Der Sportjournalismus damals und heute

90 Jahre VDS

09.01.2017 Der Sportjournalismus war auch immer beeinflusst von politischen Entwicklungen. Inzwischen sind Themen wie Doping und Korruption auf der Tagesordnung. Ein historischer Überblick anlässlich des 90-jährigen Geburtstags des VDS.
Autor: Steffen Haffner
Der Sportjournalismus von heute ist eine nicht zu übersehende Medienmacht. Neben den – abgesehen vom „Boulevard“ – eher sachlichen Ausprägungen der schreibenden Zunft prägen die farbigen und nicht selten schrillen Darstellungsformen des Fernsehens das Bild unseres Berufsstandes in der Öffentlichkeit. Und da kommen wir schon ein wenig ins Stocken: Sind die TV-Sportreporter und Sportmoderatoren überhaupt noch Journalisten? Sie arbeiten zwar mit journalistischen Methoden vom Interview bis zur Reportage. Doch sind sie nicht eher Verkäufer des Produkts Sportevent von Champions League bis Formel 1? Und gerieren sich viele von ihnen nicht als Stars der Unterhaltungsindustrie?

Stärker noch als die Hörfunk- und Printkollegen müssen sie mit dem Vorwurf der Oberflächlichkeit leben. Und so wird oft bedauernd gefragt: Wo bleibt die Kritikfähigkeit? Dieses Manko teilen sie mit den Sportjournalisten des gedruckten Wortes. Doch sind gerade in den Sportteilen von FAZ, der Süddeutschen, des Spiegel – um nur einige zu nennen – zunehmend Tendenzen zu investigativer Wahrheitsfindung und kritischer Kommentierung zu beobachten (Haffner-Foto: privat).

Dies leisten zum Beispiel beim WDR auch die Sendung „Sport inside“ und beim Hörfunk die Sportkollegen des Deutschlandfunks. Und der Berliner Journalist Hajo Seppelt zeigt, wie notwendig es ist, hinter die glamouröse Fassade des Spitzensports zu blicken. Seine Enthüllungen der Dopingpraktiken des russischen Staats und das halbherzige Verhalten des IOC haben die Doppelbödigkeit der „olympischen Bewegung“ drastisch vor Augen geführt. Seit einigen Jahren befasst sich bei der ARD eine „Recherche-Redaktion Sport“ mit so unliebsamen Themen wie Doping und Korruption.

Mitte der 1920er-Jahre, als der VDS gegründet wurde, wäre eine derartige Aufgabenstellung als abwegig abgetan worden. Der Sport und der Sportjournalismus waren, getragen von einer überschäumenden Begeisterung, erst im Begriff, sich selbst zu finden. Sie knüpften an die Zeit um die Jahrhundertwende an, als nicht zuletzt Sportler in den Redaktionen um ein wenig Platz in den Zeitungen bettelten, um selbst vom Geschehen auf den Sportplätzen und in den Sporthallen berichten zu können.

Gefahr einer gewissen Kumpelhaftigkeit mit Athleten und Trainern

Seitdem sind Sportjournalisten in der Gefahr einer gewissen Kumpelhaftigkeit mit Athleten und Trainern. Mit der rasanten Entwicklung des Sports zu einem Massenphänomen professionalisierte sich der Sportjournalismus mit wachsenden Sportteilen. Der noch in den Kinderschuhen steckende Hörfunk schickte seine Reporter aus, die lebhaft über spannende Fußballspiele, packende Autorennen, dramatische Boxkämpfe oder über die glitzernde Welt der Sechstagerennen berichteten.

Die Sportjournalisten, die in der Öffentlichkeit stärker präsent waren als ihre seriöseren Kollegen von Politik und Feuilleton, wurden als die bunten Vögel ihres Berufsstandes betrachtet. Ihnen lag es fern, sich mit den negativen Erscheinungen des Sports zu befassen. Vielmehr sahen sie sich als Chronisten und Propagandisten des Sportgeschehens. Die Zeitungsjournalisten mussten ja vor der Ära des Fernsehens noch haarklein die Abläufe schildern, um die Leser über die Wettkämpfe zu informieren. Es entstand die so genannte 1:0-Berichterstattung.

