„Sportjournalisten haben die Pflicht, hinzuschauen und einzuordnen“

Der Wert von Werten – Teil II

25.03.2018 Der Sport entfernt sich bei Großereignissen von seinen Prinzipien. Welche Auswirkungen hat das auf Athlet*innen und sportjournalistische Berichterstattung? Der Versuch einer Annäherung.
Autor: Katrin Freiburghaus
Im ersten Teil des Reports über die verlorenen Werte im Sport ging es unter anderem um die große Verantwortung des Sportjournalismus in Zeiten der Instrumentalisierung.

Dass die Werte, für die Sport in seiner Breite völlig zu Recht steht, immer weniger mit seinen erklärten Höhepunkten zu tun haben, kritisieren viele Athlet*innen zwar – oft aber erst nach dem Ende ihrer aktiven Karriere. Beachvolleyball­-Olympiasieger Julius Brink legt dabei Wert auf die Unterscheidung zwischen „Olympia als Athlet, das für mich ein wunderbarer Traum war“, und „allem, was Olympia als Großevent ausmacht – das ist etwas ganz anderes“.

Diese Entwicklung zu ignorieren hält SZ-Redakteur Johannes Aumüller für falsch, „aber der Sport selbst wird den Hebel nicht umlegen. Es kommen also nur die Politik, die Justiz sowie die Sponsoren und damit die Konsumenten in Frage. Denn die Sponsoren registrieren sehr wohl, wenn ihre Konsumenten solche Großereignisse ignorieren oder ablehnen. Das ist es, was das IOC befürchten muss.“ Momentan verbuche es Rekordeinnahmen, aber die FIFA tue sich mit den Sponsorenpaketen für Russland bereits schwer (Brink-Foto: GES-Sportfoto/Augenklick).

Capital­-Redakteur Thomas Steinmann hält es für naiv, zu glauben, „dass die Konzerne jetzt reihenweise Menschenrechte in den Vordergrund stellen würden“. Ein wesentlicher Faktor sei im Vorfeld der WM in Russland die desolate Außendarstellung der FIFA nebst laufender Verfahren gegen einige ihrer (Ex­-)Funktionäre. Allerdings räumt er ein, „dass es schon sein kann, dass das teilweise mit Russland als Gastgeber zu tun hat, weil es in der jüngeren Vergangenheit immer halbwegs demokratische Ausrichter gab“.

Die Drohungen der Unternehmen mit laufenden Verträgen in Richtung des Weltverbands klängen jedoch „immer ein bisschen halbgar“, sagt Steinmann. Die Verträge derer, die sich das Abenteuer in Russland sparen, sind ausgelaufen, der Verzicht war zudem „nie mit einem Statement verbunden“, sagt er. „Es mag also sein, dass FIFA und Russland als Faktoren eine Rolle spielen, aber ein Fall, in dem sich jemand wirklich mal mutig hingestellt und protestiert hätte, ist mir nicht bekannt.“

An diesem Punkt sieht Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, alle Teilnehmer von Großveranstaltungen in der Verantwortung, „auch Sportjournalisten“. Letztere hätten „die Pflicht, hinzuschauen und einzuordnen, in welchem Rahmen das stattfindet“. Zwar sieht er das Grundübel „drei Schritte vorher bei der Vergabe“, aber wenn daran nichts mehr zu ändern sei, „muss man die Chance nutzen, einem Ausrichter wie Russland nicht zu gestatten, das Bild von sich als weltoffenes Land zu zeichnen, obwohl es die Pressefreiheit in Wahrheit mit Füßen tritt“.

Für die Standard­-Antwort vieler Sportler*innen, sie wollten sich auf ihre Wettkämpfe konzentrieren, hat er dagegen Verständnis. Auch Aumüller sagt: „Ich habe gewisse moralische Ansprüche an Sportler, aber die haben zehn Jahre, in denen sie Geld verdienen können. Dass sie sich in denen nicht jeden Tag zur Menschenrechtslage äußern und mit den Strukturen anlegen, verstehe ich, auch wenn ich es mir anders wünschen würde.“

Astrid Rawohl, Ressortleiterin Sport beim Deutschlandfunk, beschreibt die Situation der Athlet*innen als Paradoxon: „Der Athlet hält die Maschinerie am Laufen“, sagt sie, „aber ich glaube, dass die Athleten Angst haben. Sie wären gerne mündiger.“ Der Sportler hat zugleich absolute und keine Macht. Was das konkret bedeutet, fasst Beachvolleyballer Brink so zusammen: „Wenn ich mir als junger Sportler eine Karriere aufbaue, tue ich das in dem Wissen, dass ich keinen Einfluss auf die Wahl des Austragungsortes haben werde, an dem möglicherweise mein Karrierehöhepunkt stattfindet.“

Dieser Artikel stammt aus der Ausgabe Februar/März 2018 des sportjournalist, die direkt beim Meyer & Meyer Verlag bestellt werden kann. Mitglieder des VDS erhalten das Heft automatisch per Post und können sich es zudem als PDF im Mitgliederbereich kostenlos herunterladen. Lesen Sie im dritten und letzten Teil des Reports über die verlorenen Werte im Sport, warum DOSB und DFB so sehr um politische Neutralität bemüht sind.