Aufsteiger Michael Schilling – „Die AZ war nie tot“

Serie „Einsteiger, Aussteiger, Umsteiger“

19.05.2016 Um die Münchner AZ stand es lange nicht gut. Das Aus drohte. Inzwischen haben Chefredakteur Michael Schilling und dessen Team den Turnaround geschafft. Wie dies gelang, erzählt das Nordlicht im sportjournalist-Interview.
 
Michael Schilling, 45, von der Abendzeitung (AZ) in München gehört zu den wenigen, die aus dem Sportressort den Aufstieg zum Chefredakteur schafften, wie unter anderem Klaus Brinkbäumer (Spiegel), Hermann Beckfeld (Ruhr-Nachrichten), Arnd Festerling (Frankfurter Rundschau) oder Gerd Schneider (Esslinger Zeitung). Nach dem Volontariat ab 1989 bei der Kreiszeitung Syke kam Schilling als Redakteur über das Hamburger Verlagshaus Axel Springer (Bild und Sport Bild) 2001 nach München zum AZ-Sport. Dort war er stellvertretender Ressortleiter, ab 2010 Lokalchef. Seit 2014 ist er Chefredakteur der Zeitung.
 
sportjournalist: Herr Schilling, Ihr Aufstieg zum Chefredakteur der Münchner Abendzeitung im Juli 2014 kam ziemlich überraschend.
 
Michael Schilling: Stimmt. Die gesamte Belegschaft war Mitte 2014 nach einer viermonatigen Insolvenzzeit darauf eingestellt, dass die Abendzeitung am 30. Juni zum letzten Mal in ihrer 66-jährigen Geschichte erscheinen würde. Dass kurz vor dem Ende doch noch ein Verleger kam, der sie übernommen hat und sogar die Printausgabe weiterführt, darauf hatte niemand mehr gehofft.
 
sj: Zum Neuanfang unter Ihrer Leitung gehörte damals viel Mut.
 
Schilling: Ich würde eher sagen: Es ging um viel Arbeit. Wir haben mit einer verkleinerten Mannschaft vom ersten Tag an versucht, die Tradition der AZ fortzusetzen, mit ihrem ganz eigenen Stil und Profil: als lebendige, liberale und vor allem münchnerische Stadtzeitung (Logo: AZ).
 
sj: Wie viele Kolleginnen und Kollegen waren noch da?
 
Schilling: Die AZ war von einem Tag auf den anderen ein Start-up-Unternehmen geworden. Wir fingen mit 15 festen Redakteuren und einigen Freien an. Als sich abzeichnete, dass ein Großteil der Leser der Marke die Treue hält, haben wir uns personell sukzessive verstärkt.
 
sj: Woher nahmen Sie das Vertrauen zu einem neuen Verleger, dem Münchner Medienmenschen sehr skeptisch gegenüberstanden?
 
Schilling: Martin Balle war der einzige, der tatsächlich den Mut hatte, die AZ in Online und Print weiterzuführen. Er hat vom ersten Tag an deutlich gemacht, dass er keinerlei Einfluss auf die inhaltliche redaktionelle Ausrichtung nehmen würde. Er hat uns also vertraut. Und übrigens Wort gehalten.
 
sj: Der Sport war ja so ausgeblutet, dass er als eigenständiges Ressort im Impressum anfangs gar nicht mehr aufgeführt wurde (1860-Foto: sampics/Augenklick).
 
Schilling: Zum Glück haben wir da bald nachbessern können.
 
sj: Wie war der Personalbestand damals, wie ist er heute?
 
Schilling: Zum Zeitpunkt der Insolvenz hatte die AZ noch 104 Angestellte, davon gute 40 in der Redaktion. Nach dem Neustart sind es jetzt insgesamt um die 60, davon 35 in der Redaktion.
 
sj: Und wie sieht's im Sport aus?
 
Schilling: Neben fünf festen Redakteuren arbeiten etliche Freie für uns. So berichtet Patrick Strasser für die AZ vom FC Bayern, Matthias Eicher kümmert sich um den TSV 1860.
 
sj: Wie steht es um die Auflage, heute zu früher?
 
Schilling: Wir liegen nun knapp unter 50.000 Exemplaren am Tag. Vor der Insolvenz waren es über 100.000, davon über ein Drittel stark rabattierte und Gratis-Exemplare. Davon ist die AZ abgekommen.
 
sj: Was trug bei zur Rettung der AZ, die in München als Kult beerdigt worden war und jetzt langsam wieder aufersteht?
 
Schilling: Die AZ war nie tot. Sie ist in München eine Traditionsmarke. Umso stolzer bin ich, dass ich als „Zuagroaster“, also als Zugereister mit norddeutschen Wurzeln, ihre Redaktion führen darf.
 
sj: Sie haben einst südlich von Bremen, bei der Kreiszeitung Syke, angefangen. Von dort stammen viele, die später im Sport bei Bild Karriere machten. Da muss ein Nest sein.
 
Schilling: Das stimmt. Die Bild-Kollegen Kai Traemann und Nils Suling kommen von dort. Und Matthias Brügelmann, jetzt stellvertretender Chefredakteur bei Bild, war damals noch als Jungreporter beim Weser-Kurier in Bremen. Nicht zu vergessen Mathias Sonnenberg, jetzt Chef bei Bild Nord. Er war als Volontär bei der Kreiszeitung in Syke mein Schreibtischnachbar. Später sind wir bei Sport Bild jahrelang Kollegen gewesen – und bis heute gut befreundet.
 
Mit Michael Schilling sprach Wolfgang Uhrig