Sparen um jeden Preis

Freelancer-Report

01.04.2022 Der freie Sportjournalismus ist in der Krise. Was heißt das für die Berichterstattung? Wie verändert sich die Presselandschaft? Und gibt es eigentlich noch etwas anderes als den Profifußball der Männer? Martin Krauß hat sich umgeschaut – und nicht viel Erfreuliches entdeckt.
 
Dieser Text ist quasi ein Blick in den Maschinenraum. Ein Sportressort wie das der Berliner taz, für die dieser Artikel in einer ersten Fassung geschrieben wurde, lebt von der Arbeit freier Journalistinnen und Journalisten. Aber wovon leben die? Sie bieten Themen und Texte an, die werden angenommen oder abgelehnt, andere Blätter nehmen diese Angebote vielleicht ebenfalls an oder lehnen sie auch ab. Ein einfaches Geschäftsmodell, das so einfach nicht mehr funktioniert.
 
„Der freie Sportjournalismus steckt in einer veritablen Krise, die sich seit Corona noch verstärkt hat“, sagt Frank Hellmann, Autor aus Frankfurt am Main für etliche Tageszeitungen. „Definitiv ist das eine Krise“, bestätigt Elisabeth Schlammerl aus München, 1. Vizepräsidentin des Verbandes Deutscher Sportjournalisten und ebenfals freie Sportjournalistin (Schlammerl-Foto: Ina Fassbender).

Die Krise, von der alle befragten freien Kollegen sprechen und die auch Interessenverbände wie der VDS, die Freelancer-Organisation Freischreiber oder die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union in ver.di (DJU) beklagen, könnten auch die Leser bemerken.
 
„Immer mehr Redaktionen setzen auf Instrumente wie Readerscan, schauen also ganz genau, was am meisten gelesen, am meisten geklickt wird“, beschreibt Tobias Schächter die Lage. „Herauskommt, dass Geschichten über Ronaldo im Blatt stehen müssen.“ Schächter war lange Zeit freier Sportjournalist, eine Weile hat er auch als Freelancer aus der Türkei berichtet, seit zwei Jahren ist er festangestellter Redakteur der Badischen Neuesten Nachrichten. Schlammerl sagt: „Ich habe mich auch gewundert, dass es so wenig Aufschrei gab, dass die Arbeitsbedingungen schlechter wurden.“
 
Sport, gleich ob er in Zeitung, Fernsehen, online oder Radio präsentiert wird, ist immer häufiger nur noch Formel 1 und Fußball, genauer: Profi-Männerfußball. „Aber sogar da gibt es noch eine Verengung“, sagt Schächter. „Nicht mehr die hintergründige Geschichte über einen Verein, über ein gescheitertes Talent oder ähnliches kommt, sondern die kurzfristigen Stargeschichten.“ Die Redaktionen glauben die zu finden, wenn etwa einer der Stars sich publicityträchtig auf Socia Media präsentiert.

Weitere Recherche, Gegenchecken, Einordnen – all das gelingt kaum noch
 
Auch VDS-Vizepräsidentin Schlammerl sieht, wie sehr Twitter und Instagram auf die Zeitungsarbeit einwirken. „Das führt bei Redaktionen dazu, zu sagen: Da muss kein freier Journalist mehr beauftragt werden, mit dem zu reden, das schreiben wir selbst.“ Oder man nimmt gleich das via Social Media gelieferte Zitat und strickt die Geschichte mit ein wenig Google-Einsatz drum herum.

„Bei vielen Vereinen gibt es seit Pandemie-Beginn keine Mixed Zone mehr“, berichtet Schlammerl aus ihrer sich verändernden Berufspraxis. Seit vielen Jahren begleitet sie Bayern München. „Man muss die Einschätzungen von Spielern und Trainern aus Sky oder von FC Bayern TV nehmen. Das sind ja Zitate dabei, die nur bedingt zu gebrauchen sind, und nachfragen kann man auch nicht mehr.“ Weitere Recherche, Gegenchecken, Einordnen – all das gelingt kaum noch.
 
