: Erst beides zusammen macht sein Leben aus (Frankfurt-Foto: Fotoagentur Kunz/Augenklick).

Mit Mut, Glück und Geschick hatte Herbert die Kriegs- und Nachkriegswirren überstanden, hatte den Horror der Bombenangriffe, die Hilfseinsätze im brennenden Berlin und als Soldat die letzten Kampfhandlungen überstanden. Als ihn die Russen in einem Lager in Mitteldeutschland festhielten, trug er dem sowjetischen Kommandanten couragiert sein dringendes Anliegen vor: „Ich möchte nach Hause nach Berlin zu meinen Eltern, nachschauen, wie es ihnen geht.“ Der Offizier, der gut deutsch sprach, hatte Verständnis für den 18-Jährigen und stellte ihm den wertvollen Passagierschein aus.

Nach dem Zusammenbruch begann Neumann in Ost-Berlin eine Lehrerausbildung, fand aber bald zum Journalismus. Er schrieb für Blätter wie das „Bauernecho“ und die FDJ-Zeitung „Junge Welt“. Doch seine westliche Gesinnung und seine kritischen Äußerungen über das DDR-Regime brachten ihn in die Bredouille. Nach einer Warnung von Freunden entzog sich Neumann 1956 dem Zugriff durch die Stasi mit der Flucht ins Rhein-Main-Gebiet. In der „Schönen Aussicht“ von Bergen bei Frankfurt fand er einen bescheidenen Unterschlupf. Während der ersten Zeit hielt Herbert sich mit Gelegenheitsjobs vom Vertreter für Waschmaschinen und Versicherungen bis hin zum Aufsteller von Pins auf einer Bowlingbahn über Wasser.

Das Endspiel um die deutsche Mannschaft 1959 bedeutete eine Wende für ihn

Sein erster Kontakt zu Zeitungen führte ihn zur Frankfurter Neue Presse. Dort hatte Neumann, der nicht gerade ein Zahlenmensch ist, die Aufgabe, Fußball-Tabellen auszurechnen, die sich durch eine gewisse Eigenwilligkeit auszeichneten. Das Endspiel um die deutsche Mannschaft 1959 bedeutete eine Wende für ihn.

Arthur Kohlberger, der Sportchef der in Offenbach erscheinenden Abendpost, schickte den Berliner zum Finale der Eintracht gegen die Kickers (5:3 nach Verlängerung) in seine Heimatstadt. Neumann sollte über das Drum und Dran dieses ganz speziellen Derbys schreiben. Noch heute erzählt Neumann amüsiert, wie die DDR-Grenzer bei der Rückfahrt des Sonderzugs an den alkoholisierten Schlachtenbummlern scheiterten und sie unkontrolliert heimkehren ließen.

Seine Reportage über den grandiosen Triumphzug der Eintracht-Spieler, die von Hunderttausenden in ihrer Heimatstadt gefeiert wurden, erregte die Aufmerksamkeit der FAZ, die ihm anbot, sich um den zweimal die Woche erscheinenden Rhein-Main-Sport zu kümmern, den er bis 1968 gestaltete und den er mit seinen Beiträgen auch danach mit prägte.

Herberts Haupttriebfeder war und ist seine Begeisterung für den Sport, den er selbst als eleganter Skiläufer, talentierter Tennisspieler und (Fuß-)Ball verliebter „Rastelli vom Atzelberg“ ausgelebt hat. Dazu kam der journalistische Antrieb, der ihn alsbald zu einer Frankfurter Instanz machte. Denn sein blonder Kopf tauchte überall dort auf, wo was los war: in den Stadien, bei den Auftritten der Eiskunstläuferin Marika Kilius mit Franz Ningel und Hans-Jürgen Bäumler, bei den Deutschen Turnfesten, die er, nicht zuletzt in Frankfurt 1983, dreimal als Pressechef mit gestaltete, bei den Shows von „Holiday on Ice“ in der Festhalle und vielem mehr.

Daneben hat der umtriebige Mann Bücher über die Eintracht und über die Turnfeste geschrieben und für den Hessischen Rundfunk Fernsehfilme produziert. Im Juni 1971 war Herbert Zeuge, als Kickers-Präsident Horst-Gregorio Canellas während der Gartenparty zu seinem 50. Geburtstag mit dem Abspielen von Tonbandmitschnitten den Bundesliga-Skandal auslöste. Er berichtete von Olympischen Spielen, Fußball-Weltmeisterschaften und anderen Großereignissen. Sein Hauptaugenmerk aber galt und gilt dem Breiten- und Vereinssport.

Neumann verfasste zudem für die Abendpost/Nachtausgabe und die FAZ Reportagen aus dem Gerichtssaal. Seine schwierigste Aufgabe meisterte er, als er fast drei Jahre lang für das Boulevardblatt und zeitweise für die FAZ vom Ausschwitz-Prozess mit dem Horror der von Zeugen beschriebenen Gräueltaten berichtete. Nach wie vor mischt sich Herbert in Gesprächsrunden als temperamentvoller Diskutant ein. Und auch wenn die Augen getrübt sind, hat er sich den vollen Durchblick bewahrt. Mit seiner Frau Ute pendelt er zwischen seinem Domizil in der Wetterau und der Ferienwohnung in Garmisch-Partenkirchen. Nach wie vor hat Herbert Neumann Lust auf Leben: „Denn das Leben ist meine Universität.“

Dieser Artikel stammt aus der Ausgabe Nr. 2 / Oktober 2016 der Buschtrommel, die der Verein Frankfurter Sportpresse herausbringt. Zum Download des VFS-Heftes als PDF geht es hier.