Klare Kante, aber nach fairen Regeln

Kritik an und durch Kolleg*innen

10.03.2022 Kritik gehört zum Journalismus dazu. Was aber, wenn sich die spitzen Bemerkungen auf einen selbst beziehen, gar aus der eigenen Zunft kommen? sportjournalist-Autorin Jana Wiske, Professorin für Ressortjournalismus und PR/Unternehmenskommunikation an der Hochschule Ansbach, mahnt zu Fairness im Wettstreit.
 
Wir Sportjournalisten teilen ja gerne mal aus. Klare Kante bei Einordnung von Leistungen oder Handlungen der Protagonisten gehören dazu. Das stellt sogar eine wichtige Aufgabe für unsere Berufsgruppe dar. Doch diese Kritik kommt auf der anderen Seite oft genug nicht gut an. Verständlich. Wer hört schon gerne, wie schlecht er ist oder was er falsch macht.
 
Doch wie gehen wir selbst mit Kritik an unserer journalistischen Leistung um? Pünktlich zu sportlichen Großereignissen stehen gerade die Live-Berichterstatter im grellen Rampenlicht. Jedes Wort legt die Öffentlichkeit bei Olympia, Meisterschaften oder Fußballspielen auf die Goldwaage, jeder Fehler wird gerade auf Social Media genussvoll auseinandergenommen (Screenshot: Facebook-Seite „Béla Réthy gefällt mir nicht“).
 
Gut 11.000 Menschen haben die Facebook-Seite „Béla Réthy gefällt mir nicht“ abonniert. Immerhin: Die Betreiber legen Wert auf konstruktive Kritik am ZDF-Reporter. Dass es diese Seite überhaupt gibt, sagt viel aus über unsere Gesellschaft. Aber ob es uns nun passt oder nicht: Kritische Stimmen gehören in einem Land, das so viel Wert auf freie Meinungsäußerung legt, dazu. Konstruktive Anmerkungen können gar zur eigenen Weiterentwicklung beitragen.
 
Oft genug ist Live-Berichterstattung ja auch Geschmacksache: Will der Medienkonsument mehr Information, mehr Unterhaltung, Zurückhaltung oder Dauerbeschallung? Wird die ganz persönliche Erwartungshaltung nicht erfüllt, herrscht Unzufriedenheit. Manchmal ist es aber auch die Stimme, die nicht gefällt. Eines ist klar: Es lässt sich nicht jedem recht machen.

Konstruktive Kritik oder ritualisierte Attacken?
 
Letztlich braucht es vom Sportjournalisten an exponierter Stelle also viel Selbstbewusstsein, Durchhaltevermögen – und eine dicke Haut. Die Reaktion fällt meist dünnhäutiger aus, wenn die Kritik aus den eigenen Reihen kommt und Kollegen anderer Medien die eigene Arbeit einordnen. Prominente Fernsehleute erkennen hier selten konstruktive Kritik, sprechen sogar von ritualisierten Attacken, denen sie ausgesetzt seien.
 
Eine Studie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg mit über 1000 Teilnehmern offenbart tatsächlich Vorbehalte gegenüber live arbeitenden Kollegen. So werden diesen von anderen Sportjournalisten durchaus monetäre Gründe für ihre Arbeit und ein größerer Hang zur Selbstdarstellung unterstellt.

Auch bleibt bei den schreibenden Kollegen oft das Gefühl, dass die elektronischen Medien – auch weil sie teilweise für Rechte zahlen – beim Informationsfluss bevorteilt werden. Während Zeitungsleute gerne die fehlende Distanz der Fernseh-Kommunikatoren zum Untersuchungsgegenstand bemängeln, sehen die TV-Leute sich einer Neiddebatte ausgesetzt. Schließlich ist die Reichweite des Fernsehens ein erstrebenswertes Ziel für viele. Doch nicht jeder schafft den Sprung. Öffentliche Schadenfreude betäubt womöglich den eigenen Frust (Wiske-Foto: privat).
 
Der Pressekodex wird durch spezifische Vorgaben für den Sport ergänzt. Hier heißt es in Richtlinie 8: „Sportjournalisten pflegen trotz der Konkurrenz der Medienbereiche und Mediensysteme untereinander einen fairen Umgang und offene Kritik und verpflichten sich zur gegenseitigen Wertschätzung.“ Offene Kritik im respektvollen Rahmen ist also ausdrücklich erwünscht.
 
Gerade hier lohnt der Blick auf einen Dauerbrenner: Frauen in der Live-Berichterstattung, insbesondere beim Fußball, sind weiterhin vermehrt und oft genug sexistischen Anfeindungen ausgesetzt. Das prägt und sensibilisiert. Diese Sportjournalistinnen wünschen sich verständlicherweise mehr Respekt, Anerkennung und Gleichbehandlung – auch von Kollegen.
 
Dazu gehört es auch, dass man nicht mit Samthandschuhen angefasst wird, nur weil man eine Frau ist. Konstruktive Kritik an der journalistischen Leistung muss auch bei Sportjournalistinnen erlaubt sein.