Es ist zum Heulen

Kolumne „Ansichtssache“

07.05.2018 Im Sport werden viele Tränen vergossen. Ist es schon ein Trend? Unser Kolumnist hat da seine ganz eigene Theorie.
Autor: Wolfgang Uhrig
„Die Tränen des BVB“ – so überschrieb die Süddeutsche Zeitung ihre Berichterstattung zum 0:6 beim FC Bayern. Weil einige Dortmunder nach ihrem Bundesliga-Debakel beim Gang in die Katakomben der Münchner Arena abgetaucht waren in ein Tal der Tränen.

Wir erleben wässrige Zeiten. Das neue Jahr ist erst ein paar Monate alt, doch geweint wurde schon, dass es zum Heulen ist. Gleich zum Auftakt im Januar gab es da den norwegischen Skispringer Daniel Andre Tande, der an der Schanze von Bischofshofen schluchzte, weil sich seine Bindung gelöst hatte. Und dann erst Olympia in Pyeongchang, die Spiele im Februar – wie eine Waschanlage für Tränen (Uhrig-Foto: Maria Mühlberger).

Goldmedaille verpasst! Hund gestorben! Beziehung im Eimer! Nur bei tragischen Ereignissen trauten sich bislang auch ausgewachsene Mannsbilder vor aller Augen zu heulen wie Schlosshunde. Bei halbtragischen Ereignissen wie Auto kaputt, Hase tot oder Krebsdrama im Fernsehen nuschelten sie lieber, sie hätten „was im Auge“, klar doch: dicke Tränen! Heutzutage flennt nicht nur jede, sondern auch jeder coram publico, wenn sie oder er meint, Gefühle zeigen zu müssen.

Wir leben in einer verheulten Epoche

Die große Meryl Streep weinte, als sie auf der Golden-Globe-Gala die Widerwärtigkeiten dieses einen Politikers anprangerte, Barack Obama weinte, als er sich als Präsident verabschiedete, und wie oft bei öffentlichen Anlässen hatte doch auch unser netter Herr Gauck nah ans Wasser gebaut. Wir leben in einer verheulten Epoche, Politiker, Schauspieler oder Sportler haben sich nicht mehr im Zaum.

Doch wer keine Gefühle hat, der kann auch keine zeigen. Und so zelebrierten in München Fußballer und Fans des BVB ihr Herzensweh, die schweigende Sprache ihrer Seele. Stille Emotionen – oder der Einbruch der Menschlichkeit in die Welt des Profisports.

Die Kolumne „Ansichtssache“ schreibt Wolfgang Uhrig für den Verein Münchner Sportjournalisten. Wir danken den VMS-Kollegen für die großzügige Überlassung des Textes.