Entwicklung zum digitalen Bollerwagen

Report „100 Jahre kicker“ – Teil III

27.07.2020 Trotz aller Tradition zeigt sich der kicker offen für Innovationen. Das ist auch nötig, denn der 100-Jährige würde ohne einen kreativen Umgang mit der Digitalisierung bald schon große Probleme bekommen. Lesen Sie im dritten und letzten Teil des sportjournalist-Reports, in welche Richtung es gehen wird.
Autor: Maik Rosner
Im ersten Teil des dreiteiligen kicker-Reports anlässlich dessen 100-jährigen Jubiläums ging es um den von manchen als etwas zu betulich empfundenen Sprachstil des Fachblattes. Der zweite Teil widmete sich der Frage, wie es sein kann, dass der kicker gleichzeitig als eher bieder und doch modern wahrgenommen wird.

Sie sind gewissermaßen traditionell innovativ, und sie ahnen, dass sie künftig umso mehr gezwungen sein werden, sich zum digitalen Bollerwagen zu entwickeln. Man müsse zwar nicht überall dabei sein, aber sollte auch keinen vielversprechenden Trend verpassen, sagt Digital-Chef Alexander Wagner.

„Das wird sicherlich die große Herausforderung sein: zu investieren und innovativ zu sein, aber zielgerichtet“, fügt er hinzu (Wagner-Foto: kicker). Corona werde „der Digitalisierung den absoluten Schub geben“, ist er überzeugt, „wir wollen und müssen innovativ sein, aber ohne unseren Markenkern Seriosität und Glaubwürdigkeit über Bord zu werfen“.

Um systematisch Ideen für übermorgen zu entwickeln, haben sie 2019 ein Innovationsteam im Verlag mit rund einem Dutzend wechselnder Mitarbeiter aus allen Abteilungen gegründet. „Die Ergebnisse, zu denen wir dabei kommen, werden sich stark auf unser redaktionelles Angebot auswirken“, sagt Jörg Jakob aus dem Chefredakteurs-Trio mit Rainer Franzke und Wagner.

Der kicker sei mit seiner Montagsausgabe schon lange als „Hybrid aus Magazin und Tageszeitung eine Ausnahmeerscheinung“ und entwickle sich gerade online „zu einer Sportplattform mit dem Fußball als Kernbereich“. Ideen, diese weiter auszubauen, haben sie einige. Neben den bestehenden Video-Formaten, Podcasts, Voice-Applikationen oder E-Games samt Beteiligungen an Start-ups denken sie auch an Virtual Reality oder personalisierte Ausgaben des E-Magazins.

„Noch deutlich mehr in Richtung Analyse und weg vom Aktuellen“

Zugleich wird es darum gehen, die Inhalte der Printausgabe zu überdenken. Diese werde sich „noch deutlich mehr in Richtung Analyse, Meinung und Lesevergnügen entwickeln müssen und weg vom Aktuellen“, sagt Jakob, „es liegt ganz klar auf der Hand, dass wir in der Printwelt noch magaziniger, hintergründiger und unterhaltsamer werden müssen“, allerdings ohne die „rote Linie“ Richtung Boulevard zu überschreiten.

Es beschäftigt die Redaktion auch, ob man künftig noch den gesamten Fußball von der Champions League bis zur Regionalliga abbilden und jeden Verein von der ersten bis zur dritten Liga mit einem Text berücksichtigen oder von diesem traditionellen Konzept abweichen sollte. Jakob sagt, die aktuelle Grundversorgung bis hin zur schottischen Liga werde auf Sicht wohl in die digitalen Kanäle abwandern.

Allerdings sei wegen der Stammleser Vorsicht geboten: „Jede Veränderung muss sehr behutsam und evolutionär gestaltet werden und nicht radikal. Die große Kunst ist, zu verändern, ohne zu verschrecken.“ Er fügt hinzu: „Als verlässliches Medium zu erklären und einzuordnen, was wirklich relevant ist, halte ich nach wie vor für unsere allerwichtigste Aufgabe.“ Und zwar auf allen Kanälen.

Der langjährige Chefreporter Karlheinz Wild bezeichnet es als „Herzenswunsch“, dass die Marke kicker auch künftig intern wie extern „als Ganzes gesehen wird“ und sich alle Abteilungen „total ergänzen, befruchten und sagen: ‚Wir sind eins‘.“ Eine bestärkende Laudatio der Kolleg*innen braucht dieser Jubilar dafür wohl kaum. Der 100. Geburtstag steht für sich.

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