Im „Dritten Reich“ sollte der Sport nicht zuletzt der militärischen Ertüchtigung dienen. Der Sport, der auch bei den Pimpfen und der Hitler-Jugend eine große Rolle spielte, wurde als Köder für die Jugend ausgelegt, um sie politisch einzufangen. Die großen Sportereignisse zunehmend mit deutschen Erfolgen stärkten das nationale Selbstbewusstsein. Mit den Olympischen Spielen von Berlin 1936, deren Legenden bis in die heutige Zeit wirken, wurde der Welt über die wahren Ziele der Nationalsozialisten Sand in die Augen gestreut (Foto Sepp Herberger und Helmut Haller: Fotoagentur Kunz/Augenklick).

Viele Sportjournalisten fühlten sich durch die dem Sport und damit auch ihnen zugemessene Bedeutung geschmeichelt und ließen sich von den Machthabern als willfährige Helfer vor deren Karren spannen. Wer von den Sportjournalisten das nicht wollte, sah im Sport, dessen organisatorische Vielfalt durch den Korpus des Nationalsozialistischen Reichsbundes für Leibesübungen ersetzt wurde, zu Unrecht einen unpolitischen Schutzraum. Eine ganze Reihe renommierter jüdischer Sportjournalisten konnte sich der Verfolgung durch die Nazis nur durch die Flucht ins Ausland entziehen.

Demokratische Verfassung für den organisierten Sport

In der Nachkriegszeit regte sich zwischen den Ruinen der Pioniergeist des Sports. Und der erfasste auch die Sportjournalisten, von denen manche im Westen Deutschlands beim Aufbau neuer Strukturen eine wesentliche Rolle spielten. Auch der Sport und der Sportjournalismus wurden nach dem politischen Missbrauch im „Dritten Reich“ von den Besatzungsmächten argwöhnisch beäugt. Trotz mancher Einschränkung gelang es nach zähem Ringen, dem organisierten Sport eine demokratische Verfassung zu geben.

Im Osten Deutschlands sorgten die sowjetischen Machthaber strikt dafür, dass der bürgerliche Sport mit seinem Vereinswesen nicht wieder erstand. Spätestens mit der Gründung der DDR im Jahre 1949 wurde offenbar, dass der Sport vor allem zum Kampf um die Anerkennung der DDR genutzt werden sollte. Einige Chefideologen gaben den ostdeutschen Sportjournalisten die offizielle Sprachregelung vor.

Gerade in der Zeit des Kalten Krieges blieb es freilich auch deren Kollegen in der Bundesrepublik nicht erspart, sich in den 1960er-Jahren mit den politischen Begleiterscheinungen des Gezerres um die gesamtdeutschen Olympia-Mannschaften zu befassen. Und Politik von der brutalen Art forderte die Sportjournalisten mit dem Münchner Olympia-Attentat von 1972 in besonderer Weise. Bei den harten Auseinandersetzungen um den Olympia-Boykott der Spiele von Moskau 1980 wurden sogar einige Sportredaktionen von den politischen Ressorts entmündigt (Foto: Fotoagentur Kunz/Augenklick).

Auch wenn das „Wunder von Bern“ 1954 im Nachhinein zum Gründermythos der Bundesrepublik stilisiert wird, sahen sich die Sportjournalisten bis in die 1970er-Jahre intellektuellen Vorbehalten der Redakteure des Feuilletons und der Politik gegenüber. Der Kampf um die gesellschaftliche Anerkennung des Sports wurde im eigenen Interesse auch von den Sportredaktionen der Zeitungen und von den Nachrichtenagenturen Sport-Informations-Dienst und Deutsche Presse-Agentur unterstützt, die nach wie vor wertvolle Basisarbeit für die Medien leisten.

Der „Goldene Plan“ der frühen 1960er-Jahre für einen umfassenden Sportstättenbau und die 1970 gestartete Trimm-dich-Kampagne, mit der Millionen Bundesbürger zu sinnvoller körperlicher Bewegung animiert wurden, wäre ohne die Unterstützung durch den Sportjournalismus kaum denkbar gewesen. Ebenso wenig der Erfolgsweg der Stiftung Deutsche Sporthilfe, die im kommenden Jahr ihr 50-jähriges Bestehen feiert. Ihr Prestigeobjekt „Ball des Sports“ wurde zum Beispiel von Kollegen des Wiesbadener Sportpresseklubs erfunden.

