Jubel, Trubel – Ernüchterung?

Deutsche Erfolge in Tennis und Handball

01.04.2016 Die Tennisspielerin Angelique Kerber hat die Australian Open gewonnen. Die deutschen Handballer wurden noch überraschender Europameister. Beides tolle Erfolge – aber folgt nun ein Boom?
Autor: Raphael Brinkert (Jung von Matt/sports)
Ein Wochenende für das Geschichtsbuch: Angelique Kerber gewinnt die Australian Open, die Handballer werden Europameister, die Rodler sechsfacher Weltmeister. Dazu noch EM-Silber im Eiskunstlauf, Siege bei den Nordischen Kombinierern, Weltcup-Sieg beim Ski alpin, die Tischtennis German Open in Berlin und der 19. Spieltag der Fußball-Bundesliga. Sportdeutschland hatte an diesem Wochenende mehr als einen Grund zum anfeuern und feiern! Und zu Recht stahlen die Sensationssiege im Tennis und Handball „König Fußball“ die Show.
 
Doch wie nachhaltig ist der Erfolg, wenn Sportarten mit Millionen Mitgliedern wie Handball und Tennis von der medialen Öffentlichkeit nur dann Beachtung erhalten, wenn sich Sensationen ankündigen? Wer von uns hat in der ersten Woche Angelique Kerber bei der Abwehr des gegnerischen Matchballs beim Erstrundenmatch die Daumen gedrückt? Wer hat die Handballer vor dem entscheidenden Hauptrundenspiel gegen Dänemark angefeuert? Die Wahrheit findet sich nicht auf dem Platz, sondern im Netz: keiner. Jedenfalls, wenn ich mir rückblickend die Timelines von Medien, prominenten Fans, Freunden und mir selbst anschaue (Brinkert-Foto: Jung von Matt/sports).
 
Seit besagtem Wochenende sind wir also wieder Handball- und Tennisnation. Wir wissen, dass der ausländische Handball-Trainer die deutsche Hymne singt, dass Angelique Kerber aus Polen stammt und Porsche liebt. Das gleiche Medium, das wenige Tage zuvor aus der Handball-Sieben noch die Handballnational-Elf machte, kennt unsere Stars jetzt besser als langjährige Weggefährten und fragt öffentlich: Gibt es einen neuen Tennis-Boom? Die Ernüchterung folgte für die Handballer am Tag nach dem Triumph auf dem Fuß, besser gesagt auf dem Cover: Die bessere Platzierung und die größere Headline erhielt die neue Bild-Serie „Richtig abnehmen“.
 
Ob aus Randsport wieder Hallen- und Sandsport wird, liegt also nicht nur in den Händen von 0,8 Millionen Mitgliedern im Handball und 1,4 Millionen im Tennis. Sie liegt auch in den Händen der Marketingentscheider, der Werber, der Vermarkter, der Politik und der Funktionäre auf Vereins- und Verbandsseite. Der einfache Grund: Um Höchstleistungen abzuliefern, benötigt es professionelle Rahmenbedingungen. Das beginnt bei der Förderung statt stückweise Abschaffens des Schulsports durch die Kultusminister, setzt sich über Kooperationen von Ganztagsschulen mit lokalen Vereinen fort und endet bei Nachwuchsleistungszentren und gezielten Förderungen im Nachwuchs-, Amateur- und Profibereich durch private und öffentliche Sponsoren.

Die Entdeckung der profitablen Nische
 
Aktuell erinnert die Mehrheit der Sponsoring-Entscheider jedoch an Lemminge, die unwissend in den Tod laufen. Andernfalls würden sich mehr Sponsoren die Frage stellen, ob sich Investitionen in Logen, Banden und Trikotbrüste im 21. Jahrhundert abseits der Top-Klubs im Fußball noch lohnen oder ob sich das Longtail-Phänomen des Internet sich nicht längst auf den Sport übertragen lässt: die Entdeckung der profitablen Nische. Dafür muss man jedoch strategisches Sportmarketing statt Mäzenatentum betreiben und den Mut haben, Entscheidungen gegen seine persönlichen Neigungen zu treffen.
 
Mit weitaus geringeren Investitionen können Marken so im Rand-, Trend-, Fun- und Amateursport weitaus größere Wirkung erzielen. Es können nicht nur ganze Sportarten gefördert werden, sondern auch die eingesparten Summen in die Aktivierung der Sportinteressierten gesteckt werden. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Für den durchschnittlichen Preis eines Trikotsponsorings bei einem Fußball-Erstligisten können sie alleiniger Sponsor der gesamten Handball-Champions-League werden – mit internationaler Präsenz und kreativem Spielraum bei der Aktivierung.
 
Und für den Preis einer Loge erhalten sie immerhin noch das Namensrecht der Tischtennis-Bundesliga und den Kontakt zu 9300 Vereinen mit 590.000 Mitgliedern sowie Videos, die aufgrund der Ballwechsel millionenfach im Netz geklickt werden. Antizyklisches Verhalten erhöht den Werbedruck, sagen Marketing-Handbücher. Ich bin gespannt, wer als einer der Ersten Erlerntes in die Tat umsetzen wird (Handball-Foto: Sampics/Augenklick).
 
Die größte Chance für ein Comeback liegt neben dem qualitativen Sponsoring von Querdenkern in den Händen der Verbände: Aus vielen Einzelinteressen muss endlich ein Team werden, das sich in den Dienst des Sports stellt und Sponsoren, Fans und Mitglieder aktiv zurückerobern will. Wie das geht, zeigen nicht nur Interessensvertretungen, Genossenschaften und Unternehmen wie Edeka und die Sparkasse, sondern auch das Handwerk mit der Kampagne „Die Wirtschaftsmacht. Von Nebenan“. In den meisten der 9000 Tennisklubs und 4500 Handballvereine sollten sich viele Bäcker, Tischler & Co. finden lassen, die berichten können, wie sich Image durch Gattungsmarketing positiv wandeln lässt.
 
Wer feiern kann, der kann auch arbeiten, sagt man. Ich würde mich freuen, wenn wir als Dank für die Feiern etwas Arbeit in den Sport stecken: mit qualitativem statt quantitativem Sportsponsoring, mit mutigen Querdenkern auf Unternehmens- und Verbandsseite und mit gezielten Investitionen in Nachwuchs-, Breiten- und Amateursport! 
 
Raphael Brinkert ist Mitinhaber und Gründer von Jung von Matt/sports. Dieser Beitrag wurde ursprünglich auf der Website des Medien-Branchendienstes Horizont veröffentlicht. Wir danken für die großzügige Überlassung.