Selbstdarstellung und Shitstorm

Kommentator*innen in der Pandemie

19.04.2021 In Corona-Zeiten scheint die Konzentration einiger Kommentator*innen manchmal nicht mehr dem Spiel an sich zu gelten, sondern der Sehnsucht, selbst zum Gesprächsthema zu werden. Das birgt Risiken. Der nächste Shitstorm ist nicht weit entfernt.
Autor: Christoph Ruf
Ein Samstagnachmittag in Pandemie-Zeiten. In der Hand die Fernbedienung. Es fehlt nicht mehr viel und man hat sich endgültig an die geisterhafte Atmosphäre bei den Geisterspielen gewöhnt. Aber täuscht der Eindruck, oder werden die Stimmen aus dem Off (noch) lauter, seit die Ränge verwaist sind?

Wer an diesem Tage die Liveübertragungen aus den ersten drei Ligen verfolgt, bekommt jedenfalls den Eindruck, dass all die Emotionen, die ansonsten von den Rängen aufs Spielfeld schwappen, sich nun in den Sprecherkabinen konzentrieren. Es hagelt Superlative, wo andere eigentlich nur ein ganz normales Ligaspiel sehen: „Wahnsinnspässe“, „Granaten-“, und „Hammerschüsse“. Ohnehin gibt es an jedem Spieltag dutzendfach „geile“ Tore. Und das natürlich in der – wie jedes Jahr – „stärksten zweiten/dritten Liga der Welt“.

Doch noch etwas anderes fällt auf: Viele Kolleginnen und Kollegen scheinen das dringende Bedürfnis zu haben, in ihre Reportagen eine bestimmte Anzahl an Witzen oder Wortspielen einzubauen. Ob sie nun zur Spielsituation passen oder nicht. Die Konzentration scheint manchmal nicht mehr dem Spiel an sich zu gelten. Sondern der Sehnsucht, als Kommentatorin oder Kommentator selbst zum Gesprächsthema zu werden. Hier Beispiele oder gar Namen zu nennen verbietet sich. Zumal Humor eh Geschmackssache ist. Und Eitelkeit schon immer die am weitesten verbreitete Berufskrankheit der Branche war (Foto Spielszene Sandhausen gegen Karlsruhe: GES-Sportfoto/Markus Gilliar/augenklick).

Und dennoch hat sich etwas geändert. Die Narzisstinnen und Narzissten von heute brauchen nicht mehr aufs Wasser zu schauen, um sich selbst zu bewundern. Wer für die Galerie kommentiert, der schaut höchstwahrscheinlich schon während des Arbeitstages mehrfach bei Twitter nach, wie seine „Performance“ denn so im Netz ankam.

Es gibt allerdings ein Problem mit Twitter, diesem Medium, von dem es schon vor fünf Jahren hieß, dass es fast ausschließlich von Journalistinnen und Journalisten genutzt wird. Denn da genau das stimmt, verwechseln viele Redaktionen das hysterische Auf- und Abwogen der Empörungs- und Jubelwellen mit einem gesamtgesellschaftlichen Meinungsbild.

Twitter als Maßstab für redaktionelle Entscheidungen?

Es soll Redaktionen geben, die Leserbriefe langjähriger Abonnentinnen und Abonnenten und die Posts unter den Artikeln in ihren eigenen Onlineauftritten für irrelevant erklären. Die aber panisch die Tagesplanung umwerfen, wenn sich auf Twitter 14 Leute über irgendetwas aufgeregt haben.

Bari Weis, langjährige Redakteurin bei der New York Times, hat jüngst dort gekündigt, weil die Meinungsfreiheit in ihrer eigenen Redaktion nicht mehr gegeben sei. „Twitter ist nicht das Impressum der NYT“, schreibt sie in ihrer Kündigung, „aber es ist zu ihrem mächtigsten Redakteur geworden. Die Moral der Plattform ist zur Moral des Blattes geworden.“ Immer mehr Themen würden so ausgewählt und geschrieben, dass Meinungsführer auf Twitter zufrieden seien.

Jörg Dahlmann taugt nicht als Kronzeuge für den Kampf für Meinungsfreiheit und kritischen Journalismus. Und doch ist er auch Opfer shitstorm-getriebener Personalpolitik und der damit einhergehenden Angst geworden, in den immer unversöhnlicher ausgetragenen Auseinandersetzungen im Netz auf der falschen Seite verortet zu werden. Dahlmann hatte nach einer Torchance des japanischen Spielers Sei Muroya gesagt: „Es wäre sein erster Treffer für 96 gewesen. Den letzten hat er im Land der Sushis geschossen“ (Dahlmann-Foto: GES-Sportfoto/Markus Gilliar/augenklick)

Den Vorwurf des Rassismus, der im Netz daraufhin aufkam, hat Sky bei der Begründung für die daraufhin erfolgte vorzeitige Vertragsauflösung nicht erhoben. Sondern die interessante Formulierung gewählt, dass sich Dahlmann „bei seinen Kommentaren nun mehrfach unsensibel und unpassend verhalten“ habe. Ob mangelnde Sensibilität eine arbeitsrechtliche Kategorie darstellt, ist eine spannende Frage, die uns hier nicht interessieren sollte.

Wenn man unterstellt, dass Dahlmann, der nicht „Land des Sushis“, sondern „der Sushis“ gesagt hat, damit Japanerinnen und Japaner als „Sushis“ bezeichnen wollte (was so etwas Dämliches wäre wie „die Spaghettis“ für Italiener und Italienerinnen), wäre das fraglos platt und ja: abwertend. Gemeint war aber offenbar eher eine Entsprechung von „Land der Kakteen“ für Mexiko oder „Land der Fjorde“ für Norwegen.

Wovor haben wir Journalist*innen eigentlich Angst?

Womit wir beim Punkt wären: Schon Dahlmanns Äußerungen über Sophia Thomalla („Kuschelnacht mit Sophia“) wirkten in ihrem miefigen Altherren-Humor aus der Zeit gefallen. Und zwar: glücklicherweise aus der Zeit gefallen. All die Klischees, die zu Zeiten der WM-Hits von Michael Schanze 1982 noch gesellschaftlich akzeptiert waren – Spanier, die ständig „olé“ rufen, Jugoslawen, zu denen einem natürlich „Rasnici und Slivovic“ einfällt – nerven heute aus gutem Grund. Wie jeder weiß, der als Deutscher auf US-Reise zum x-ten Mal erklären muss, dass er nur selten Sauerkraut isst (und schon gar nicht auf „Pizza German style“).

Kurzum: Der Sushi-Spruch war unnötig und in mehrerlei Hinsicht deplatziert. Genau diesen Hinweis hätte Dahlmann von einem Vorgesetzten auch verdient gehabt. Doch Zeiten, in denen ein „Land der Sushis“ einen Kollegen den Job kosten, sind keine guten Zeiten für Journalismus. Zeiten, in denen hunderte Kolleginnen und Kollegen in privaten Gesprächen sagen, dass die Entlassung „skandalös“, zumindest aber „völlig übertrieben“, sind es erst recht nicht. Zumindest dann nicht, wenn nur ganz wenige davon sich trauen, das auch öffentlich zu sagen. Wovor haben wir eigentlich Angst?

Ich habe vor einigen Wochen mein Twitter-Account gelöscht. Es war eine der besten Entscheidungen meines Berufslebens.