Chefreporter Christoph Biermann – „Wir sind nie zynisch“

Interview zum 11Freunde-Jubiläum – Teil II

13.10.2020 Die 11Freunde feiern 2020 ihr 20-jähriges Jubiläum. Im zweiten und letzten Teil des sportjournalist-Interviews spricht Chefreporter Christoph Biermann über wahre Liebe, beharrliche Leser und seine Gesangskunst.
 
Für 11Freunde schreibt Christoph Biermann seit 2004. Das „Magazin für Fußballkultur“, gegründet von Philipp Köster und Reinaldo Coddou H., ist längst eine etablierte Marke und feiert 2020 sein 20-jähriges Bestehen. Biermann, der wie Köster und Coddou dem Verband der Sportjournalisten Berlin-Brandenburg angehört, ist seit 2010 festes Mitglied der Redaktion und derzeit Chefreporter. Der 59-Jährige, vormals bei SZ und Spiegel, hat etliche Bücher geschrieben, unter anderem „Matchplan – Die neue Fußballmatrix (2018, Kiepenheuer & Witsch). Im ersten Teil des zweiteiligen Interviews ging es um die Anfänge der 11Freunde und die Auswüchse der Kommerzialisierung im Fußball.

sportjournalist: Herr Biermann, hat sich die Themensetzung der 11Freunde seit dem Einstieg von Gruner + Jahr 2010 verändert?

Christoph Biermann: Ein Magazin entwickelt und verändert sich, wenn es ein lebender Organismus ist, ständig. Aber wohin diese Entwicklung geht, ist uns nie von außen diktiert worden. Im Gegenteil: Es gab immer ein sehr großes Vertrauen, dass wir die Dinge schon richtig machen. Und in der Haltung modernisieren wir immer wieder mal, zugleich bleiben Grundkonstanten.

sj: Eine ist die „Günter Hetzer“-Kolumne. Wie lange kann man so etwas machen, ohne dass es zum Selbstzitat wird?

Biermann: Vor ein paar Jahren hatte Philipp beschlossen, es mal gut sein zu lassen – und wurde durch den wütenden Protest der Leser wieder an den Schreibtisch gescheucht. Das gibt es eben manchmal auch: Man denkt, es reicht, dabei reicht es gar nicht. Und so lange die Leser darauf beharren, dass sie ihren „Hetzer“ haben wollen, wird Philipp ihn weiter schreiben (Biermann-Foto: Kiepenheuer & Witsch).

sj: Es hat seit den 1990er-Jahren einige Magazine gegeben, die sich auf Fußball spezialisierten, aber wieder aufgaben. Warum gibt es 11Freunde seit 20 Jahren?

Biermann: Ich glaube, dass der Erfolg in der Mischung liegt. 11Freunde ist ernsthaft und lustig, kritisch und sentimental, es gibt topseriösen Journalismus und wilde Albernheit. Dazu immer außergewöhnliche Fotos und eine erstklassige Gestaltung, deren Bedeutung von vielen Journalisten leider immer noch unterschätzt wird. Bei aller Vielstimmigkeit gibt es aber ein verbindendes Element: die Liebe zum Gegenstand. Wir sind manchmal äußerst kritisch und beißend ironisch, aber 11Freunde ist nie zynisch.

sj: Wie viel Liebe zum Objekt der Berichterstattung verträgt sich mit Journalismus?

Biermann: Man darf das mit der Liebe nicht missverstehen. Wir sinken nicht auf die Knie, wenn wir mit Mats Hummels sprechen. Die journalistische Distanz zu den Protagonisten des Spiels ist bei 11Freunde sogar eher größer als bei vielen anderen Medien. Die Liebe gilt ja dem, was dieses Spiel mit den Menschen macht. Das öffnet den Blick, und dadurch kommt alles Mögliche in Sicht, eben auch Fans. Sie sind Protagonisten des Spiels, sie gestalten es mit, und deshalb sind auch sie ein Thema. Das verträgt sich übrigens auch ganz wunderbar mit Journalismus.

sj: Wie sehr treffen die pandemiebedingten Spiel- und Turnierabsagen ein Magazin, das nicht zwingend auf die Tagesaktualität angewiesen ist?

Biermann: Wirtschaftlich trifft es uns hart, wie wohl fast alle. Journalistisch ist es für uns zweifellos etwas leichter, ein Magazin über Fußball zu füllen. Aber auch wir reagieren auf den aktuellen Fußball, wenn auch indirekter. Monatelang in einen fußballleeren Raum zu produzieren, würde auch für uns zäh.

sj: Ist die Corona-Krise eine Chance für den Profifußball, seine Entkopplung von der Realität zu hinterfragen?

Biermann: Das passiert gerade. Der Verdruss, mit dem auf diese ganze Diskussion zum Re-Start der Bundesliga reagiert worden ist, hat viele Leute im Fußball ziemlich überrascht und erschreckt. Hinsichtlich der Frage, ob dieses Erschrecken lange genug nachhält, um wirklich Veränderungen herbeizuführen, sind meine Hoffnungen dagegen übersichtlich. Aber wenn überhaupt eine Gelegenheit dazu besteht, dann jetzt. Einerseits ist blitzschnell offengelegt worden, wie windschief ihr Geschäftsmodell ist. Und dann haben einige Fußballbosse verstanden, dass sie mit dem, wie sie Fußball betrieben haben, ihr Publikum sogar wirklich verlieren könnten.

sj: Die 11Freunde-Redaktion ist für ihr glückliches Händchen bei der Suche nach Skurrilitäten im Internet berüchtigt. Sie haben mal eine Single eingesungen – wurden Sie zum Einstand mit „Deutscher Meister wird nie der VfL“ begrüßt?

Biermann: Sie kannten das Lied natürlich, aber ich bin nie gezwungen worden, dabeizustehen, wenn sich das jemand angehört hat. Dafür möchte ich mich an dieser Stelle bei allen herzlich bedanken.

Mit Christoph Biermann sprach Katrin Freiburghaus

Dieses Interview stammt aus dem sportjournalist, es erscheint online in einer zweigeteilten Fassung. Hier geht es zur Bestellung von sj-Jahresabonnement und Einzelheften beim Meyer & Meyer Verlag. Mitglieder des VDS erhalten den alle zwei Monate erscheinenden sportjournalist automatisch per Post und können sich das Heft zudem im Mitgliederbereich kostenlos als PDF herunterladen. Dies gilt auch für ältere Ausgaben.