Absurder Streit um eine Prothese

Kolumne „Hardt und herzlich“

05.07.2016 Der unterschenkelamputierte Weitspringer Markus Rehm würde sehr gerne bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften starten. Doch darf er? Das Problem ist dessen Prothese.
Autor: Andreas Hardt
Nichts Genaues weiß man nicht! So lautet das Ergebnis der Untersuchungen dreier Sport- und Bewegungswissenschaftler aus Köln, Tokio und Boulder/Colorado, die am 30. Mai im Deutschen Sport- und Olympiamuseum in Köln präsentiert wurden. Hat also Weitspringer Markus Rehm durch seine Unterschenkelprothese einen Vor- oder Nachteil? Vielleicht, zum Teil, nein, je nachdem. Man weiß es nicht.
 
Ist das überhaupt zu messen und zu beurteilen? Die langsamere Anlaufgeschwindigkeit versus besserer Absprungeigenschaften? In Relation zum unversehrten menschlichen Körper? Und was soll die ganze Diskussion?
 
Nun, Markus Rehm, der mit seinem Weltrekord von 8,40 Metern zu gut ist für seine paralympischen Kontrahenten möchte sich auf großer Bühne präsentieren. Bei den Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften. Das ist verständlich. Denn seien wir ehrlich: Die Berichterstattung und Wahrnehmung von paralympischen Wettbewerben ist auch eher – dezent.
 
Schon der Südafrikaner Oscar Pistorius (Foto: sampics/Augenklick) musste sich beim Internationalen Sportgerichtshof CAS seine Olympia-Startberechtigung erkämpfen, ausdrücklich aber handelte es sich um eine Einzelfallentscheidung.
 
Inzwischen hat der Leichtathletik-Weltverband (IAAF) seine Regel 144.3. d dahingehend geändert, dass einem Sportler „mechanische Hilfen“ untersagt sind, wenn er nicht beweist, keinen Vorteil durch diese zu haben. Durch diese Beweislastumkehr, die bei pharmazeutischem Doping natürlich nicht gilt, vermeidet der Verband die Mühe, klare Regeln für eine inklusive Sportgesellschaft aufzustellen.
 
Der Verdacht entsteht: Er will es gar nicht. Den Prothesenspringer, der im gleichen Wettkampf vor aller Augen und Kameras weiter springt als der Bronzemedaillengewinner, den möchte der Verband nicht sehen. Und die gesunden Kontrahenten vielleicht auch nicht alle. „Schau mal Papi, der Mann hat ein Holzbein.“ – „Pssst, guck’ da nicht so hin.“

An den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro wird Rehm nicht teilnehmen. Er verzichtet darauf, seine Nominierung zu erzwingen. Das gab der Leichtathletik-Weltverband unlängst bekannt.

Zuvor hatte sich Rehm mit IAAF-Generalsekretär Jean Gracia getroffen. Weiteres Ergebnis des Gesprächs: Der 27-Jährige wird künftig in der von Gracia geleiteten Arbeitsgruppe mitwirken, die sich mit der Problematik des Einsatzes von Prothesen in IAAF-Wettbewerben beschäftigt. Im September wird die AG wieder tagen.

Der Deutsche Behindertensportverband (DBS) hat am Vorgehen des IAAF einiges zu bemängeln. So hätte das Gespräch zwischen Rehm und Gracia „schon vor Monaten“ stattfinden müssen. „Der Leichtathletik-Weltverband hat sich lange vor einer seriösen Auseinandersetzung mit der Angelegenheit gedrückt“, heißt es in einer Mitteilung des DBS.

Dass es schnell eine Einigung geben wird, ist nicht anzunehmen. Denn die Position des DBS steht der des IAAF diametral entgegen: „Wir fordern erneut die Abschaffung der Regel 144.3 d.“

Dies ist die aktualisierte Version der Kolumne, die in der Juli-Ausgabe des sportjournalist veröffentlicht wurde. Die Bestellung des Heftes ist direkt beim Meyer & Meyer Verlag möglich. Mitglieder des VDS können sich den sportjournalist als PDF im Mitgliederbereich kostenlos herunterladen.