„Das Bewusstsein der Frauen verändert sich“

VDS-Antidiskriminierungsbeauftragte Ruth Gerbracht

28.09.2020 Ruth Gerbracht war 30 Jahre lang beim Bremer Weser-Kurier in der Sportredaktion tätig und ist dort seit 2019 als Vorsitzende des Betriebsrats freigestellt. Sie ist 1. Vorsitzende des Vereins Bremer Sportjournalisten und Beauftragte für Chancengleichheit im VDS. Ein Gespräch über die „#Metoo“-Debatte, Selbstbewusstsein und fremde Hände in den Haaren.
 
sportjournalist: Frau Gerbracht, Sie sind beim VDS Ansprechpartnerin für geschlechtsspezifische Diskriminierung oder Belästigung. Wie fällt Ihr erstes Fazit als Beauftragte für Chancengleichheit aus?

Ruth Gerbracht: Kurz. Ich bin in meiner neuen Funktion noch nicht aktiv geworden, weil sich noch niemand gemeldet hat. Ich hoffe, dass es daran liegt, dass nichts mehr passiert, was mich sehr freuen würde. Aber wenn es um Belästigung oder Schlimmeres geht, spielen Angst und Unsicherheit immer eine große Rolle. Wenn meine Stelle irgendwann tatsächlich überflüssig sein sollte – umso besser.

sj: Woraus speist sich Ihre Zuversicht, dass es weniger unangemessenes Verhalten gegenüber Kolleginnen gibt?

Gerbracht: Jüngere Kollegen haben eine andere Erziehung genossen und sind anders sensibilisiert, das ist tatsächlich meine große Hoffnung. Sie gehen mit Frauen anders um, als ich das aus meinen 30 Jahren Berufserfahrung kenne. Ich habe den Eindruck, dass sich gleichzeitig auch das Bewusstsein der Frauen verändert. Ich erlebe viele junge Redakteurinnen und Volontärinnen, die ein großes Selbstbewusstsein haben, dem entgegenzutreten. Aber das darf natürlich nicht die Voraussetzung sein – deshalb wäre ich gern für alle anderen da.

sj: Was hat Sie dazu bewogen, diese Funktion zu übernehmen?

Gerbracht: Ich selbst bin beruflich damit groß geworden, dass an unangemessenem Verhalten von Männern überhaupt kein Anstoß genommen wurde. Dass das Frauen unangenehm sein könnte, kam gar nicht vor. Aber ich stelle in der Rückschau schon fest, dass einiges vorgekommen ist, was ich mir heute verbitten würde. Deshalb habe ich mich direkt für diese Stelle gemeldet. Mir ist nie etwas Schlimmes passiert, aber es gab immer wieder Situationen, in denen ältere Herren – Kollegen und Sportfunktionäre – Grenzen überschritten haben: den Arm um einen legen, ins Haar fassen, solche Dinge.

sj: Sehen Sie eine Entwicklung?

Gerbracht: Ja. Heute würde ich sagen: Nimm die Finger aus meinen Haaren! Denn das Klima, in dem ich das täte, wäre auch ein ganz anderes. Wenn ich mir vorstelle, dass ich früher den Termin abgebrochen hätte und einfach gegangen wäre – ich weiß nicht, was mein Chef da gesagt hätte. Für eine Frau im Sport gehörte es lange auch dazu, dass man einstecken konnte. Trotzdem muss das Ziel nicht darin bestehen, dass Frauen ihre Gleichbehandlung vehementer einfordern, sondern darin, dass sich Kollegen von sich aus respektvoll verhalten.

sj: Können Sie sich an eine Situation erinnern, in der sich Kollegen respektlos verhalten haben, weil Sie eine Frau sind?

Gerbracht: Als ich eine Stelle gesucht habe, hat mich mal ein Sportchef auf meine Bewerbung hin eingeladen. Er sagte mir dann, dass er gar keine Stelle für mich frei habe, mich aber einfach mal kennenlernen wollte. Da hab ich mich wütend ins Auto gesetzt und bin nach Hause gefahren. Aber bei dieser Wut im privaten Kreis blieb es dann eben auch – und das kann es ja eigentlich nicht sein. Ich weiß nicht, ob so etwas heute noch passiert. Ich hoffe sehr, dass Kolleginnen so etwas heute öffentlich machen würden, aber dafür muss man taff sein, und noch einmal: Für alle anderen möchte ich die Anlaufstelle sein. Das gilt übrigens für Männer und Frauen gleichermaßen.

sj: Hat die „#Metoo“-Debatte Frauen darin bestärkt, auf ihren Grenzen zu bestehen, obwohl sie im Sportjournalismus fast überall in der Unterzahl sind?

Gerbracht: Die Offenheit der Debatte ist wichtig gewesen. Ich glaube, dass das Frauen bei der Einordnung gerade solcher kleineren Übergriffigkeiten hilft. Denn der klassische Vorwurf, hysterisch zu sein, oder das Etikett „Die ist schwierig“ sind Hemmnisse. Man muss klar sagen: Wenn ich mich damals in meinem beruflichen Umfeld über so etwas aufgeregt hätte, hätte man mir empfohlen, mich nicht so anzustellen.

Mit Ruth Gerbracht sprach Katrin Freiburghaus

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