Olympia hinter Gittern und Zäunen

Berichterstattung von Einschränkungen begleitet

21.02.2022 Beijing 2022 ist vorüber, der Großteil der internationalen Reporter*innen hat den Heimweg angetreten. Etliche begleitet ein Gefühl der Erleichterung. Trotz guter Arbeitsbedingungen in den Pressezentren und der aufopferungsvollen Unterstützung tausender Volunteers war die Berichterstattung oft mühevoll und von Einschränkungen geprägt.
Autor: Ute Maag
Regeln sind wichtig in China. Sie sind zu befolgen, auch wenn niemand sie versteht, geschweige denn erklären kann. „We have to follow the rules“, begründeten Sicherheitsleute, warum sie Reporter*innen in Zhangjiakou eine geschlagene Stunde an einer eiskalten Haltestelle auf den Bus zu ihrem Hotel warten ließen, das man in wenigen Minuten zu Fuß hätte erreichen können. Wenn man denn hätte zu Fuß gehen dürfen.

„Rules“ ist vermutlich das Wort, das die praktischen Übersetzungsmaschinchen der Volunteers und Servicekräfte an den 16 Olympiatagen am häufigsten ausspuckten. Regeln galten im Main Media Centre (MMC), in den Sportstätten, an Bahnhöfen und Haltestellen, in den Zügen, Bussen und Hotels von Peking, Yanqing und Zhangjiakou. Größer war der Aktionsradius der Berichterstatter*innen bei den Olympischen Winterspielen in Peking nicht: Er endete stets an mit Planen verhangenen Zäunen und zwei Meter hohen Absperrgittern. Den Blick hinüber ins reale China trübten nicht nur schmutzige Busfensterscheiben. Die „Closed Loop“ blieb dicht. Sogar für das Virus, das den Anlass geliefert hatte, die Menschen innerhalb und außerhalb der Blase voneinander fernzuhalten.
 
Der Schutz der chinesischen Bevölkerung vor der Omikron-Variante hat ganz offensichtlich funktioniert. IOC-Präsident Thomas Bach (Foto rechts: Sammy Minkoff/augenklick.de) sagte auf der zweiten seiner zwei Pressekonferenzen bei den Olympischen Winterspielen in Peking: „Die Botschaft an die Welt ist: Wenn jeder die Regeln respektiert und seinen Beitrag leistet, kann man sogar ein Ereignis wie Winterspiele während einer Pandemie veranstalten.“ Aber die Frage stellt sich schon: Zu welchem Preis? Und unter Einsatz welcher Mittel?
 
Kaum Freiberufler*innen vor Ort

Mehr als 1,8 Millionen PCR-Tests wurden zwischen dem 23. Januar und dem Tag der Schlussfeier innerhalb der „Closed Loop“ unter den „Stakeholdern“ durchgeführt – die Abstriche entnahmen unbezahlte chinesische Volunteers. Die insgesamt 437 positiv Getesteten (Stand: 20. Februar) wurden konsequent abgesondert. Gegen Ende der Spiele lag die Zahl der Neuinfektionen dann tatsächlich sehr nahe null.
 
Die rund 110 deutschen Print-, Online- und Fotojournalist*innen blieben glücklicherweise alle negativ. Der ARD-Kollege Claus Lufen, mehrfach negativ getestet in den Flieger gestiegen, musste hingegen in Quarantäne, ehe er zum Dienst antreten konnte. Die Sorge, in einem Hotel von möglicherweise zweifelhaftem Standard ohne Internetverbindung zu landen und nicht arbeiten zu können, hatte etliche Akkreditierte von der Anreise abgehalten.

Vor allem die Freiberufler*innen schreckte die Gefahr, am Ende auf den Kosten sitzen zu bleiben. Zumal speziell arrangierte Flüge ins abgeriegelte China erst ab 2500 Euro zu haben waren und damit das Doppelte oder gar Dreifache kosteten wie im vergangenen Sommer bei den Spielen in Tokio.

