„Wir erwarten von der EM der Frauen eine Signalwirkung“

DFB-Vizepräsidentin Sabine Mammitzsch

05.07.2022 Vom 6. bis 31. Juli läuft in England die Fußball-EM der Frauen. Als DFB-Vizepräsidentin Frauen- und Mädchenfußball wird Sabine Mammitzsch das deutsche Nationalteam zu den Spielen begleiten. Sie verbindet mit dem Turnier eine Chance auf mehr Sichtbarkeit und erwartet die Fortsetzung einer positiven Entwicklung, wie sie im Gespräch mit sportjournalist-Autor Stefan Freye erklärt.
 
Die Fußball-Europameisterschaft der Frauen findet vom 6. bis 31. Juli in England statt. Ursprünglicher Termin war der Sommer 2021. Titelverteidigerin sind die Niederlande. Die DFB-Frauen gewannen die EM bereits achtmal, zuletzt 2013. Sabine Mammitzsch ist seit 11. März Vizepräsidentin für Frauen- und Mädchenfußball. Die Kielerin arbeitet als Lehrerin für Mathematik und Sport. Zur medialen Situation des Frauenfußballs siehe auch hier Stefan Freyes Report.

sportjournalist: Sabine Mammitzsch, welche Bedeutung hat diese Europameisterschaft für den Frauenfußball in Deutschland?

Sabine Mammitzsch: Da die Bundesliga pausiert, messe ich ihr eine große Bedeutung zu. Ich rechne mit hohen Einschaltquoten, und in der Ferienzeit werden sicher auch junge Menschen zuschauen. Ich hoffe, dass viele Mädchen und auch Jungs Lust auf Fußball bekommen.

sj: Wann würden Sie die EM als erfolgreich für die Nationalmannschaft bezeichnen?

Mammitzsch: Ein kleiner Erfolg ist aus meiner Sicht das Erreichen des Halbfinales. Wir gehören zu den Favoriten, aber es heißt nicht mehr, dass Deutschland auf jeden Fall den Titel gewinnt. Die Spitze des europäischen Fußballs ist breiter geworden. Es wird schwer genug, die Gruppenphase mit Spielen gegen Dänemark, Spanien und Finnland zu überstehen (dies ist inzwischen geschafft, Deutschland trifft im Viertelfinale am 21. Juli auf Österreich; die Red.). Der Ausfall von Dzsenifer Marozsan wiegt schwer, aber tragende Säulen wie Alexandra Popp oder Marina Hegering werden mit ihrer Mentalität und Erfahrung die Mannschaft stützen (EM-Logo: UEFA).

sj: Wie wichtig wäre ein Erfolg für die Entwicklung des Frauenfußballs in Deutschland?

Mammitzsch: Sehr wichtig. Wir erwarten eine Signalwirkung. Beim Pokalfinale in Köln waren knapp 18.000 Zuschauer anwesend und haben für Stimmung gesorgt. Das Interesse ist da, die Leute sagen: Jetzt schauen wir uns mal Frauenfußball an. Und je weiter die Mannschaft kommt, desto höher werden die Einschaltquoten sein. Natürlich ist ein Erfolg und das damit steigende Interesse auch für die Vermarktung wichtig. Wir gewinnen dann neben vielen Zuschauern auch mehr Sponsoren. Sie werden vom Erfolg ja ebenso angezogen.

sj: Die Spiele werden um 20.00 und 21.00 Uhr im öffentlich-rechtlichen Fernsehen übertragen, also zu Zeiten, in denen die weibliche Nationalmannschaft sonst eher nicht antritt. Was erwarten Sie vom Sendeplatz zur Primetime?

Mammitzsch: Große Zuschauerzahlen, natürlich. Wir befinden uns wie gesagt im Sommerloch, da ist eine Europameisterschaft mit attraktiven Spielen ein sehr gutes Angebot. Ich bin sicher, dass nicht nur die deutschen Spiele für Interesse sorgen, sondern auch andere, wenn europäische Topmannschaften wie England oder Spanien beteiligt sind.

sj: Wie ließe sich ein erfolgreiches Abschneiden in den Frauenfußball-Alltag übertragen?