Schrecklicher Sportjargon mit zum Teil militärischen Sprachbildern

Sportjournalismus bedeutete lange Jahre, den Lesern, Hörern und spa?ter auch den Fernsehzuschauern die Vielfalt des Sports nahe zu bringen. Im Osten wie im Westen besorgten dies viele heute rar gewordene „Fachjournalisten“, die sich bis in die Verästelungen des Regelwerks und der Trainingsmethodik in „ihrer“ Sportart auskannten. Sprachsensible Zeitgenossen regten sich seiner Zeit zu Recht über den schrecklichen Sportjargon mit überfrachteten, zum Teil militärischen Sprachbildern auf.

Mit dem Siegeszug des Fernsehens veränderten sich auch die Art und Weise, wie der Sport in den Zeitungen dargestellt wurde. Die Abläufe bei Sportereignissen brauchten nicht mehr detailliert geschildert zu werden. Mit Reportagen, Porträts, Interviews und Kommentaren gingen die schreibenden Kollegen stärker als bisher in die Tiefe des Sports. Bei Neueinstellungen wurde und wird mehr Wert auf die Bildung und die journalistische Ausbildung der Bewerber gelegt. Eine anspruchsvollere Sprache verdrängte in den Printmedien weitgehend den Sportjargon.

Zwei Einschnitte in den 1980er-Jahren hatten auch ihre Wirkungen für den Sportjournalismus: die Öffnung der Olympischen Spiele für Profis und die dynamische Entwicklung des kommerziellen Fernsehens. Beides beförderte den Starkult, der mit Boris Becker, Steffi Graf und später Michael Schumacher Formen einer Massenhysterie annahm. Die Medien hatten daran ihren Anteil (Graf-Foto: GES-Sportfoto/Augenklick).

Der Sport wurde und wird verstärkt als Quotenbringer genutzt. Eine kritische Distanz ist nun für Fernsehjournalisten kaum noch möglich, wenn sie zum Beispiel beim Fußball den Trumpf der Übertragungsrechte ausspielen. Umso wichtiger, dass die schreibende Zunft sich nach wie vor um ein neutrales Urteil bemüht. Die Vielfalt des Sports sichtbar zu machen, ist freilich beim Stellenwert des Fußballs ein mittlerweile fast hoffnungsloses Unterfangen. Das gelingt nur noch alle zwei Jahre bei den Winter- und Sommerspielen.

Doping durchdringt den Spitzensport wie ein Schimmelpilz

Doch der olympische Sport, der sich einst mit dem Wert des Fairplay als ethisch besser dünkte, wird überlagert vom Problem des Dopings, das den Spitzensport durchdringt wie ein Schimmelpilz. Die Sportjournalisten sehen sich in dem Dilemma, das leidige Thema permanent darstellen zu müssen. Das aber führt bei den Lesern zu Verdruss. Und wa?hrend die Fußball-Begeisterung unter den Skandalen bei FIFA und UEFA kaum leidet, tragen die unhaltbaren Zustände in einigen großen internationalen Sportverbänden zusätzlich dazu bei, dass sich immer mehr Menschen vom Hochleistungssport abwenden.

Tröstlich, dass bis jetzt der Breiten- und Wettkampfsport in den Vereinen kaum Schaden nimmt. Und dass immer mehr Menschen entdecken, wie viel Freude und gesundheitlichen Nutzen es bringt, selbst Sport zu treiben. Hier tut sich ein zunehmend bedeutendes Arbeitsfeld für unseren Berufsstand auf, das in den überregionalen Sportteilen und in den elektronischen Medien bislang kaum beackert wird. Zum Glück nehmen sich viele Lokalsportteile und zunehmend auch „das Lokale“ des Themas Breitensport an (Foto: firo sportphoto/Augenklick).

