Umsteiger Roger Stilz – „Ich bin zur Qualitätssteigerung da“

Serie „Einsteiger, Aussteiger, Umsteiger“

05.05.2017 Er war Fußballprofi, spielte im Europapokal. Inzwischen ist Roger Stilz beim FC St. Pauli Leiter des Nachwuchsleistungszentrums. Mit dem sportjournalist spricht er über hohe Erwartungen, große Enttäuschungen und seine Zeit als Journalist.
 
Roger Stilz ist Schweizer, der heute 40-Jährige brachte es in seinem Heimatland zum Zweitligafußballer und spielte mit Vaduz im Europapokal. Stilz, ausgebildeter Grundschullehrer, schloss 2007 sein Studium der Germanistik und Geschichte ab. Er war 2004 eigentlich nur für ein Jahr nach Hamburg gekommen, blieb aber an der Elbe hängen. Dort arbeitete er auch als freiberuflicher Journalist und Unternehmenstexter. Stilz besitzt die Fußballlehrerlizenz und ist seit dem 1. Juni 2016 beim FC St. Pauli Leiter des Nachwuchsleistungszentrums (NLZ). Zuvor war er jeweils kurzzeitig Co-Trainer des Hamburger SV und in Nürnberg.
 
sportjournalist: Roger Stilz, bald führen Sie ein Jahr lang das Nachwuchsleistungszentrum. Wie fällt Ihre Bilanz aus?

Roger Stilz: Ich bin schon ein Fazit-Typ, habe aber noch keine Zwischenbilanz gezogen. Die große Bilanz kommt in der Sommerpause. Wenn die Saison vorbei ist, betrachtet man die vergangenen Monate noch einmal in einem größeren Kontext. In dem Job ist es eine wesentliche Aufgabe, sich vom Alltag freizumachen und eine Supervision-Sicht einzunehmen.

sj: Mit welcher Erkenntnis?

Stilz: Der Alltag ist zuweilen kleinteilig, der Schritt zurück ermöglicht den Überblick. Über die Jahre habe ich meine Selbstreflexion stetig weiterentwickelt. Ich möchte mich stetig verbessern und die Menschen motivieren, mit denen ich arbeite. Dazu muss ich das Vertrauen der Mitarbeiter gewinnen, im NLZ sind es gut 90. Wenn ein Neuer da ist, gibt es am Anfang immer eine gewisse Unsicherheit (Foto Jugendfußballer: GES-Sportfoto/Augenklick).
 
sj: Der FC St. Pauli hat Ihre Stelle neu geschaffen. Wie wollen Sie dafür sorgen, dass sich diese Investition rechnet?
 
Stilz: Ich bin zur Qualitätssteigerung da. Das beinhaltet auch die Trainerentwicklung. Ich will, dass die Trainer nicht nur ihr eigenes Segment sehen, zum Beispiel Technik und Taktik, sondern das ganze Konglomerat. Mir ist aber auch klar, dass wir daran gemessen werden, ob wir Spieler nach oben bringen. Wir haben noch viel zu tun. Im Sommer steht etwa die Zertifizierung an. Wir haben drei Sterne, die müssen wir bestätigen.
 
sj: Die Spieler werden heutzutage immer früher Profis. Wie sehr sind Sie als Pädagoge gefragt?

Stilz: In einem sehr hohen Maße. Unsere Aufgabe ist es, die Jungs richtig einzuschätzen, keinen Quatsch zu erzählen, ehrlich zu spiegeln und Perspektiven aufzuzeigen. Betreuung und Orientierung.

sj: Was bedeutet das in der Praxis?

Stilz: Ich möchte das an prominenten Beispielen verdeutlichen. Julian Brandt oder André Schürrle sind tolle Spieler, die den Sprung von der U19 zu den Profis geschafft haben. Sie sind Freud und zugleich Leid. Freud, weil wir denen gerne zugucken und Leid, weil sie anderen Jungs das Bild vermitteln, ich muss es auch so schnell schaffen. Doch so viele aus der Kategorie gibt es nicht (Foto Roger Stilz als HSV-Co-Trainer: firosportphoto/Augenklick).
 
sj: Sie müssen die hohen Erwartungen bei Spielern und deren Umfeld zuweilen auch enttäuschen?
 
Stilz: Wir bilden aktuell für die zweite Liga aus. Der Weg in den Profifußball ist hier kürzer als bei einem Erstligisten, das ist ein Trumpf. Aber ich muss auch Spielern sagen, dass es beim FC St. Pauli nicht reichen wird. Dann helfen wir denen beim weiteren Weg. Ich möchte, dass wir uns in die Augen schauen und korrekt tschüß sagen. Wir betrachten immer jedes einzelne Spielerprojekt, wie wir sie nennen, individuell. Erst der Mensch, dann der Inhalt – das gilt insbesondere beim FC St. Pauli.

sj: Ihr Klub ist dennoch ein Wirtschaftsunternehmen. Lange kämpfte der gegen den Abstieg aus der zweiten Liga.
 
Stilz: Natürlich, ich sehe es als meine Aufgabe, existenzielle Werte wie Toleranz und Vielfalt, für die der FC St. Pauli steht, mit dem Leistungsgedanken zu vereinen. Die Jungs sollen so gut wie möglich vorbereitet werden. Dazu gehört bei uns die Fünf-Finger-Regel: Fußball, Athletik, Persönlichkeitsentwicklung/Mentales, Schule/Beruf sowie Umfeld. Weil: Wenn es richtig losgeht, beispielsweise das erste Profitraining oder Profispiel, muss der Spieler in den unterschiedlichen Bereichen bereit sein. Und wenn er vor 30.000 Zuschauern vor Nervosität zittert, schafft er es nicht, egal wie gut er als Fußballer sein mag.
 
sj: Sie stammen aus der Schweiz und leben seit vielen Jahren in Deutschland. Was fallen Ihnen für Unterschiede bezüglich des Fußballs auf?
 
Stilz: Der deutsche Fußball hat relativ lange gebraucht, dass alte Strukturen aufgebrochen wurden. Erst als es richtig Hiebe gab, wurde etwas geändert – mit Erfolg. Ich habe aber immer die mentale Stärke der deutschen Spieler bewundert. Diese Kaltschnäuzigkeit schon bei jungen Leuten, auch unter dem medialen Druck zu funktionieren. In der Schweiz ist es lieb, die deutschen Medien sind heftiger.
 
sj: Sie haben selbst parallel zum Fußballsport als Journalist gearbeitet. Wie kam es dazu?
 
Stilz: Meine zweite große Leidenschaft neben Fußball war Literatur und Schreiben, ich hatte Germanistik im Hauptfach. Da war es ein naheliegender Gedanke, mich in dem mir zweitliebsten Bereich auszutoben und zu versuchen. Ich hatte viel Spaß und habe spannende Sachen gemacht, neben Fußball und Sport allgemein auch Feuilleton und Reise-Reportagen. Ich möchte nichts missen von dieser Zeit.
 
sj: Warum siegte am Ende dennoch der Fußball?

Stilz: Ich wollte noch näher am Platz sein, als nur darüber zu schreiben. Die Zeit der journalistischen Selbständigkeit hat mich jedoch geprägt. Viele verschiedene Sachen parallel zu tun ist kein Nachteil für meine Arbeit im Fußball.
 
Mit Roger Stilz sprach Clemens Gerlach

Dieser Artikel stammt aus der Ausgabe Mai 2017 des sportjournalist, die direkt beim Meyer & Meyer Verlag bestellt werden kann. Mitglieder des VDS können sich das Heft als PDF im Mitgliederbereich kostenlos herunterladen.