Wird mit Blendle journalistischer Content wertvoller?

Online-Kiosk

14.03.2016 Blendle ist seit ein paar Monaten auf dem Markt. Dort können online einzelne Artikel aus Printpublikationen gekauft werden. Der sportjournalist bringt eine erste Bilanz des innovativen Projekts.
Autor: Gregor Derichs
„Mit Blendle kannst du alle Artikel aus deinen Lieblingszeitungen und -zeitschriften lesen. Ohne Abonnement.“ So lautet die schlichte Werbung von Blendle, einem Online-Kiosk, das am 14. September 2015 in Deutschland startete. Bezahlt wird für einzelne Artikel per Klick, Voraussetzung dafür ist eine Registrierung.

Mitte März lag die Zahl der Nutzer bei gut 560.000. In der Liste der beteiligten Medien stehen deutsche Medien von Rang und Namen. Über 100 Titel von Tageszeitungen wie FAZ, SZ, Welt und den großen regionalen bis hin zu Magazinen wie Spiegel, Stern und Focus plus Spezialmedien wie kicker und 11Freunde reicht das Angebot. Bild, das seine Produkte im Internet schon relativ erfolgreich vermarktet, ist nicht dabei.

Unbekannt ist, bei wie vielen der gut 560.000 User der erste Besuch auch schon der letzte ist. Die Anmeldung könnte auch die Oma schaffen, die erstmals im Internet surft, ein Guthaben von 2,50 Euro gibt es dabei „geschenkt“. Zu Blendle gehört neben der simplen Handhabung aber auch ein Hipster-Slang mit Dauer-Duzen, wie er sich im Netz immer mehr verbreitet. Eine Kernfrage ist, ob die jüngere Netzgemeinde, an die sich das Angebot offenbar speziell wendet, bereit ist, für Content zu zahlen. Warum soll man eine Pay-Wahl treffen, wenn im Internet noch Milliarden Seiten völlig kostenfrei zu lesen sind?

Als das Portal öffnete, wurde in boshaften Kommentaren gefragt, ob Blendle vielleicht schwäbisch wäre. Aber der Start war so schlecht nicht. Bemerkenswert ist es, dass die Verlage plötzlich bereit sind, nicht mehr ihr ganzes Produkt hinter selbst errichteten Bezahlschranken zu stecken, sondern die Einzelverwertung von Artikeln zuzulassen. Der „Erfinder“ Marten Blankesteijn (Porträt-Foto: Blendle), der noch keine 30 ist, argumentiert, dass nur die Auflösung des Gesamtpakets Zeitung junge Menschen dazu bringt, für Journalismus zu bezahlen. Der Niederländer hat es immerhin geschafft, die Verleger von dem in seinem Heimatland funktionierenden Projekt zu überzeugen.

Erfreulich: Für journalistische Arbeit wird im Internet bezahlt!

Das ist die gute Nachricht bei dieser Geschichte: Für Content, für journalistische Arbeit wird im Internet bezahlt! Per Einzelabrechnung für Beträge zwischen 25 Cent und an die zwei Euro. Und der Clou am Modell ist, dass der Leser am Ende die Chance bekommt, den Betrag zurückzuziehen, weil ihm der Artikel nicht so viel wert war. Wer innerhalb der ersten zehn Sekunden den Beitrag wegklickt, wird auch nicht mit der Nutzungsgebühr belastet.

Das warf die Frage auf, ob die Nutzer nicht massenhaft ihr Geld zurückverlangen, obwohl der Artikel eigentlich gefallen hat. Mitte Januar veröffentlichte Blendle erstmals eine Liste mit den Beiträgen, bei denen am seltensten die Zahlung rückgängig gemacht wurde. Platz 1: Islamischer Staat: Die digitale Front, Tagesspiegel, 25 Cent. Über 98 Prozent der Leser fanden, dass der Beitrag mit der Auswertung von 1000 IS-Videos sein Geld wert war. Die Rückgabe-Quote: 1,69 Prozent. Platz 10: Heidi und die Brandstifter, Zeit, 89 Cent. Rückgabequote dieses Porträts einer in einem Nazi-Camp erzogenen 23-Jährigen: 4,5 Prozent.

Die Zahlen verraten nicht, wie viele User überhaupt bezahlt haben. Blendle zeigte auch die am meisten verkauften Artikel an, allerdings ebenfalls ohne absolute Zahlen. Im Zeitraum 2. bis 8. März 2016 lag ein 55 Cent teures Cicero-Interview mit dem Philosophen Peter Sloterdijk über die Flüchtlingskrise („Das kann nicht gut gehen“) auf Platz 1. Es gab aber auch schon ganz andere Spitzenreiter, so zum Beispiel den Brigitte-Artikel „Kluge Leute trinken keine Cola“ für 65 Cent (Getränke-Foto: firo/Augenklick).

Eventuell kann Blendle ein zusätzlicher Vertriebs- beziehungsweise Verkaufskanal für die Verlage werden. Wie schwer die digitale Leserschaft zu erreichen ist, machte ein Blog der Rhein-Zeitung Koblenz klar. „Das Ergebnis kann sich sehen lassen“, schrieb der Kollege nach den ersten Blendle-Wochen, mit dem Portal sei der Verkauf der Einzelpässe pro Tag um 15,1 Prozent gestiegen. In 14 Tagen wurden „exakt 100 Einzelartikel à 49 Cent“ gelesen, bei 70 blieb die Zahlung aus. Wie schwierig die Transformation von Print zum Netz ist, machte ein anderer Wert deutlich: „549 Leser zahlen jetzt monatlich 5,90 Euro für den Zugang zu rhein-zeitung.de – ein Plus von 176 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat.“