Umsteiger Boris Herrmann – „Früher Fußball, jetzt 22 Staaten“

Serie „Einsteiger, Aussteiger, Umsteiger“

11.12.2015 Viele Jahre beackerte Boris Herrmann die Bundesliga. Inzwischen ist der 36-Jährige in Rio de Janeiro gelandet und hat als Lateinamerika-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung einen ganzen Kontinent vor der Brust.
 
Boris Herrmann, 36, studierte an der Universität der Künste in Berlin und begann seine Laufbahn als Journalist als Volontär bei der Berliner Zeitung. Dort war Herrmann ab 2009 stellvertretender Ressortleiter Sport, bevor er Ende 2010 in die Redaktion der Süddeutschen Zeitung wechselte. Eine Expertenjury der Zeitschrift medien-magazin wählte ihn 2009 in die deutsche Top Ten der „Kategorie Newcomer Sport“. Im Artikelwettbewerb des Verbandes Deutscher Sportjournalisten gewann Herrmann 2014 den „Großen Preis des VDS“. Seit 2015 ist er Lateinamerika-Korrespondent der SZ mit Sitz in Rio de Janeiro.

sportjournalist: Guten Tag, Herr Herrmann. Bei welchem Thema stören wir Sie gerade?

Boris Herrmann: Ich sitze an einer Reportage aus Brasilien anlässlich des ersten Geburtstages eines Fußballspiels, das 1:7 endete. Es soll darum gehen, wie sich ein ballverliebtes Volk von seiner Seleção entfremdet hat.

sj: Und wie schwer fällt eine Umstellung vom Bundesligafußballer Castro auf den Kuba-Chef Castro, zum Beispiel unlängst in Ihrem politischen SZ-Kommentar „Wandel im Hinterhof“?

Herrmann: Die eigentliche Umstellung besteht darin, dass ich einen ganzen Kontinent in den Griff kriegen muss. Früher habe ich vor allem über Fußball zwischen Wolfsburg und Warschau berichtet, jetzt betreue ich 22 Staaten. Da auszusuchen, was in Deutschland wichtig und interessant sein könnte, ist die größte Schwierigkeit. Thematisch empfinde ich den Bruch nicht so groß. Ich habe den Sport immer als Teil von Politik, Kultur und Wirtschaft begriffen. Außerdem schreibe ich ja weiterhin über Fußball, siehe oben.

sj: In der Süddeutschen beschrieben Sie einmal, wie Sie morgens um 10.30 Uhr Brasilien-Zeit in einer Sportkneipe Bundesliga live mit Bayern München angeschaut haben. Das las sich wie eine heimliche Sehnsucht.

Herrmann: Als Sehnsucht würde ich das nicht bezeichnen. In meiner neuen Heimat wird ja durchaus auch gekickt, wenn auch nicht ganz so erfolgreich im Moment. Aber es stimmt schon, ich gucke weiterhin gerne Bundesliga und es ist erstaunlich, was hier alles übertragen wird. Selbst die Relegationsspiele meines Lieblingsvereins Karlsruher SC gegen den HSV waren zu sehen – und wenn ich das hier so sagen darf: Das war nieeeemals ein Handspiel!

sj: War es für Sie ein Lebensziel, das Ressort im Beruf zu wechseln oder hat sich das einfach so ergeben?

Herrmann: Ich habe mich im Sport immer wohlgefühlt, aber ich habe auch immer gerne über andere Themen geschrieben. Hier in Lateinamerika kann ich beides tun. Das passt mir ganz gut.

sj: In der SZ schreiben Sie, die Medien in Brasilien seien von „Dynastien beherrscht“, es werde „ungebremster Kampagnenjournalismus betrieben“.

Herrmann: In vielen Ländern Lateinamerikas, auch in Brasilien, stehen sich extreme Lager gegenüber, es gibt leider kaum abwägende Stimmen in der Mitte. Das spiegelt sich auch in der Medienlandschaft wider. Die brasilianische Zeitung O Globo wird niemals zugeben, dass Präsidentin Dilma Rousseff auch ihre guten Seiten hat. Der Fernsehsender Telesur wird niemals Venezuelas Halbdiktator Nicolás Maduro kritisieren. Das finde ich schade, weil man als Leser oder Zuschauer selten überrascht wird.

sj: Christian Zaschke aus England, früher Javier Cáceres aus Spanien und Brüssel, Gerhard Fischer aus Schweden, Peter Burghardt als Ihr Vorgänger aus Südamerika, dazu Thomas Hahn aus Hamburg oder Josef Kelnberger aus Stuttgart als Leiter weiterer Außenbüros – alle waren zuerst im Sport der SZ tätig: Zufall oder System?

Herrmann: Da ist auf jeden Fall ein Trend zu erkennen, das stimmt. Aus meiner Sicht spricht das vor allem für die Arbeit der SZ-Sportchefs, früher Michael Gernandt und Ludger Schulze, heute Klaus Hoeltzenbein.

sj: Wenn Sie zwischen früher und heute vergleichen – was nimmt man vor allem mit aus der Zeit als Sportjournalist?

Herrmann: Dass man sich hin und wieder beeilen muss.

sj: Und was vermissen Sie jetzt?

Herrmann: Kreuzberg.

sj: Freuen Sie sich schon auf die Berichterstattung von den Olympischen Spielen 2016 in Rio?

Herrmann: Natürlich freue ich mich auf den Sport. Ich hätte mir aber gewünscht, die Party wäre so geplant worden, dass sich ganz Rio darauf freuen kann. Und nicht nur die üblichen Verdächtigen, die mit solchen Mega-Events Geld verdienen.

Mit Boris Herrmann sprach Wolfgang Uhrig