„Bewegende Recherche ist überall möglich“

Umsteiger Niklas Schenck im Interview – Teil I

08.01.2018 Im Sportjournalismus war Niklas Schenck sehr erfolgreich. Doch er entschied sich um. Im ersten Teil des dreiteiligen Interviews erklärt er, wieso ihn andere Themenfelder inzwischen mehr reizen und was ihn in die afghanische Hauptstadt Kabul gezogen hat.
 
Er war ein preisgekrönter Sportjournalist. Doch mittlerweile ist Niklas Schenck in anderen Medienbereichen aktiv. Pharma-Skandale, Geheimdienste oder Kriegsgräuel sind zum Beispiel die Themen des Investigativspezialisten, der unter anderem Geographie und Umweltgeochemie studierte. Eine besondere Beziehung hat Schenck, Jahrgang 1983, zu Afghanistan entwickelt. Kabul ist neben Hamburg sein zweiter Lebens- und Arbeitsmittelpunkt geworden.

sportjournalist: Niklas Schenck, für Ihre Recherche zu den Zielvereinbarungen zwischen Bundesinnenministerium und Deutschem Olympischen Sportbund haben Sie zusammen mit Daniel Drepper 2012 den renommierten Wächterpreis erhalten. Warum folgten danach keine weiteren Sportgeschichten?

Niklas Schenck: Ich bin einfach langsam in andere Felder hineingewachsen. In Hamburg, während der Zeit an der Henri-Nannen-Schule holte mich Oliver Schröm, der Chef des Stern-Investigativteams, für ein paar Monate zu sich. Als erstes hat er mir 16.000 Seiten einer Ermittlungsakte zum Wettbetrug im Fußball hingeknallt. „Lies das, dann reden wir, was darin für Geschichten stecken.“ Das ist Lernen wie im Bergwerk. Bei dem riesigen Recherche-Projekt „Geheimer Krieg“ für Süddeutsche Zeitung und ARD habe ich dann von brillanten Kollegen dazugelernt. Irgendwie war Sport dann Geschichte.

sj: Reizen Sie keine Recherchen in puncto Sportkorruption oder Doping?

Schenck: Doch. Nur her mit den Unterlagen! Es haben sich einfach andere Recherchen ergeben, die mich extrem bewegt haben. Manche Geschichten passieren einem einfach.

sj: Wie sehen Sie mit einem gewissen Abstand das Sportbusiness heute, speziell den Fußball?

Schenck: Ich verfolge Fußball nur sporadisch. Bei anderen Sportarten ist etwas Schönes passiert. Ich kann heute wieder emotionaler mitgehen, als ich mir das erlaubt hätte, während ich selbst viel über Sport berichtet habe. Fabian Hambüchens Olympiasieg am Reck zum Beispiel – da habe ich im Berliner Hauptbahnhof den Livestream auf dem Smartphone angeschaut und bin danach weinend und jubelnd die Rolltreppe hinunter. Ich habe mein Leben lang selbst geturnt, da war mir auch egal, dass das ein paar Passanten sehr verwirrt hat.

sj: Viele Medienunternehmen und Sender bauen Rechercheteams für investigative Geschichten aus. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Schenck: Mich inspirieren die Kollegen, die in großen Teams über Monate zu wichtigen Themen recherchieren und dazu alle Ressourcen zur Verfügung bekommen. Aber das heißt nicht, dass alle anderen Journalisten diesen Teams das Feld überlassen müssen. Starke, bewegende Recherche blüht auf bei großem Ressourceneinsatz, aber möglich ist sie überall (Foto: www.veniapeuker.de).

sj: Welche Eigenschaften braucht Ihrer Ansicht nach ein investigativer Journalist?

Schenck: Neugier und Haltung. Und eine gewisse Frustrationstoleranz.

sj: Sie leben in Hamburg und Kabul. Wie kam es dazu, dass Sie nach Afghanistan gegangen sind?

Schenck: Meine heutige Frau Ronja von Wurmb-Seibel, die ebenfalls Journalistin ist, hatte sich in den Kopf gesetzt, nach Afghanistan zu ziehen, und hat mir das schmackhaft gemacht. Ich bin ihr Ende 2013 gefolgt und dann mehr als ein Jahr geblieben. Für unseren Kinodokumentarfilm waren wir noch zwei Mal lange dort.

sj: Ihr Film „True warriors“, der im November anlief, handelt von einer Kabuler Schauspielergruppe, die ein Theaterstück über Selbstmordanschläge aufführt. Bei der Premiere kam es zu solch einem Attentat. Wie entstand die
Idee, darüber einen Film zu drehen?

Schenck: Meine Frau und ich waren zu dieser Vorstellung eingeladen. Wir konnten wegen unseres Fluges nach Hamburg aber nicht hingehen. Freunde, die dort waren und überlebten, haben uns auf eine Weise von dem Geschehen in dem Saal erzählt, die sich für uns in keinem Nachrichtenbeitrag über einen Anschlag je transportiert hatte. Da war uns schnell klar: Darüber müssen wir einen Film machen. Auch um dem Tonfall der Debatten hier in Deutschland über Flucht und deren Ursachen eine ruhigere, erzählerische Stimme entgegenzusetzen.

Mit Niklas Schenck sprach Clemens Gerlach. Lesen Sie im zweiten Teil des dreiteiligen Interviews, welche Vorsichtsmaßnahmen nötig sind, um in Afghanistan zurechtzukommen.

Dieser Artikel stammt aus der Ausgabe Dezember 2017/Januar 2018 des sportjournalist, die direkt beim Meyer & Meyer Verlag bestellt werden kann. Mitglieder des VDS können sich das Heft als PDF im Mitgliederbereich kostenlos herunterladen.