„Das Pathos der kicker-Sprache ist sehr hoch“

Medienwissenschaftler Christoph Bertling im Interview – Teil II

27.12.2020 Der kicker begeht dieses Jahr seinen 100. Geburtstag. Dr. Christoph Bertling vom Institut für Kommunikations- und Medienforschung der Deutschen Sporthochschule Köln, ehemals selbst Sportjournalist, spricht im sj-Interview über die pathetische Sprache des Fachmagazins und dessen gleichzeitige Innovationsfreude.
 
Im ersten Teil des zweiteiligen Interviews mit Dr. Christoph Bertling ging es um die Rolle des kicker in der Branche und dessen früheren Hang zum Fußball-Lobbyismus. Das Fachblatt begeht 2020 sein 100-jähriges Jubiläum.

sportjournalist: Herr Dr. Bertling, Sie behaupten, dass der kicker eine Tradition lebt und bedient, die die Fußballwelt haben möchte. Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?

Dr. Christoph Bertling: Der Leser kauft den kicker wegen der glaubwürdigen Fakten über das Geschehen und würde sehr viele Hintergründe gar nicht stark goutieren. Das tun übrigens große Teile der Sportrezipienten nicht. Sie wollen Sport vor allem genießen und legen weniger Wert auf Hintergründe, so schade das auch ist. Gerade der kicker muss eine große Masse ansprechen. Vielleicht schafft er nicht immer den Spagat zwischen dem Anhimmeln und Übersteigern des Fußballs und einer gesunden Relation zum Objekt der Berichterstattung. Das ist dem kicker aber auch mit in die Wiege gelegt worden.

sj: In der Corona-Krise hat der kicker durchaus hintergründig und kritisch berichtet.

Bertling: Das sehe ich genauso. Er hat es in dieser Krise geschafft, die Dinge auf den Punkt zu bringen und vor allem abzuwägen. Das zeigt auch das neue Erscheinungsbild im Vergleich zu früher: Dass man, wie immer, zwar für den Fußball ist, diesen aber auch zunehmend einordnet (Bertling-Foto: DSHS).

sj: Ist die Nähe zu den Protagonisten des Fußballs Stärke und Schwäche zugleich?

Bertling: Ja, wobei die Nähe auch eine Notwendigkeit ist. Ich finde es zu einfach zu sagen, dass der kicker eine klebrige Nähe habe. Man muss fair genug sein und berücksichtigen, dass der kicker von der Fußballwelt extrem abhängig ist. Da bedarf es sehr viel Mut für Kritik, und den wünsche ich dem kicker. Den hat er nicht immer gehabt, zeigt diesen aber inzwischen wohldosiert.

sj: Als hohes Gut betont wird beim kicker oft die Glaubwürdigkeit. Inwieweit hebt er sich dabei tatsächlich ab?   

Bertling: Das Vertrauen bezieht sich auf die Verlässlichkeit der Information. Der Rezipient glaubt einer Marke, wenn sie für etwas steht. Und das tut der kicker.

sj: Sie haben es angesprochen, gerade unter den Kollegen wird der Schreibstil im kicker zuweilen abschätzig beurteilt. Ist das berechtigt im Vergleich zu großen Teilen der Sportberichterstattung?

Bertling: Ich glaube, dass das Pathos sehr hoch ist. Was man aber festhalten muss: Die breite Leserschaft, beispielsweise auch bei Regionalzeitungen, wünscht sich kein Feuilleton, sondern will klar verständlich wissen, was Fakt ist.

sj: Der kicker hat vergleichsweise früh auf die Chancen des Internets gesetzt und ist in seinem Segment Marktführer bei der digitalen Reichweite. Was leiten Sie daraus ab?

Bertling: Der kicker hat in den 1990er-Jahren das Gegenteil von dem gemacht, was ihm oft angekreidet wird: Dass er konservativ, träge sei. Aber im digitalen Bereich war er ein Vorreiter. Er hat sehr früh erkannt, dass die Printausgabe langfristig ein haptisches Beiprodukt der Marke werden dürfte. Die Vorteile des kicker waren sein Archiv und seine vielen Daten, mit denen die digitale Welt sehr gut bedient werden konnte. Das führen sie sehr konsequent fort. Damit und mit ihrer Glaubwürdigkeit sind sie sehr gut aufgestellt für die Zukunft, wenn sie sich nicht zu stark ändern, sondern sukzessive.

Mit Dr. Christoph Bertling sprach Maik Rosner

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