„Experten nehmen keinem Journalisten einen Arbeitsplatz weg“

ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz

25.09.2016 ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz glaubt an das Konzept, ehemalige Topsportler in die Berichterstattung einzubinden. Im sportjournalist-Interview nennt er die Gründe.
 
sportjournalist: Herr Gruschwitz, die Zahl von Ex-Stars der Sportszene, die Fernseh-Experten werden, steigt rapide. Nehmen Sie an dieser Inflation teil?
 
Dieter Gruschwitz: Das ZDF hat aktuell nur vier ehemalige Spitzensportler als feste Experten bei Liveübertragungen im Einsatz: Marco Büchel beim Ski alpin, Sven Fischer beim Biathlon, Christian Keller beim Schwimmen und Oliver Kahn beim Fußball. Beim Biathlon ist ferner noch Herbert Fritzenwenger als Co-Kommentator dabei, in der Sportreportage stehen zudem abwechselnd Hanno Balitsch, Simon Rolfes und Holger Stanislawski in der Analyse des Bundesliga-Spieltags im Studio. Andere ehemalige Athleten kommen temporär zum Einsatz: Toni Innauer und Tobias Angerer.
 
sj: Bei der EM waren aber – ebenso wie im Ersten – noch mehr Experten für das ZDF am Ball.
 
Gruschwitz: Stimmt. Dort haben wir uns für diesen Zeitraum mit einem Team von ehemaligen Spielern plus einem ehemaligen Schiedsrichter verstärkt. Dies lag allerdings an dem programmlichen Konzept, das auf Gespräche, Diskussionen und Analysen ausgerichtet war. Mit diesen bekannten Gesichtern erhofften wir uns einen Mehrwert für die Zuschauer und eine höhere Glaubwürdigkeit. Wenn ein Urs Meier über Schiedsrichterthemen spricht, wenn ein Holger Stanislawski Spielszenen analysiert, dann sind das Programmelemente, die von der Zuschauerakzeptanz und auch von der fachlichen Kompetenz kein Redakteur leisten könnte. Aber das war der Spezialfall EM, nicht der Fernsehalltag (Gruschwitz-Foto: GES-Sportfoto/Augenklick).
 
sj: Worin genau besteht denn der Mehrwert für den TV-Zuschauer?
 
Gruschwitz: Darin, dass die ehemaligen Spitzensportler aufgrund einer eigenen sportlichen Karriere den Zuschauern glaubwürdig und kompetent Hintergründe aufzeigen, Erklärungen für Sachverhalte und oftmals neue Einblicke geben können. Sie nehmen damit auch keinem Journalisten einen Arbeitsplatz weg, sie sind eine Ergänzung in einem Team. Natürlich binden Sie damit auch Zuschauer, egal ob sie polarisieren oder mit ihren Kommentaren eher dem Mainstream folgen. Interessant übrigens: Auch wenn oftmals der Einsatz von Experten von anderen Journalisten kritisiert wird, ihre Kommentare werden immer gerne von Printkollegen aufgenommen, weiterverbreitet und diskutiert. Denken Sie an Jürgen Klopp oder aktuell an Oliver Kahn und Mehmet Scholl. Aus ihren Einsätzen ergeben sich gern genommene News für sehr viele andere Medien.
 
sj: Wie werden ehemals Aktive Mitglied Ihres Teams?
 
Gruschwitz: Unserer Auswahl gehen lange Gespräche und Diskussionen voraus. Ich selbst war in meiner Funktion verantwortlich für die Engagements von allen Experten seit 2005. Also unter anderem auch von Klopp und Kahn. Rückblickend kann ich sagen, dass man Vertrauen schenken muss, ein bisschen Weitsicht und ein Gefühl für Potenzial haben sollte. Gerade bei dieser EM fühlte ich mich bestätigt. Kahn war wie auch einst Klopp von Anfang an bereit, die Fernsehwelt zu erlernen, sich weiterzuentwickeln und höchst professionell auch auf dieser Bühne zu arbeiten.
 
sj: Geht es abseits des Fußballs primär darum, das Publikum auf oftmals eher unbekanntem Terrain an die Hand zu nehmen?
 
Gruschwitz: Auch, ja. Nehmen wir Büchel und Fischer: Sie stehen für hohe fachliche Kompetenz, ihre Erklärungen machen Ski alpin und Biathlon verständlich und greifbar für Millionen von Zuschauern, die diese Sportarten selber nie ausgeübt haben.
 
Mit Dieter Gruschwitz sprach Frank Schneller
 
Dieses Interview stammt aus der Ausgabe August 2016 des sportjournalist, die direkt beim Meyer & Meyer Verlag bestellt werden kann. Mitglieder des VDS können sich das Heft als PDF im Mitgliederbereich kostenlos herunterladen.