„Für mich war immer wichtig, über Sport etwas von der Gesellschaft zu lernen, sie besser zu verstehen“, sagt BNN-Redakteur Schächter. „Solche Geschichten werden immer seltener gedruckt.“ Und Schlammerl betont einen weiteren Aspekt: die Kompetenz, die sich aus Kontakten und Erfahrung ergibt. „Früher war man als Sportjournalist vernetzt, man kannte die Leute in den Vereinen.“ An den aktuellen Bayern-Trainer Julian Nagelsmann kommt sie spätestens seit Corona kaum noch heran. „Es verdichtet sich der Eindruck, dass es einigen Vereinen ganz gelegen kommt, wenn Journalisten nicht mehr so nah bei ihnen arbeiten“, sagt Schlammerl (Schächter-Foto: privat).
 
Ein paar Sportarten gibt es weiterhin, die nachgefragt werden und wo die Expertise von Freelancern gefragt ist: Tennis, Radsport, Boxen oder Handball. Bei Schlammerl ist es der alpine Skisport. „Da werden noch aktuelle und hintergründige Berichte benötigt. Ich bin auch oft vor Ort, das ist für mich eine berufsethische Frage. Aber ich gelte bei vielen Redaktionen als Expertin, die auch dann schreibt, wenn sie mal nicht vor Ort war. Im Fußball ist das anders, da ist ja jeder Redakteur ein Experte.“
 
Dort, im Profifußball, wurden die Arbeitsbedingungen während der Corona-Krise etwa dergestalt schlechter, dass bei Spielen der Fußball-Bundesliga für eine Weile nur maximal 18 Journalisten auf die Pressetribüne durften. „Wer da keinen Auftrag einer großen Zeitung hat, kam in der Regel nicht rein“, sagt Freelancer Hellmann. Noch schlimmer war es in unteren Ligen. „Ich denke da vor allem an die Freien an der Basis, bei den unterklassigen Fußballvereinen, die sich für ihre Berichte im Amateurbereich die Hacken ablaufen.“

„Die Redaktionen bekommen gesagt: Wir müssen sparen“

Deren Einnahmequelle fiel ein Jahr lang weg. DJU-Geschäftsführerin Monique Hofmann bestätigt dies. „Von der Corona-Pandemie sind die freien Journalisten und Journalistinnen im Kultur- und im Sportbereich am stärksten betroffen.“ Weniger Veranstaltungen, weniger Aufträge. Und oft werden noch die Honorar-Budgets gekürzt. „Die Redaktionen bekommen gesagt: Wir müssen sparen“, sagt Schlammerl.

Häufig wurde mit den Sportressorts begonnen, Redaktionen zusammenzulegen. Texte werden in „Redaktionsnetzwerken“ und „Mediengruppen“ ausgetauscht, erscheinen dann in mehreren Zeitungen – und werden nur ein Mal honoriert. „Wenn du vorher regelmäßig für zehn Blätter geschrieben hast, von denen aber vier zusammengelegt wurden, hast du nur noch sieben Abnehmer“, erklärt Schächter die Situation. „Dieser eine größere hat vielleicht das Honorar erhöht, aber unter dem Strich kompensiert dir das ja nicht den Wegfall dreier Auftraggeber.“
 
Dagegenzuhalten ist schwierig. „Wir empfehlen unseren Mitgliedern, wachsam zu sein, die Rahmenbedingungen zu beachten und so einen Buy-out zu verhindern“, sagt Regine Marxen von Freischreiber. Dazu gehöre auch, dass zu niedrig honorierte Aufträge ruhig mal abgelehnt werden können. „Man sollte nicht alles zu jedem Preis machen“ (Marxen-Foto: Andrea Lang).
 
