„Immer so etwas wie TÜV oder Stiftung Warentest“

Report „100 Jahre kicker“ – Teil II

20.07.2020 Der kicker wird diesen Sommer 100 Jahre alt – und polarisiert noch immer. Lesen Sie im zweiten und vorletzten Teil des sportjournalist-Reports, wieso das Fachblatt gleichzeitig als eher bieder und doch modern wahrgenommen wird.
Autor: Maik Rosner
Im ersten Teil des dreiteiligen kicker-Reports anlässlich dessen 100-jährigen Jubiläums ging es um den von manchen als etwas zu betulich empfundenen Sprachstil des Fachblattes.

Rainer Franzke, wie Jörg Jakob und Alexander Wagner Mitglied der Chefredaktion, ist schon seit 1979 dabei. Er erinnert an jene Zeiten, in denen die Auflage des kicker mehr als 350.000 Exemplare betrug und aus denen sich manche Klischees gehalten haben. Kritik, findet er, sei jetzt eher an den Medienabteilungen der Vereine angebracht. „Gerade bei Interviews wird man heute fast zu einem Verlautbarungsjournalisten degradiert durch eine unglaubliche Zensur“, sagt Franzke.

Deswegen setze man verstärkt auf Meinungsartikel, anders als beispielsweise noch in den 1980er-Jahren, als der kicker vom nahezu uneingeschränkten Zugang zu den Fußballern profitierte und, wie Kritiker anmerken, auch inhaltlich auf Distanz verzichtete. Franzke erlebte damals bei Eintracht Frankfurt in der Vereinskneipe, wie die Frauen und Kinder der Fußballer während des Trainings Flipper spielten.

Die Partnerin habe dort „auch mal ein paar Sachen erzählt, wie es zu Hause läuft und wie der Dieter Eckstein so tickt. Oder man hat in der Kabine angerufen und den Zeugwart oder Masseur drangehabt. Dann hat der in die Kabine gerufen: ‚Der kicker ist dran.‘ Dann kam der Trainer oder Spieler, den man sprechen wollte.“ Franzke sagt: „Für die Reporter ist es schwieriger geworden, die kommen ja teilweise nur noch über die Berater an die Spieler heran.“

Zu Wort kamen in den Jubiläumsdokus von ARD und DAZN auch langjährige Wegbegleiter wie Uli Hoeneß, der sich über die Darstellung amüsierte, die Klubs hätten einst Transfers auf Grundlage der Noten und Ranglisten im kicker getätigt. Anerkannt wird aber von Fußballern wie Sportjournalisten der Stellenwert des Fachblatts, das Generationen von Fans und Kolleg*innen begleitet hat und sich inzwischen multimedial behauptet.

Der kicker wird als eher bieder, aber gleichzeitig auch als modern wahrgenommen

Für Matthias Brügelmann, Chefredakteur des Kompetenzcenters Sport der Bild-Gruppe, ist der kicker „immer so etwas wie der TÜV oder die Stiftung Warentest“ gewesen. Als digitaler Marktführer habe er sich in seinem Segment zudem „einen Vorsprung erarbeitet, der fast nicht mehr aufzuholen ist“.

Das muss man als Hundertjähriger auch erst einmal hinbekommen, von der deutlich jüngeren Konkurrenz als traditionell und eher bieder sowie zugleich als modern und innovativ wahrgenommen zu werden. Dabei zog Gründer Walther Bensemann die ersten Ausgaben am 14. Juli 1920 in seinem Bollerwagen schon mit der Idee der Völkerverständigung durch Konstanz und forderte vier Jahre später in seinem Blatt die Vereinigten Staaten von Europa, was kurz nach dem Ersten Weltkrieg sehr progressiv gedacht war (Foto Titelseite der kicker-Erstausgabe: kicker).

Blättert man durch die Geschichte des kicker mit manchen Brüchen, der Fusion mit dem Sportmagazin und den bilanziell zunehmend wichtigen Sonderausgaben, fällt auf, dass es Momente der Weitsicht immer wieder gab zwischen Althergebrachtem, das das Image der Redaktion weitaus stärker prägt. Wie mit dem TV-Format „kicker-Stammtisch“, bei dem von 1983 an über den Fußball diskutiert wurde, zwölf Jahre vor dem „Doppelpass“ im Sport1-Vorläufer DSF.

Oder 1997, als der kicker vergleichsweise früh auf Online setzte und das Managerspiel „ein großer Schlüssel zum Erfolg“ war, wie Digital-Chef Alexander Wagner sagt. 2014 wurde eine gemeinsame Chefredaktion aufgestellt, die Digital- und Printredaktion zusammengeführt und gegen den Trend Personal eingestellt. „Zuletzt haben wir mit unseren digitalen Kanälen monatlich an die zehn Millionen Menschen erreicht“, sagt Wagner. 2019 wurde digital erstmals deutlich mehr erlöst als mit Print, das noch kein Verlustgeschäft sei, wie es aus dem Verlag heißt.

Lesen Sie im letzten Teil des dreiteiligen kicker-Reports, weshalb auch für das traditionsbewusste Fachblatt die konsequente Weiterführung des Digitalisierungsprozesses ein Muss ist.

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