„Ich wollte aus dem Sport raus“

Umsteiger Joachim Mölter

15.06.2022

Joachim Mölter, Jahrgang 1963, war – von einem dreieinhalbjährigen Intermezzo bei der FAZ und als Freelancer unterbrochen – seit 1992 Sportredakteur bei der Süddeutschen Zeitung. Im Sommer 2021 wechselte er als Polizeireporter hausintern in den Lokalteil. Ein Gespräch der sportjournalist-Reihe „Einsteiger, Aussteiger, Umsteiger“ über Tatorte, Entfremdung und das Recht zu lügen.

 

sportjournalist: Herr Mölter, war Ihr Ressortwechsel eine Entscheidung für Ihre neue Aufgabe oder gegen die alte?

Joachim Mölter: Ich wollte aus dem Sport raus, das war kein Geheimnis. Meine Bindung zum Sport hatte auf sehr vielen Ebenen nachgelassen.

sj: Aus journalistischer Sicht oder generell?

Mölter: Beides. Mir gefallen viele Entwicklungen im Sport nicht – IOC, FIFA, DFB. Und wenn ein Klub wie der FC Bayern zehnmal nacheinander Meister wird, macht es das nicht spannender. Journalistisch fällt alles außer Fußball hinten runter und wird wenig wertgeschätzt. Ich komme aus der Leichtathletik, ich kannte früher alle Welt-, Europa- und deutsche Rekorde auswendig. Ich wusste, wer wo wann Olympiasieger, Welt- oder Europameister geworden ist. Aber im Zuge von späteren Doping-Ermittlungen sind immer häufiger Rekorde, Titel und Medaillen nachträglich aberkannt worden. Es hat sich irgendwann gar nicht mehr gelohnt, sich eine Leistung zu merken, weil sie sehr wahrscheinlich sowieso nicht lange galt. Das entfremdet schon sehr (Polizeifahrzeuge-Foto: GES-Sportfoto/Helge Prang/augenklick).

sj: Sie schreiben als Reporter wieder mehr, aber aufgrund der Themen vermutlich anders.

Mölter: Ich habe schon immer eher nüchtern geschrieben. Aber natürlich: Was will man bei einem Mordfall mit Ironie? Mein Vorgänger hat zwar auch mal über eine gestohlene Wollmütze am Ostbahnhof berichtet. Das hat eine witzige Komponente, aber meistens sind Polizeiberichte eben nicht lustig. Da bleibt man sachlich und nachrichtlich. Es gibt aber durchaus Themen, bei denen es ein bisschen lockerer ist. Ich bin ja nicht nur auf Mord und Totschlag festgelegt.

sj: Fällt das Nachfragen schwerer, wenn es nicht um verlorene Spiele, sondern Leben geht?

Mölter: Ich rede in solchen Fällen selten direkt mit Opfern von Gewalttaten oder mit Hinterbliebenen, es ist meistens eine Instanz dazwischengeschaltet – jemand von der Polizei, Feuerwehr, Krisenintervention oder ein Ersthelfer. Es gibt also eine Distanz und nicht die ganz große emotionale Nähe wie im Sport. Aber es gibt Fälle, die einen berühren. Gerade, wenn junge Leute ums Leben kommen, die ihr ganzes Leben noch vor sich hatten, beschäftigt einen das. Da wird einem sehr bewusst, dass Sport tatsächlich nur eine Nebensache ist.

sj: Wie geht man mit dem Spannungsfeld zwischen Informationsanspruch und zurückgehaltenen Erkenntnissen während laufender Ermittlungen um?

Mölter: Man muss immer ein bisschen nachbohren. Die Polizei ist bei laufenden Ermittlungen zurückhaltend mit Informationen und formuliert oft vage, auch weil sie kein Täterwissen preisgeben will, ehe jemand verhaftet ist. Und man muss sich daran gewöhnen, dass Ermittlungen viel länger dauern als im Fernsehen. So schnell wie die Fälle im „Tatort“ gelöst werden, geht es in der Realität eher nicht (Foto „Tatort“-Darsteller Axel Prahl, links, und Jan Josef Liefers: firo sportphoto/augenklick).

sj: Das klingt nach anstrengenden Recherchen.

Mölter: Ja und nein. Polizisten oder Staatsanwälte sagen zwar manchmal nichts mit Verweis auf laufende Ermittlungen, aber als Beamte dürfen sie auch nicht lügen. In diesem Metier ist es also so, dass entweder nichts gesagt wird oder die Infos nach aktuellem Ermittlungsstand stimmen. Das ist durchaus eine gute Arbeitsgrundlage, weil man sich auf die Informationen verlassen kann. Und es ist ein großer Unterschied zum Sport, wo man ja sehr oft einfach angelogen wird.

sj: Im Fernsehen mag Polizeireporter niemand. Wie schlimm ist es im echten Leben?

Mölter: Ich wusste schon, bevor ich angefangen habe, dass es nicht wie im Fernsehen läuft – ich spüre da auch keine Ressentiments. In der Wahrnehmung der Leute, mit denen ich zu tun habe, bin ich in erster Linie SZ-Reporter. Und die SZ hat lokal einen seriösen Ruf und ein gutes Standing, außer bei Corona-Leugnern vielleicht.

sj: Es zieht Sie also eher nicht zurück in den Sport?

Mölter: Nein. Ich bin aber auch gar nicht komplett draußen. Ich schreibe ja noch lokale Sportgeschichten, neulich zum Beispiel über ein Projekt, bei dem Studenten den Schwimmunterricht in Grundschulen unterstützen. Das sind Themen, die mich nicht mehr mit dem Spitzensport verbinden, aber mit dem, was Sport im Grunde ausmacht – dass sich Menschen bewegen. Und ich bin in dem Team, das sich um München ’72 kümmert, das 50-Jahre-Jubiläum der Olympischen Spiele. Das war ein prägendes Kindheitserlebnis für mich damals. Da habe ich eine Vielfalt des Sports erlebt, wie ich sie heute nicht mehr finde.

Mit Joachim Mölter sprach Katrin Freiburghaus. Sie arbeitet von München aus als Freelancerin, unter anderem für Süddeutsche Zeitung und SID. Hier geht es zu ihrem Xing-Profil.