Zum Tode von Rainer Martini – Ein radikaler Ästhet

Verein Münchner Sportjournalisten

09.09.2021 Lautstärke war ihm fremd, er bevorzugte das stille Arbeiten. Unzählige Preise, Bücher und Auszeichnungen belegen Rainer Martinis außergewöhnliches Niveau. Am 7. September ist der Fotograf, der dem Verein Münchner Sportjournalisten angehörte, im Alter von 73 Jahren gestorben.
Autor: Rüdiger Schrader
Bei Conti-Press in Hamburg macht er seine ersten professionellen Fotos. So auch beim Fußball-Länderspiel Deutschland gegen Schottland am 22. Oktober 1969 im Volksparkstadion. Neben ihm sitzt ein gewisser Sven Simon, mit dem er während des Spiels ins Gespräch kommt. Noch am selben Abend bietet ihm der Sohn Axel Cäsar Springers an, ab dem 1. Januar 1970 in München bei der neugegründeten Fotoagentur-Filiale von Sven Simon anzufangen.

Rainer Martini trifft (s)eine Lebensentscheidung und sagt zu. In München begegnet er seinem Bruder in Seele und im Geiste: Hans Rauchensteiner. Der ewige Zeitdruck im Agenturbusiness entspricht nicht seinem Gefühl für Fotografie. So macht er sich 1973 selbstständig und auf den Weg, einer der weltweit besten, anerkanntesten und vor allem erfolgreichsten (Sport-)Fotografen zu werden (Logo: Verein Münchner Sportjournalisten).

Fortan verleiht er der (Sport-)Fotografie seine eigene Note. In Habitus, Gestus, Auftreten und Charakter ist Rainer ein Gentleman, in der Fotografie ein radikaler Ästhet. Nicht etwa die Exklusivität seiner Standpunkte, die teilt er mit anderen auch, nein, sein individueller Blick, sein grafisches Auge und sein exaktes Gespür für „den“ Moment bringen Bilder hervor, die staunen lassen – auch und vor allem seine Kollegen.

Unzählige Preise, Bücher und Auszeichnungen belegen das außergewöhnliche Niveau des Fotografen Rainer Martini. Komplimente quittiert er seit jeher mit dem ihm eigenen, leisen Lächeln. Lautstärke ist ihm fremd, das stille Arbeiten ist ihm näher.

Die sprichwörtliche Contenance war typisch für den „Grandseigneur“

„Grandseigneur“ nennen sie ihn, ihren langjährigen VDS-Fotografensprecher, fast ehrfürchtig. Er konnte auch „hart“ sein in dieser Funktion, als er den Kollegen Wolfgang Rattay und mich 1986 in Mexiko für den Innenraum des WM-Finales sperren lässt. Wir hatten beim Halbfinale Deutschland gegen Frankreich in Guadalajara verbotenerweise den Platz betreten.

Für ihn völlig untypisch verliert er einmal kurzzeitig seine sprichwörtliche, charmante Contenance. Nach dem WM-Finale 1990 in Rom legt er sich mitten im stern-Büro auf den Boden, wo er kurzzeitig schreiend sehr lange liegen bleibt. Die Veranstalter hatten zur Pokalübergabe das Licht gelöscht, ohne vorher die Medien zu informieren. So jubelt die deutsche Mannschaft in finsterer Dunkelheit. Sein Blitzgerät hat er nicht eingepackt. Nach gutem Zureden überlässt er mir dann doch seine Filme (Martini-Foto: privat).

So zieht er sich nach der Fußball-WM 1990 in Italien langsam aus der Sportfotografie zurück. Er gründet in der Folgezeit „LOOK – die Bildagentur der Fotografen”, wo er seine radikale Ästhetik in Landschafts- und Reisefotografie auslebt und realisiert. Bei „LOOK“ sind seine außergewöhnlichen Bilder bis heute die qualitative Referenz.

Sein Wissen, seine Vision und seine Leidenschaft für Fotografie gibt er weiter in Workshops, abgehalten unter anderem in Namibia, in der Toskana und in seiner fotografischen Lieblingsstadt Venedig. „Ich bin hunderte Male dort gewesen, ich muss noch hunderte Male dorthin, bis ich das Foto gemacht habe, das mir restlos gefällt,“ sagt er nach einem Assignment in Venedig, das ihm zu erteilen ich die Ehre hatte.

Rainer Martini wird fehlen mit seinem liebevollen Blick auf die Welt

Ein Fotochef ist Probleme gewohnt, in deren Lösung erprobt. Eine Auswahl seiner stilsicheren, unfassbar pointierten Bilder zu treffen, stellte mich vor ein gefühlt unlösbares Problem, auch wenn er dem Druck-Ergebnis vorbehaltlos zustimmte.

Rainer Martini wird fehlen mit seiner radikalen Ästhetik und seinem liebevollen Blick auf die Welt. Irgendwo wird er Hans wiedertreffen – Hans Rauchensteiner, der ihm im März vorausgegangen ist. In dieser Welt hinterlässt Rainer seine Frau Brigitte, Tochter Cornelia und seine Söhne Markus und Sebastian.

Die Beisetzung findet statt am Samstag, 11. September, ab circa 14:30 Uhr auf dem Friedhof in 86920 Epfach. Die Trauerfeier in der Kirche ab 14.00 Uhr ist coronabedingt bereits ausgelastet.