Die Sprache der verlorenen Worte

Kolumne „Ansichtssache“

28.12.2018 Dieser Text hat Teaser. Muss ohne Artikel gehen. Ist Kurzdeutsch. Sagt moderne Soziallinguistin. sportjournalist-Kolumnist Wolfgang Uhrig hat seine Zweifel, dass das sprachlich ein Fortschritt ist.
 
Damals. Im Januar dieses Jahres. Kamil Stoch hatte gerade Vierschanzentournee gewonnen. Für den Reporter im Fernsehen war das keine Überraschung: „Weil er jede Schanze der Welt kann.“ Die einsame Klasse des Polen (Mitfavorit bei der am 29. Dezember gestarteten Auflage 2018/2019; die Red.) umschrieb eine österreichische Zeitung so: „Stoch, der Alleiner“. Was auch daran lag, dass Richard Freitag nach seinem Sturz in Innsbruck verletzt ausgeschieden war: „Freitag hat Becken.“ Was für eine Sprech!
 
Nur die Toten hätten genügend Zeit, Deutsch zu lernen, befand einst Mark Twain. Seit das der amerikanische Schriftsteller in seinem Aufsatz „Die schreckliche deutsche Sprache“ schrieb, sind fast 140 Jahre vergangen. Inzwischen gibt es eine andere Möglichkeit, damit zurechtzukommen – man lässt Wörter wie den Artikel einfach weg (Foto Gebäude Duden-Verlag: .
 
Über die sich umgreifende Verknappung unserer Muttersprache hat die Soziallinguistin Diana Marossek ein Buch verfasst. „Kommst du Bahnhof oder hast du Auto? – Warum wir reden, wie wir neuerdings reden“ steht über den 160 Seiten ihres Werkes. Die Wissenschaftlerin aus Berlin tritt darin den Sprachsnobs mit einem Begriff entgegen, den sie neu einführt in die Debatte: „Kurzdeutsch“.
 
Der Sinn ist aus dem sprachlichen Kontext heraus zu rekonstruieren

Immer mehr wird auch im Deutsch unter Sportjournalisten mit Worten derart gegeizt, dass der Sinn aus dem sprachlichen Kontext heraus zu rekonstruieren ist. Wer also behauptet, „Jürgen Klopp kann FC Bayern“, umschreibt damit dessen Befähigung, der Aufgabe als Trainer in München gerecht zu werden. Was aber ohnehin noch nicht zu beweisen ist, denn „Klopp hat Vertrag in Liverpool“. Wo er einen Spieler sucht, der „den rechten Verteidiger gibt“.
 
Am Anfang war das Wort, schrieb einst der große Dichter Johannes von Frankfurt. Nichts, was ist, sei ohne es geworden. Das ist eine schöne Vorstellung. Doch dem Wort wurde später dann zunehmend die Kompetenz abgesprochen – von Goethes Faust, in dem es heißt, der Worte seien genug gewechselt. So ging und so geht es dahin.

Die Kolumne „Ansichtssache“ schreibt Wolfgang Uhrig für den Verein Münchner Sportjournalisten. Wir danken den VMS-Kollegen für die großzügige Überlassung des Textes.