Fallstricke in der Berichterstattung

Rassismus-Report – Teil II

23.11.2020 Auch im Sportjournalismus wird diskutiert, wie berichtet werden soll, damit sich auch Minderheiten eingeschlossen fühlen. Der Prozesse der Sensibilisierung für als rassistisch oder sexistisch empfunden werden könnende Stereotypen hat gerade erst begonnen.
Autor: Christoph Ruf
Im ersten Teil des dreiteiligen Rassismus-Reports ging es um die Frage, warum noch immer in der Berichterstattung häufig auf Stereotypen zurückgegriffen wird.

Wie dpa-Kollegen berichten, ist es derzeit bei der Agentur auf mehreren Ebenen Thema, ob und gegebenenfalls wie die gegenwärtigen Wendungen und Ausdrücke überprüft werden müssen. Der SID hat ein vom freien Journalisten Malcolm Ohanwe durchgeführtes Webinar abgehalten, das über als rassistisch empfundene Fallstricke in der Berichterstattung sensibilisieren soll. Und tatsächlich erzählen in Ohanwes Präsentation Kolleginnen und Kollegen von zum Teil schockierenden Diskriminierungserfahrungen. So wurde ein Fotograf im Presseraum eines Fußball-Erstligisten von einem älteren Kollegen darauf hingewiesen, dass dieser sich in einem Journalisten vorbehaltenen Bereich befände.

Der Gedanke, dass ein Schwarzer sich an drei Akkreditierungs-Kontrollen vorbeigemogelt haben könnte, erschien ihm offenbar plausibler als die Vorstellung, dass der tatsächlich einem journalistischen Beruf nachgehen könnte. Das mag ein besonders krasses Beispiel sein, und der Fotograf erwähnt auch, dass ihm sofort zwei Kollegen beigesprungen seien. Andere Erzählungen hingegen klingen schmerzhaft vertraut (PK-Foto: GES-Sportfoto/Augenklick).

So berichten gleich mehrere Kolleginnen und Kollegen, dass ihnen unterstellt worden sei, sie hätten ihren Job nur aus politischen Gründen bekommen. Auch das vermeintliche Lob, jemand spreche ja sehr gut deutsch, kommt bei einem Muttersprachler, dessen Vater in Afrika geboren ist, eben nicht als Lob an. Genau wie die Frage nach der Herkunft, auch wenn sie aus tatsächlichem Interesse an der Person gestellt worden sein mag, beim Adressaten vor allem zur schmerzhaften Erfahrung führt, dass er als „fremd“ oder zumindest „anders“ wahrgenommen wird.

Ohne im Einzelnen auf die Details der von Ohanwe empfohlenen Formulierungen eingehen zu können: Er empfiehlt in Anlehnung an eine entsprechende Handreichung der „Neuen Deutschen Medienmacher“, Usain Bolt als „schwarz“ zu bezeichnen, Davie Selke – wenn schon die Hautfarbe wegen des Kontextes erwähnt werden muss – hingegen als „person of color“, nicht jedoch als „farbig“ zu bezeichnen.

Nicht alle Empfehlungen von Ohanwe sind dabei praxisnah. Marie-Laurence Jungfleisch als „nicht-weiß“ oder „migrantisch markiert“ anzumoderieren, dürfte in den Ohren der Fernsehzuschauer ziemlich soziologisch verquast klingen. Und der Satz „Davie Selke, person of color, wurde in Schorndorf geboren“, liest sich auch nicht unbedingt elegant.

Und so wünschenswert es wäre, wenn die Menschen den Namen des in München geborenen Faris Al-Sultan in einigen Jahrzehnten als genauso „deutsch“ empfinden werden wie den des amtierenden deutschen Triathlonmeisters Valentin Wernz – noch ist das bei 95 Prozent der Sportinteressierten nicht so. Deshalb sind sie für die Zusatzinformation „irakischer Vater“ wohl genauso dankbar wie für jene, dass der ehemalige Düsseldorfer Fußballprofi Olivier Caillas eine französische Mutter hat. Nicht in einem Spielbericht, weil „schöner Rösler-Kopfball nach einer Flanke von Olivier Caillas, dessen Mutter Französin ist“ natürlich zu Recht als vollkommen unnützer Zusatz rausredigiert würde. Aber dann doch in einem 120-Zeilen-Caillas-Porträt. Einfach, weil ein Porträt, das eine Frage, die sich 99 von 100 Lesern stellen, unbeantwortet lässt, noch Luft nach oben hat.

Der von Ohanwe erwünschte pädagogische Effekt, dass sich die Erkenntnis durchsetzt, dass die Staatsangehörigkeit sich ausschließlich am Pass festmacht, lässt sich zudem auch dadurch erzielen, dass Namen wie Boateng oder Al-Sultan so selbstverständlich deutsche Sportler bezeichnen wie Müller oder Görges. „Ich fände es wünschenswert, dass auch Namen wie Al-Sultan einfach unkommentiert genannt werden. Wie lange wollen wir denn noch warten, bis es zu einer Selbstverständlichkeit wird, dass nicht jeder, der einen deutschen Pass hat, deswegen Müller oder Maier heißen muss?“, fragt Ohanwe. „Da hat Journalismus auch einen gesellschaftlichen Auftrag. Aus lauter Angst, dass Oma Gitti etwas nicht verstehen könnte, wird das oft vergessen. Ihr kann man mehr zutrauen.“

Dieser Text stammt aus dem sportjournalist. Es wurde für die Verbreitung über die digitalen Kanäle des VDS gekürzt und als Mehrteiler angelegt. Im dritten und letzten Teil des Rassismus-Reports geht es darum, wann Nachfragen nach der Herkunft berechtigt und wann unangebracht sind.

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