Kolumne „Hardt und herzlich“

Lasst uns mehr über paralympischen Sport berichten!

17.01.2023

Der paralympische Sport und seine Athlet*innen kommen in den deutschen Medien zu kurz. Das findet sportjournalist-Kolumnist Andreas Hardt.

 

Friedhelm Julius Beucher hat in seinem politischen Leben gelernt, im richtigen Moment die richtigen Strippen zu ziehen, um maximale Aufmerksamkeit zu erhaschen. Der SPD-Politiker gehörte schließlich zwölf Jahre dem Deutschen Bundestag an, war von 1998 bis 2002 Vorsitzender des Sportausschusses. Er kennt die Mechanismen, und deshalb ist er sicher auch ein Glücksfall für den Deutschen Behindertensportverband (DBS), dessen Präsident er seit 2009 ist.

Denn man darf ja ganz klar feststellen: Die Aufmerksamkeit für den Sport von Athleten mit körperlichen Einschränkungen ist im vergangenen Jahrzehnt deutlich gestiegen. Das kann und wird mit einer veränderten Grundstimmung in der Gesellschaft zu tun haben, wo Inklusion mittlerweile überwiegend akzeptiert und oft selbstverständlich ist (Beucher-Foto: DBS).

Das liegt im Bereich Spitzensport aber auch an dem andauernden medialen Trommelfeuer, mit dem Beucher seine Presseabteilung auf die Verdienste und Leistungen paralympischer Athleten hinweisen lässt – und gleichzeitig immer wieder noch mehr Respekt und Aufmerksamkeit einfordert.

„Dass der Para-Sport so eine untergeordnete Rolle spielt, ist inakzeptabel“, teilte Beucher in einer Pressemitteilung und auf der Website des DBS nach den grandiosen European Championships in München mit. „In den Medien und damit auch in der öffentlichen Wahrnehmung hat der Para-Sport kaum eine Rolle gespielt.“

Wenige Para-Wettkämpfe in EM-Programm integriert

Rudern und Kanu hatten die Para-Wettkämpfe in ihr EM-Programm integriert – Leichtathletik, Radsport und Tischtennis nicht. Das wäre angesichts der Menge an Wettkämpfen in unterschiedlichen Schadensklassen auch sehr schwer bis gar nicht leistbar.

Aber zurück zum Wassersport, wo der neue DBS-Generalsekretär Stefan Kiefer in der Nachbetrachtung der EM zu einer Medienschelte ansetzte: „Wenn unsere Para-Ruderer zwei Drittel der deutschen Medaillen im Rudern bei den European Championships gewinnen und im Resümee einer großen deutschen Tageszeitung mit nur einem Halbsatz erwähnt werden, dann habe ich dafür wenig Verständnis.“

Müssen wir Berichtende uns also hinterfragen? Ja, möglicherweise. Einerseits. Andererseits sind die sportlichen Leistungen auch oft schwer einzuordnen. Bei allem Respekt für die Athleten: Wenn in einem Endlauf einer nicht-paralympischen Bootsklasse im Kanu überhaupt nur drei Teilnehmerinnen am Start sind, und eine Deutsche gewinnt Gold – wie bewerten wir diesen Erfolg?

Paralympische Athleten haben durch ihre Leistungen und auch durch die verstärkte Medienpräsenz in den vergangenen Jahren teilweise große Prominenz erhalten. Die Parakanutin Edina Müller, die wieder Europameisterin wurde, ist in Hamburg ein Star. 2021 wurde sie zur „Sportlerin des Jahres“ in der Hansestadt gewählt. Weitspringer Markus Rehm, Werfer Nico Kappel oder Sprinter Johannes Floors, um nur einige zu nennen, haben sich durch ihren Sport einen Namen gemacht und Anerkennung gefunden (Hardt-Foto: privat).

Sie alle nutzen ihre Prominenz auch, um auf Probleme, Versäumnisse und Barrieren im Alltagsleben und auch beim Sport für Menschen mit Einschränkungen hinzuweisen. Auch um Vorurteile und eventuelle Berührungsängste abzubauen. Ja, lasst uns mehr über paralympische Sportler berichten – aber bitte nicht nur, um Goldmedaillen abzufeiern.

Andreas Hardt, vormals Redakteur bei SID und dapd, arbeitet als freier Journalist von Hamburg aus. Er schreibt die Kolumne „Hardt und herzlich“ für den monatlichen Newsletter des Verbandes Deutscher Sportjournalisten. Hier gelangen Sie zu Hardts Xing-Profil.