Umsteiger Rainer Schäfer – „Winzer sind ein bisschen demütiger“

Serie „Einsteiger, Aussteiger, Umsteiger“

02.09.2016 Früher war Rainer Schäfer viel bei Fußballspielen, heute ist er auf Weingütern und berichtet über die edlen Tropfen der Kellermeister. Eine logische Entwicklung, der Kickersport ist ihm inzwischen zu abgehoben.
 
Rainer Schäfer (53) studierte Germanistik und Geschichte. Von 2001 bis 2003 war er Redaktionsleiter des St.-Pauli-Magazins 1/4Nach5, von 2005 bis 2007 Chefredakteur von Rund. 2001 schrieb er erstmals über Wein, inzwischen ist er renommierter Fachmann auf dem Gebiet und widmet sich im Fußball lieber Hintergrundthemen. 2010 gewann er den Großen VDS-Preis mit einer Reportage über Andreas Biermann, einen an Depressionen erkrankten Ex-Profi des FC St. Pauli. Schäfer lebt als freier Journalist und Buchautor in Hamburg. Er hat eine Weinkolumne in der taz und schreibt unter anderem für Zeit, Stern und die Weinmagazine Fine sowie Falstaff.
 
sportjournalist: Herr Schäfer, darf man zum Fußballgucken Wein trinken?
 
Rainer Schäfer: Auf alle Fälle. Nur Wein! Ich trinke nie Bier (Foto: Kunz/Augenklick).
 
sj: Es gibt Menschen, die Ihnen da vehement widersprechen und das als snobistisch bezeichnen würden.
 
Schäfer: Das ist kleingeistig. Ich behaupte ja auch nicht, dass Fußballfans, die Bier trinken, Proleten sind. Vor zehn Jahren waren Biertrinker im Stadion noch überproportional vertreten. Auch jetzt wird dort in den seltensten Fällen Wein ausgeschenkt. Aber bei Weltmeisterschaften wird Wein in den Bereichen, wo später gegessen wird, immer wichtiger.
 
sj: Muss man Wein mögen, um darüber zu schreiben?
 
Schäfer: Es ist eine gute Voraussetzung. Man sollte ja auch Fußball mögen, wenn man darüber schreibt. Für mich war Fußball immer der allerschönste Sport.
 
sj: Warum haben Sie Ihren inhaltlichen Schwerpunkt dann verlagert?
 
Schäfer: Die Rahmenbedingungen sind schwieriger geworden. Fußball ist wichtig und schön, aber für mich wird er in der allgemeinen Wahrnehmung überhöht. Mir fehlt die Verhältnismäßigkeit, und das schlägt sich in den Arbeitsbedingungen nieder. 2005 oder 2006 war es zum Beispiel noch einfach, Bundestrainer Joachim Löw in Freiburg zu treffen, ohne ein Bittgesuch an den DFB stellen zu müssen (Löw-Foto: firo Sportphoto/Augenklick). Heute werden häufig Gruppeninterviews angeboten.
 
sj: Wo ist Ihnen die Selbstüberschätzung des Fußballs konkret begegnet?
 
Schäfer: Ich will nicht pauschalisieren, aber ich fand es zunehmend beschwerlich, 19-Jährige zu interviewen, die meinen, dass sie die Größten wären, aber nicht alleine S-Bahn fahren können. Da sind Winzer ein bisschen demütiger, weil ein Hagelschauer eine ganze Jahresarbeit zerstören kann.
 
sj: Warum ausgerechnet Wein?
 
Schäfer: Ich habe mich schon früh dafür interessiert. Meine Tante hatte am Kaiserstuhl einen eigenen Weinberg, deshalb fand ich es naheliegend, mich mit Weinen auch als journalistischem Thema zu beschäftigen. Für mich ist Wein ein sehr spezielles Getränk, das ist deutlich mehr als Alkohol.
 
sj: Wie kommt man in einem neuen Fachgebiet an?
 
Schäfer: Es liegt an einem selbst, ob man ernst genommen wird, und daran, ob die Qualität der Texte stimmt. Porträtieren kann man immer, wenn man sich mit jemandem beschäftigt und nachfragt. Das andere ist, den Wein sensorisch zu erfassen, und dabei hilft eigentlich nur Erfahrung. Da habe ich ein bisschen gebraucht, um so weit zu sein, wie Kollegen, die das seit 20, 30 Jahren machen und vielleicht sogar eine Ausbildung in dem Bereich haben.
 
sj: Haben Sie Seminare besucht?
 
Schäfer: Es gibt Sommeliers und Institute, die Kurse anbieten. Aber ich habe das lieber in der Praxis gemacht. Beim Fußball guckt man auf das erste Spiel taktisch auch anders als auf das 200. So war das auch im Wein. Ich habe sehr viele Reisen ins Ausland unternommen. Dadurch kriegt man die praktische Erfahrung.
 
sj: Gibt es einen Unterschied zwischen Wein- und Fußball-Dienstreisen?
 
Schäfer: Ich war in Südafrika, in Neuseeland – da kann man mit dem Fußball auch hinkommen, aber für mich ist Weinbau mehr Kultur als ein Besuch im Stadion auf der Pressetribüne. Man sieht einfach mehr von Land und Leuten.
 
sj: Können Sie sich eine Rückkehr zum Fußball vorstellen?
 
Schäfer: Ganz raus bin ich ja gar nicht, ich habe in den vergangenen Jahren auch immer mal ein Fußballbuch geschrieben. Was ich nicht mehr mache, ist die tägliche Berichterstattung, und das möchte ich auch nicht mehr. Es fehlt mir nicht, in der Mixed Zone auf Banalitäten zu warten oder auf der Pressetribüne zu sitzen und das Gefühl zu haben, dass es wirklich das absolut Wichtigste ist, was hier gerade passiert. Denn das ist es halt nicht.
 
sj: Welchen Wein können Sie empfehlen?
 
Schäfer: Die Qualität deutscher Weißweine wie Riesling, Silvaner oder Burgunder ist sehr gut geworden (Winzer-Foto: Kunz/Augenklick). Ob Pfalz oder Baden oder die Mosel – da kann man fast keine Fehler mehr machen. Ich würde empfehlen, direkt beim Winzer zu verkosten. Im Sommer würde ich Weine empfehlen, die relativ wenig Alkohol haben. Aber es ist ohnehin ein Trend, die Weine nicht mehr so schwer zu machen, sondern mehr auf Eleganz und Finesse zu setzen.
 
sj: Schauen Sie noch viel Fußball?
 
Schäfer: Och, ich gucke mir meistens die erste Halbzeit an – und am nächsten Morgen dann die Ergebnisse.
 
Mit Rainer Schäfer sprach Katrin Freiburghaus

Dieser Artikel stammt aus der Juli-Ausgabe des sportjournalist, die direkt beim Meyer & Meyer Verlag bestellt werden kann. Mitglieder des VDS können sich das Heft als PDF im Mitgliederbereich kostenlos herunterladen.