Doch wie lange wird es überhaupt noch Zeitungen geben, die sich als Sachwalter einer sinnvollen Entwicklung des Sports sehen? Zumindest Tageszeitungen sind in ihrer Existenz gefährdet, seitdem das Internet mit seinen Werbemöglichkeiten die einträglichen Stellenanzeigen überflüssig macht. Der wirtschaftliche Druck mit Spar- und Kündigungswellen hat auch gezeigt, dass die Sportredaktionen in der Konkurrenz mit den großen Ressorts eben doch meist die schwächsten sind – auch wenn das Ansehen „des Sports“ im Hause deutlich gestiegen ist.

Immer weniger Sportredakteure müssen immer mehr leisten. Über Blattmachen und Schreiben hinaus sollen am besten noch Videos und Audios gefertigt werden. Sich über Facebook, Twitter und alle möglichen Websites zu informieren, wird heute ebenfalls vorausgesetzt. Die klassische Zeitungsredaktion ist ein Auslaufmodell. Die Sportredaktionen sind heute wie auch die anderen Ressorts online präsent. Und die Verlage setzen nicht selten stärker auf die Karte Internet als auf gedruckte Ausgaben. Garantien für die Sportjournalisten kann es angesichts der allgemeinen Verunsicherung nicht geben, schon gar nicht für die freien Mitarbeiter und Fotografen.

Nach wie vor Bedürfnis nach gedruckten Texten und Bildern

Die Prognosen für die traditionellen Zeitungen mit ihren Sportteilen sind düster. Dennoch scheint es nach wie vor ein Bedürfnis nach gedruckten Texten und Bildern zu geben. Der Markt an Zeitschriften, die Spezialinteressen bedienen, boomt. Möglicherweise überleben vor allem die großen Zeitungen mit ihren Druckausgaben, wenn sie sich weitgehend von der Aktualität verabschieden und noch konsequenter auf Reportagen, Hintergrundgeschichten und Kommentare setzen. Das gilt auch für die Sportteile. In dieser komplizierten Welt der Globalisierung benötigen die Leser verstärkt Orientierungshilfen. Und hat das gedruckte Wort nicht eine intensivere Nachhaltigkeit als gesprochene Texte, die sich leicht versenden, oder als die flüchtige Lektüre im Internet?

Im Vergleich zur Zeitungslandschaft brauchen die elektronischen Medien weit weniger um ihre Existenz zu fürchten. Und doch wird auch hier nichts so bleiben, wie es schon immer oder schon lange war. Welchen Stellenwert behält das Fernsehen, wenn das Internet mit seinen Streaming-Diensten zur großen Konkurrenz wird? Wie entwickelt sich der Trend zu den mobilen Medien? Und welche Rolle spielt bei alldem der Sportjournalismus?

Auch hier liegen Chance und Risiko dicht beieinander. Der Hörfunk dürfte sich in seinem Nischendasein weiter behaupten. Die Bundesliga-Konferenz wird mit Sicherheit Kult bleiben. Ansonsten begnügt sich der Sport im Radio mehr und mehr mit Häppchen-Journalismus. Umso größere Bedeutung kommt dem Sport im Deutschlandfunk zu, der die Hörer beharrlich hinter die Kulissen führt.

Sport und Sportjournalismus hängen in ihrer Entwicklung eng zusammen. Die Print- und Onlinejournalisten könnten mit kritisch differenzierter Darstellung dem Sport Wege weisen. Die Kollegen vom Fernsehen könnten daran anknüpfen. Sie sind in besonderer Verantwortung, die faszinierende Vielfalt des Sports über Fußball hinaus weit stärker als zuletzt sichtbar zu machen. Vielleicht wäre es sinnvoll, wenn die Sportjournalisten verschiedenster Couleur ein gemeinsames Bewusstsein und neue Formen der Zusammenarbeit entwickelten. Der VDS könnte dabei 90 Jahre nach seiner Gründung eine Schlüsselrolle spielen.

Steffen Haffner war viele Jahre Leiter des Sportressorts der FAZ. Heute ist er Herausgeber des Magazins Olympisches Feuer.

Dieser Artikel stammt aus der Ausgabe Januar 2017 des sportjournalist, die direkt beim Meyer & Meyer Verlag bestellt werden kann. Mitglieder des VDS können sich das Heft als PDF im Mitgliederbereich kostenlos herunterladen.