Dumpinglöhne erschreckend, aber nicht abschreckend

Kolumne „Die Welt der Medien“

27.09.2019 Das Einkommen vieler Journalist*innen ist sehr niedrig. Insbesondere Freie arbeiten oftmals am Rande des Existenzminimums. An Faszination hat der Medienberuf dennoch nicht verloren.
Autor: Gregor Derichs
„Redakteur gesucht, Vollzeit auf 450-Euro-Basis“. Das Stellengesuch erinnerte an einen älteren Zeit-Artikel mit der Überschrift „Schreiben macht arm“. Eine Kollegin schrieb über das freie Journalisten-Leben mit einem Hartz-IV-Auskommen. Geändert hat sich nicht viel, so das Fazit einer aktuelleren Umfrage.

Lediglich 22,50 Euro verdienen Freie demnach pro Stunde. Brutto. Davon landet ein Drittel beim Finanzamt, ein weiteres Drittel geht in Büromiete und Recherche-Aufwand. Das letzte Drittel von 7,50 Euro bleibt als Gewinn. Das ist weniger als der gesetzliche Mindestlohn und ergibt bei einer 40-Stunden-Woche monatlich 1200 Euro (Kolumnen-Logo: VDS/Andreas Mann).

Die Daten wurden von „Freischreiber“, einem Berufsverband für freie Journalistinnen und Journalisten, über die Website wasjournalistenverdienen.de ermittelt. Repräsentativ sind sie nicht, aber bei derzeit 1776 Angaben zu rund 721 verschiedenen Medien auch nicht erfunden.
 
Vielen Journalisten in Festanstellung geht es auch nicht besser. Früher waren wir mal eine gut bezahlte Berufsgruppe. Inzwischen sind wir laut dem Jobnetzwerk XING gegenüber anderen weit abgefallen. Bei Festangestellten liegt das Bruttodurchschnittsgehalt bei jährlich 51.234 Euro, das sind 30 Prozent weniger als der Durchschnitt aller Fachkräfte und macht 4277 Euro brutto im Monat (Stand 2017, Quelle: LohnSpiegel).

Frau im Osten bildet folglich das Schlusslicht der Einkommensskala
 
Frauen verdienen 27 Prozent weniger als Männer, weil sie sich angeblich trotz oft besserer Fähigkeiten für Stellen bewerben, die unter ihrem Niveau liegen. Aber vielleicht liegt es ja auch daran, dass sie meist von Männern eingestellt und in Gehaltsgruppen einsortiert werden. Frau im Osten bildet folglich das Schlusslicht der Skala, da noch ein 23-Prozent-Gefälle von West nach Ost existiert. Das betrifft auch Männer.
 
Die Realität ist abseits von Tarifverträgen noch deprimierender. Ein leitender Kollege, der noch vom Glück eines sehr alten Vertrages gesegnet ist, sagte über die Einstellungen eines großen Verlages im Online-Bereich: „Wir müssten uns eigentlich dafür schämen, was wir den jungen Leuten zahlen.“ Die Zahlen, die das Jobportal Stepstone vor zwei Jahren präsentierte, dürften noch passen. Ein Journalist – Single ohne Kinder – verdient nach zwei Jahren rund 30.000 Euro pro Jahr. Das sind 1670 Euro netto/Monat. Nach fünf Jahren hat man sich auf rund 2000 Euro netto verbessert, nach zehn auf 2400. Akademische Abschlüsse werden vorausgesetzt.
 
Berufseinsteiger im Printjournalismus bekamen einst über Tarifverträge eine pekuniäre Perspektive, aber Stellen werden dort bundesweit nur noch in seltenen Fällen besetzt. Die Jobzahlen bei Online- und Social-Media-Kanälen wachsen rasant, aber abseits von Leitungsfunktionen kann man dort nur seine Brötchen und etwas mehr verdienen. Berufsneulinge müssen mit befristeten Verträgen rechnen, die knapp über dem Niveau von Jahrespraktikanten liegen.
 
Bei solchen Gehältern kann man gleich in der Studenten-WG bleiben. Wobei nicht nur junge Journalisten unterbezahlt sind. Die Bereiche PR und Marketing, wo ein recht hoher Bedarf an Schreibern besteht, liegen in der Berufsgruppenstatistik noch schlechter als der Journalismus. Der Wille zum Jobwechsel ist so groß wie früher, ist aber nicht mehr mit daran geknüpften Gehaltssprüngen verbunden. Gutes Mittel gegen den Frust: Idealist bleiben oder werden.

Kein Mangel an Bewerbern, aber an Anstand
 
In den Umfragen antwortete ein Drittel, dass der Sinn der Arbeit wichtiger sei als das Geld. Journalismus bleibt (noch immer) für viele wenn nicht ein Traumjob, so zumindest ein Wunschziel. „Was mit Medien machen“ nennen Abiturienten gerne als Berufswunsch. Das gefällt den Arbeitgebern, denn solange kein Mangel an Bewerbern besteht, müssen sie ihre Gehälter nicht erhöhen.
 
Vollzeit auf 450-Euro-Basis gibt es aber nicht. Das eingangs erwähnte Stellenangebot löste einen Shitstorm aus – und wurde als ein (angebliches) Versehen zurückgezogen.

Gregor Derichs ist seit 2001 als freier Sportjournalist tätig. Zuvor arbeitete der 65-Jährige unter anderem in verantwortlicher Position bei dapd, dpa und SID. Der ausgebildete Diplom-Sportlehrer trat als Mitautor wie Chefredakteur zahlreicher Bücher und Magazine in Erscheinung. Zu den Kunden seiner 2015 zusammen mit Dirk Graalmann gegründeten Agentur Derichs & Graalmann Kommunikation gehört unter anderem Fußball-Bundesligist Hoffenheim.

Dieser Artikel stammt aus der Ausgabe August/September 2019 des sportjournalist. Hier geht es zur Bestellung des Einzelheftes beim Meyer & Meyer Verlag. Mitglieder des Verbandes Deutscher Sportjournalisten erhalten den alle zwei Monate erscheinenden sportjournalist automatisch per Post und können sich das Heft zudem im Mitgliederbereich kostenlos als PDF herunterladen. Dies gilt auch für ältere Ausgaben.