Hellmann betont, dass es im freien Sportjournalismus stark von der Eigenleistung abhängt. „Um das ökonomische Niveau zu halten“, so hat er beobachtet, „ist ein deutlich höherer Aufwand nötig als früher.“ Hellmann ist gerade dann erfolgreich, wenn große Turniere anstehen, im Männer- und Frauenfußball. „Das läuft immer noch“, sagt er und ergänzt: „Dann hört man bei der Vor-Ort-Berichterstattung auch mal ein Lob.“ Die schlechter werdende Kommunikation mit den Redaktionen, beklagen auch viele Freelancer. „Freie müssen aktiv nachfragen, um nicht aus der Infokette zu fallen“, sagt Marxen.
 
Nur wenige Sportressorts hätten die Corona-Krise genutzt, um sinnvoll über ihre bisherige Arbeit nachzudenken. Ein positives Beispiel nennt Hellmann. „Die Berliner Zeitung hatte Freie angeschrieben, sie sollten sich Gedanken etwa über größere Porträts machen.“ So schrieb er Geschichten aus dem Triathlon und Frauenfußball oder auch über sportpsychologische und -medizinische Themen. „Das war zwar Aufwand, aber: Wer kreativ gedacht hat, der konnte da etwas machen.“
 
Eine andere Form des Arrangements mit den schlechter gewordenen Verhältnissen hat DJU-Geschäftsführerin Hofmann beobachtet. „Ich kenne nur wenige freie Journalisten und Journalistinnen, die nicht noch ein zweites oder gar drittes Standbein aufgebaut haben.“ Die Zahl der Festangestellten in Redaktionen sinkt seit Jahren. Eine im März 2021 vorgestellte Studie der Ludwig-Maximilians-Universität München zeigt: Über 60 Prozent der hauptberuflichen Journalisten sind Freelancer. Von denen schätzt nur ein knappes Viertel ihre berufliche Situation als „sicher“ oder „eher sicher“ ein.

„Aber irgendwann tritt die Resignation ein“
 
„Es gibt Freiberufler aus Überzeugung, die auch in diesem Beruf bleiben wollen. Aber irgendwann tritt die Resignation ein“, sagt Hofmann. „Der Wechsel in die Festanstellung ist sehr schwer geworden, oft wird dann die Branche gewechselt.“ Schächter wurde nach 20 Jahren freiem Sportjournalismus als Redakteur eingestellt. „Ich hatte als Reporter immer geschrieben, jetzt bin ich Editor. Das ist ja fast ein Berufswechsel.“ Jungen Journalisten könne er nur noch zur Festanstellung raten, sagt er.
 
Das sehen die anderen Kollegen ähnlich. „So spannend der Beruf auch ist: Nur als Freie oder Freier anzufangen kann ich ruhigen Gewissens keinem jungen Kollegen empfehlen“, sagt Hellmann. Und auch die Option, eine Weile frei zu arbeiten und auf eine Festanstellung zu hoffen, funktioniere kaum noch: „Bis sich ein verlässliches Netzwerk aufgebaut hat, vergehen viele, viele Jahre.“ Das würde nicht mal mehr in Ballungsgebieten wie Hamburg, Berlin, Frankfurt, Köln oder München funktionieren.
 
Schlammerl rät, die Kollegen unter 50 Jahren sollten schauen, dass sie in eine Festanstellung kommen. „Die Unter-30-Jährigen können sich multimedial aufstellen, aber die etwas älteren sind meist nicht in all diesen Bereichen fit. Und Leute in meinem Alter hangeln sich durch“, sagt die 60-Jährige. Nachteil dieses eher traurigen Befundes: Nur wenige Kollegen und Kolleginnen, die den freien Beruf verlassen, bleiben im Sportjournalismus. Pressestellen, PR-Agenturen oder gleich ganz andere Berufsfelder sind die Optionen. Soweit der Bericht aus dem Maschinenraum, zurück in die Redaktionen und angeschlossenen Funkhäuser.
 
Martin Krauß arbeitet von Berlin aus als freier Sportjournalist. Er ist zudem Mitglied der erwähnten Organisationen DJU, Freischreiber und VDS. Hier geht es zu dessen Website.