Mammitzsch: Das DFB-Präsidium hat noch unter meiner Vorgängerin Hannelore Ratzeburg die Strategie „Frauen im Fußball 2027“ verabschiedet. Dort geht es um vier Ziele: die Steigerung der Zahl an Spielerinnen, Trainerinnen und Schiedsrichterinnen um 25 Prozent; eine Frauenquote in Verbandsgremien von 30 Prozent; eine Verdopplung der medialen Reichweite; und internationale Titelgewinne von Nationalmannschaft und Vereinsteams. Diese Strategie wird zur Europameisterschaft in den Fokus rücken. Aus ihr geht auch hervor: Wir wollen oben mitspielen und als Favorit in den Wettbewerb starten (Foto: Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg, rechts, und Nationalspielerin Leonie Maier: GES-Sportfoto/Markus Gilliar/augenklick).

sj: Erwarten Sie kurzfristige Effekte der EM auf die Bundesliga?

Mammitzsch: Kurzfristig wird sich das wahrscheinlich nicht übertragen lassen. Aber ein erfolgreiches Abschneiden wird langfristig für mehr Interesse bei den Menschen sorgen.

sj: Und wenn die Menschen mehr Interesse am Frauenfußball zeigen, steigert sich auch das Interesse der Medien?

Mammitzsch: Ja, natürlich. Das Angebot wird attraktiver, und damit steigert sich auch die Nachfrage in den Medien. Das macht man in England sehr geschickt. Dort müssen die Vereine der Premier League als Lizenzauflage eine Frauenfußballmannschaft im Spielbetrieb haben. Soweit sind wir nicht. Aber das Beispiel England steht für eine sehr positive Entwicklung. Dort boomt der Frauenfußball, und ich erwarte zur EM volle Stadien und einen Medienhype.

sj: Der letzte große Erfolg der deutschen Nationalmannschaft liegt nun rund sechs Jahre zurück, 2016 gewann das Team die Goldmedaille bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro. Haben Sie damals bereits eine positive Entwicklung ausgemacht?

Mammitzsch: Jein. Wir sind nach der Weltmeisterschaft 2011 in Deutschland nicht drangeblieben und haben zu wenig dafür getan, Mädchen für den Fußball zu gewinnen. Die Olympischen Spiele in Brasilien wurden in Deutschland nachts übertragen, das haben nicht so viele Menschen verfolgt. Insofern hatte das überschaubare Interesse sehr viel mit den Übertragungszeiten zu tun. Daher ist der Gewinn der Goldmedaille schnell in Vergessenheit geraten (Foto: Nationaltorhüterin Almuth Schult mit olympischer Goldmedaille 2016: GES-Sportfoto/Markus Gilliar/augenklick).

sj: Aber ließ sich nicht gerade am Beispiel der WM 2011 ablesen, wie wichtig der Erfolg ist: Die deutsche Mannschaft war als Top-Favorit und Titelverteidiger im eigenen Land gestartet, schied dann im Viertelfinale aus, und es wurde nichts aus dem erhofften Boom.

Mammitzsch: Klar, es war auch der Misserfolg. Er hat damals sehr viele Skeptiker bestätigt, und so war aus vielen Verbänden zu hören: Jetzt haben wir aber auch erst einmal genug für den Frauenfußball gemacht und sollten uns wieder um die Jugend kümmern. Das war einer der Gründe, weshalb die Basisarbeit in den vielen sinnvollen Projekten vernachlässigt wurde. Der Frauenfußball in Deutschland wäre vielleicht schon populärer, wenn wir die Weltmeisterschaft 2011 gewonnen hätten.

sj: Müssen Sie befürchten, dass ein erneuter Misserfolg die aktuelle Entwicklung beeinträchtigen würde?

Mammitzsch: Nein, das befürchte ich nicht. Wir befinden uns mittlerweile auf einem anderen Niveau: Der Frauenfußball ist heute etablierter als damals. Insofern gibt es für mich nur den entgegengesetzten Weg: Ein Erfolg bei der Europameisterschaft wird dem Frauenfußball in Deutschland zu mehr Sichtbarkeit verhelfen.

sj: Wir haben die sportliche Seite der EURO nun bereits mehrfach gestreift. Ganz konkret: Wer zählt für Sie zu den Favoriten?

Mammitzsch: Was soll ich sagen: Deutschland, natürlich. Aber daneben ist auch England im eigenen Land ein klarer Favorit. Zudem treten die Niederlande als Titelverteidiger an, und auch Spanien und Frankreich zählen zum Kreis der Teams mit guten Titelchancen.

Mit Sabine Mammitzsch sprach Stefan Freye. Er ist 2. Vorsitzender des Vereins Bremer Sportjournalisten. Freye arbeitet als Freelancer von der Hansestadt aus. Hier geht es zu seinem LinkedIn-Account.