Chefreporter Christoph Biermann – „Der Fußball hat so viele hässliche Seiten“

Interview zum 11Freunde-Jubiläum – Teil I

07.10.2020 Die 11Freunde feiern 2020 ihr 20-jähriges Jubiläum. Im ersten Teil des zweiteiligen sportjournalist-Interviews spricht Chefreporter Christoph Biermann über Ignoranz, Authentizität und die Auswüchse des Profifußballs.
 
Für 11Freunde schreibt Christoph Biermann seit 2004. Das „Magazin für Fußballkultur“, gegründet von Philipp Köster und Reinaldo Coddou H., ist längst eine etablierte Marke und feiert 2020 sein 20-jähriges Bestehen. Biermann, der wie Köster und Coddou dem Verband der Sportjournalisten Berlin-Brandenburg angehört, ist seit 2010 festes Mitglied der Redaktion und derzeit Chefreporter. Der 59-Jährige, vormals bei SZ und Spiegel, hat etliche Bücher geschrieben, unter anderem „Matchplan – Die neue Fußballmatrix (2018, Kiepenheuer & Witsch).

sportjournalist: Herr Biermann, welches 11Freunde-Heft war das erste, das Sie gelesen haben?

Christoph Biermann: Das erste. Ich habe es damals von Philipp Köster zugeschickt bekommen. Als er es neulich im Büro aus dem Regal zog, steckte sogar noch sein Anschreiben drin. So im Sinne von: „Schauen Sie mal, wir machen was Neues...“ – man siezte sich damals noch.

sj: Gefiel Ihnen, was Sie lasen?

Biermann: Ja, sehr! Einerseits, weil ich immer schon Interesse an Hintergrundgeschichten hatte, andererseits, weil von Beginn an so viel Wert auf gute Fotos und Gestaltung sowie Humor gelegt wurde (Biermann-Foto: Kiepenheuer & Witsch).

sj: Das sahen in den ersten Jahren nicht alle Kollegen so, hinter vorgehaltener Hand fiel schon mal der Begriff „Schülerzeitung“.

Biermann: Ich habe immer gerne Fanzines gelesen, also von den Fans gemachte und früher noch selbst gedruckte Heftchen (lacht). Ich habe als Anhänger des VfL Bochum zusammen mit Freunden sogar an einem mitgearbeitet. Diese Fanzines waren eine relevante Stimme in vielen Diskussionen, schon ab Mitte der 1980er-Jahre im englischen Fußball und später auch bei uns. Um Journalismus ging es dabei nicht, aber diese Hefte hatten etwas Direktes und Authentisches, und 11Freunde ist ja aus einem Arminia-Bielefeld-Fanzine hervorgegangen.

sj: Anders als Fanzines versteht sich 11Freunde aber als journalistische Publikation.

Biermann: Selbstverständlich! Anfangs habe ich das Magazin aber auch als den Versuch verstanden, die sehr direkte Diskussion an der Fanbasis ein bisschen für den Mainstream zu übersetzen. Ohne die Bindung an einen einzelnen Verein standen die verbindenden Themen im Mittelpunkt. Damit meine ich nicht nur Fanpolitik, sondern eine bestimmte Haltung dem Fußball gegenüber, eine bestimmte Nostalgie, eine bestimmte Freude, die unverändert im Heft steckt.

sj: Die Gesprächspartner sind mit den Jahren prominenter geworden. War es zu Beginn schwierig, die Schwergewichte der Branche für Interviews zu gewinnen?

Biermann: Ich habe es nicht mehr erlebt. Aber gerne erzählt wird die Anekdote des damaligen Pressesprechers von Hertha BSC, der auf eine Anfrage sagte: Meldet euch mal wieder, wenn ihr ein paar Tausend Hefte mehr verkauft. Solche Dinge sind in der Anfangszeit wohl häufiger passiert, als man das Magazin nicht ernst genommen und nicht gesehen hat, was das Besondere ist.

sj: Heute monieren Leser der ersten Stunde dagegen zu viel Platz für die Stars.

Biermann: Wir bewegen uns im weitesten Sinne im Bereich der Populärkultur, wo es immer ein Spannungsverhältnis zwischen Underground und Mainstream gibt. Ich würde aber in Frage stellen, dass alles mainstreamiger geworden ist und halte das auch für eine müßige Diskussion.

sj: Weil Fußballkultur alle Bereiche vom Fanritual bis zum Weltfußballer abdeckt?

Biermann: Wenn man Fußballkultur als Oberbegriff dafür versteht, was Fußball mit den Menschen macht und sie mit dem Spiel, ist sie überall. Und sie hat unabhängig davon, ob man alle Ausformungen davon gut findet, ganz zentral mit dem Profifußball zu tun. Denn ganz viel von der Liebe zum Fußball dockt unbestreitbar dort an. Deshalb leiden ja so viele Leute unter dieser Liebe auch so, weil ihr Gegenstand – die Vereine und der Fußball insgesamt – so viele hässliche Seiten hat.

Mit Christoph Biermann sprach Katrin Freiburghaus. Lesen Sie im zweiten und letzten Teil des Interviews mit Christoph Biermann, welchen Einfluss der Einstieg von Gruner+Jahr bei und auf 11Freunde hatte und wie sich seiner Einschätzung nach die Corona-Krise auf den Fußball auswirken wird.

Dieses Interview stammt aus dem sportjournalist, es erscheint online in einer zweigeteilten Fassung. Hier geht es zur Bestellung von sj-Jahresabonnement und Einzelheften beim Meyer & Meyer Verlag. Mitglieder des VDS erhalten den alle zwei Monate erscheinenden sportjournalist automatisch per Post und können sich das Heft zudem im Mitgliederbereich kostenlos als PDF herunterladen. Dies gilt auch für ältere Ausgaben.