Sportjournalismus-Aussteiger Oliver Dirr

„Wale faszinieren mich“

21.11.2022

Fast hätte sich Oliver Dirr seinen Kindheitstraum von einem Job beim kicker erfüllt. Im Journalismus landete er dennoch, um dann aus- und wieder einzusteigen. Wale haben es ihm ganz besonders angetan. Im sj-Interview der Reihe „Einsteiger, Aussteiger, Umsteiger“ erklärt er, was die bedrohten Meeresriesen so viel spannender macht als prominente Berufsfußballer.

 

Oliver Dirr, Jahrgang 1978, studierte mit dem Vorsatz, Sportjournalist zu werden, in Göttingen Sport und Medienwissenschaften. Er arbeitete unter anderem freiberuflich für die Hessisch-Niedersächsische Allgemeine, verantwortete Community-Projekte für Sport1 und Spox. Zudem leitete er viele Jahre die Redaktion der Magazine Neon und Nido. Und fast wäre er beim kicker gelandet. Ende März 2022 erschien Dirrs erstes Buch „Walfahrt – Über den Wal, die Welt und das Staunen“ (Ullstein Paperback, 17,99 Euro). Auf seiner Website Whaletrips gibt er Tipps für Wal-Safaris. Ganz dem Journalismus hat er nicht ade gesagt, er ist Leiter Content bei München Tourismus.

sportjournalist: Herr Dirr, Sie reisen jetzt seit mehr als zehn Jahren Walen hinterher. Dabei wollten Sie eigentlich mal Sportreporter werden. Was ist da passiert?

Oliver Dirr: Eigentlich wollte ich immer zum kicker, das war so ein Kindheitstraum. Nach einigen Texten im Praktikum sah es auch recht gut aus, aber dann kam das berühmte Einstellungs-Quiz von Rainer Holzschuh. Dass ich darin zugegeben habe, nie selbst Fußball gespielt zu haben, hat mir nicht geholfen. Dann hieß ich damals noch Kucharski – wie Rolf Kucharski. Der war Anfang der 1970er-Jahre Stürmer. Und den kannte ich natürlich nicht. Als ich bei Hobbys auch noch Tischtennis gesagt habe, regte Herr Holzschuh etwas pikiert an, ich solle doch vielleicht eher bei einem Tischtennis-Magazin anfangen, und daraufhin habe ich meine Bewerbung lieber zurückgezogen.

sj: Warum ging der Weg danach zwar zu Spox, aber nicht mehr in die Redaktion, sondern in die Community?

Dirr: Weil ich mich damals mit Communitys ganz gut auskannte, das war aber reiner Zufall. Manchmal habe ich dort auch Texte geschrieben. Aber ich mochte die Art, auf die Nachrichten im Fußball bei dünner News-Lage manchmal kreiert werden, dann immer weniger. Ich fand es während meiner ersten Praktika schon komisch, wenn mir jemand eine Nummer in die Hand gedrückt und gesagt hat: Ruf mal den Podolski an, vielleicht sagt der was. Der Gedanke, dass er vielleicht gerade beim Bäcker ist und gar keine Zeit hat, und ich ihn nur anrufe, weil wir gerade kein anderes Thema haben und er eben Lukas Podolski ist, war mir immer schon etwas unangenehm (Foto Pottwal vor Norwegen: Oliver Dirr).

sj: Machen die Stimmen prominenter Sportler nicht einen Teil des Reizes der Sportberichterstattung aus?

Dirr: Ja, unbedingt, als Praktikant aus der Ferne betrachtet man diese Sportler ja fast als Helden. Aber je näher man kommt, desto öfter ändert sich das. Ich habe damals ein Interview mit Giovane Elber abgetippt, der sich nach seinem Wechsel nach Frankreich beklagte, dass es dort so schwer sei, weil alle nur Französisch sprächen. Und ich dachte: Was hat er erwartet? Irgendwann verfestigte sich der Eindruck, dass es da Helden gibt, die womöglich Schwierigkeiten haben, eine Waschmaschine zu bedienen, und das nahm mir so ein bisschen die Begeisterung. Ich dachte dann: Vielleicht kann ich das, was diese Leute so fantastisch können – Fußball spielen – besser wertschätzen, wenn ich ihnen nicht zu nah komme.

sj: Und wie kamen Sie zu den Walen?

Dirr: Wieder reiner Zufall. Meiner Frau zuliebe bin ich im Kanada-Urlaub mal auf eine dieser Wal-Touren gegangen. Eine einmalige Sache, dachte ich. Nach ein paar Jahren habe ich allerdings festgestellt, dass wir plötzlich keinerlei Reisen mehr unternommen haben, bei denen es nicht um Wale ging. Und immer öfter war es auch so, dass meine Frau mich begleitet hat, weil ich irgendwo Wale sehen wollte. Je näher ich dem Sport gekommen bin, desto weniger hat er mich fasziniert – bei den Walen war es genau umgekehrt. Irgendwann habe ich dann berühmte Walforscher im Schlauchboot begleitet, tagelang, ohne meine Frau. Ihr ging das ein bisschen zu weit (Foto: Ullstein/Oliver Dirr).

sj: Gibt es einen Artikel, den Sie vor Ihrer Abkehr vom Sport gerne noch geschrieben hätten?

Dirr: Oh, ja! Der hatte aber nichts mit Sport zu tun. In meiner Zeit bei Neon wollte ich immer die große Iron-Maiden-Tour-Reportage machen, ich habe sie sogar drei verschiedenen Chefredaktionen anzudrehen versucht. Immer erfolglos. Als nach Jahren dann doch endlich das Okay kam, war die Auflage von Neon leider schon zu klein, so dass das Management der Band absagte. Höchst tragisch!

Mit Oliver Dirr sprach Katrin Freiburghaus. Sie arbeitet von München aus als Freelancerin, unter anderem für Süddeutsche Zeitung und SID. Hier geht es zu ihrem Xing-Profil.