„Eine richtige Lawine kam ins Rollen“

Spiegel-Redakteure Wulzinger und Buschmann im Interview – Teil II

07.12.2017 Die „Football Leaks“ waren gigantische Datenmengen. Im zweiten Teil des sportjournalist-Interviews erklären die Spiegel-Redakteure Michael Wulzinger (52) und Rafael Buschmann (35), was technisch und personell nötig war, um bei all den Informationen den Überblick zu behalten.
 
Im ersten Teil des dreiteiligen Interviews mit Michael Wulzinger und Rafael Buschmann ging es um die Anfänge der Recherche. Alles begann mit einer E-Mail an einen unbekannten Adressaten.

sportjournalist: Michael Wulzinger und Rafael Buschmann, wie kam es zum ersten Treffen mit dem Whistleblower „John“ von Football Leaks?

Rafael Buschmann: John und ich schrieben uns teilweise mehrmals täglich. Er wollte sich zu diesem Zeitpunkt nicht mit mir treffen, da er Angst davor hatte, seine Anonymität zu verlieren. In einer Nacht im Februar 2016 schrieb er mir dann – für mich ziemlich überraschend –, dass er mich kennenlernen wollte. Ich war da gerade auf einer Familienfeier im Sauerland, schön abgelegen auf einem Berg ohne anständigen Internet-Empfang. Es wurde eine lange Nacht, die ich in den frühen Morgenstunden am Fuß dieses Berges damit verbrachte, E-Mail-Verschlüsselungsprogramme auf mein Handy downzuloaden und zu verstehen. Lohn dieser Mühen: Ich hatte ein Treffen mit John in Aussicht.

Michael Wulzinger: Rafael informierte mich darüber am nächsten Morgen. Nur er wusste, wo es genau hingehen sollte, wir vereinbarten, dass er sich zumindest zweimal am Tag melden würde, damit wir sicher sein konnten, dass es ihm gut ging.

Buschmann: Ich flog am nächsten Tag in eine osteuropäische Stadt und wartete stundenlang im ausgemachten Hotelzimmer. Die Heizung war kaputt, es war unsäglich heiß. Bis es an der Tür klopfte und John vor mir stand: ein junger, schwarzhaariger Portugiese, der mich schief angrinste.

sj: Wie verliefen die nächsten Tage?

Buschmann: Wir lernten uns in zwei langen, alkoholreichen Partynächten kennen. John verriet mir Monate später, dass er mich mit all dem Bier und Schnäpsen testen wollte. Er glaubt, dass betrunkene Menschen ihren wahren Charakter offenbaren und dann sichtbar wird, ob sie Geheimnisse für sich behalten können oder ins Schwätzen geraten. So schlecht scheine ich mich nicht geschlagen zu haben, denn kurz vor unserer Verabschiedung drückte er mir zwei Festplatten in die Hand. Darauf waren rund 800 Gigabyte gespeichert, ein riesiger Schatz. Bis zum Dezember 2016 wuchs der Datenberg auf rund 18,6 Millionen Dokumente an. Es ist das größte Leck in der Sportgeschichte.

Wulzinger: Als Rafael wieder in Hamburg war, mussten wir überlegen, wie wir mit dieser riesigen Datenmenge umgehen sollten. Aus heutiger Sicht muss man sagen, dass wir am Anfang sehr naiv mit dem Material gearbeitet haben. Wir druckten zum Beispiel Verträge oder E-Mail-Verläufe, die uns interessant erschienen, einfach aus. Daraus wurde sehr schnell eine riesige Papierflut, in der wir versanken. Bei so einem Leck ist eine ganz andere Struktur notwendig, um Herr über das Material zu werden.

sj: Wie stellten Sie das an?

Wulzinger: Wir entschieden, dass so eine gigantische Datenmenge nicht nur von einem Magazin bearbeitet werden konnte und kontaktierten unsere Koordinatoren fürs Investigative, Jürgen Dahlkamp und Jörg Schmitt. Gemeinsam mit ihnen und unserem stellvertretenden Chefredakteur Alfred Weinzierl luden wir unsere Medienpartner vom EIC (European Investigative Collaboration, die Red.) nach Hamburg ein. Mehr als 70 Leute saßen kurz darauf gemeinsam mit uns in unserem Konferenzraum. Irgendwann schaute mich Rafael an und ich wusste, was sein Blick zu sagen hatte.

sj: Nämlich?

Buschmann: Dass hier gerade eine richtige Lawine ins Rollen kam und dass das alles ziemlich verrückt ist. Der Zustand hält bis heute an.

Mit Michael Wulzinger und Rafael Buschmann sprach Alex Raack. Lesen Sie im dritten und letzten Teil des Interviews, weshalb es bei Recherche und Aufbereitung der Informationen notwendig war, den Kreis der Mitstreiter möglichst klein zu halten.

Dieser Artikel stammt aus der Ausgabe Oktober/November 2017 des sportjournalist, die direkt beim Meyer & Meyer Verlag bestellt werden kann. Mitglieder des VDS können sich das Heft als PDF im Mitgliederbereich kostenlos herunterladen.