Wer als Berichterstatter*in zwischen den Clustern in Peking (Eissportarten), Zhangjiakou (Ski nordisch, Freestyle) und Yanqing (Ski Alpin, Bob- und Rodelwettbewerbe) pendelte, kämpfte mit unerwartet unzuverlässigen und umständlichen Busverbindungen (nachzulesen in unserer Halbzeitbilanz) und musste jederzeit damit rechnen, ein bis zwei Stunden bei Wind und Eiseskälte auf Anschluss zu warten – nach getaner Arbeit bei den abendlichen Rodel-Entscheidungen oder nach stundenlangem Stehen in der Biathlon-Mixed-Zone bei bis zu minus 25 Grad Celsius.
 
Großzügige Pressezenten, zufriedene Fotograf*innen

Die Arbeitsbedingungen in den großzügigen Pressezentren und in den Arbeitsräumen der Sportstätten waren hingegen gut bis sehr gut. Anfängliche Probleme mit den Zugängen zu den Mixed-Zonen behob das Media-Operations-Team des IOC schnell. Auch die Öffentlichkeitsarbeiter*innen des Deutschen Olympischen Sportbundes um die neue DOSB-Pressesprecherin Eva Werthmann waren auf Zack. Weil es kein Deutsches Haus gab, wurden die täglichen Pressekonferenzen mittels Microsoft Teams aus den Mannschaftshotels (und nicht aus dem Olympischen Dorf) gesendet. So konnten Verlage und Sender O-Töne verwenden, ohne sich im komplizierten Rechte-Dickicht des IOC zu verheddern.
 
Die wenigen deutschen Fotograf*innen fanden fast überall sehr gute Fotopositionen vor – lediglich an den Ski-Alpin-Hängen sorgten Sicherheitsbedenken der Organisatoren und ungünstige Streckenprofile für Einschränkungen. Auch High-Demand-Tickets für Eröffnungs- und Schlussfeier waren anders als bei früheren Olympischen Spielen diesmal ausreichend vorhanden.

Und weil nur wenige handverlesene Zuschauer*innen in die Hallen durften, wurden keine Tickets für Eishockeyspiele und Eiskunstlaufwettbewerbe benötigt. Selbst zu Kurzprogramm und Kür der Frauen, die nach der positiven Dopingprobe und dem folgenden Drama um die erst 15-jährige Russin Kamila Valieva (Foto rechts: firo/augenklick.de) besonders in den Fokus rückten, fand jede*r einen Platz im Capital Indoor Stadium.
 
Organisationstalent ja, Gastfreundschaft nein

Ihr Organisationstalent stellten die chinesischen Gastgeber in vieler Hinsicht unter Beweis. Wie schon bei den Sommerspielen von 2008 fanden die bei Olympia üblichen Sicherheitschecks und Taschenkontrollen in den Hotels statt. Das sparte Zeit und verhinderte, dass sich vor dem MMC lange Schlangen bildeten. Das Ein- und Ausreiseprozedere am Flughafen verlief ausgesprochen flüssig. Stundenlange Verzögerungen, wie es sie noch in Tokio bei den ersten Spielen in der Pandemie gegeben hatte, wurden vermieden.

Groß war die Fürsorge, den täglichen PCR-Test nicht zu vergessen. Wer um 21 Uhr noch nicht zum Rachenabstrich im Hotel angetreten war, erhielt einen Anruf, nur ja bis 23 Uhr zu erscheinen oder eine andere Teststation aufzusuchen – sonst werde am nächsten Morgen der Ausgang verweigert. Warum es jedoch nicht möglich war, auch in allen Hotelzimmern und Olympiabussen freies Internet zu gewährleisten, blieb das (vom IOC hingenommene) Geheimnis des chinesischen Organisationskomitees.
 
Wirklich gastfreundlich wirkte vieles nicht. Die Überwachung war allgegenwärtig: Kameras zoomten in jeden Winkel, Wachleute standen an jeder Ecke. Hotel- und Flughafenpersonal war komplett in Plastik gehüllt (Foto: firo/augenklick.de). Auch die meisten Volunteers trugen nicht nur ihre FFP2-Maske, sondern darüber noch ein Gesichtsschild. Ihr Lächeln konnte man oft nur erahnen, doch zum Glück unterstrichen sie es mit anderen Gesten: Daumen hoch, zwei Finger zum V oder mit beiden Handflächen kräftig wedeln.

Was strikt unterbunden bieb, waren Touren durch die Stadt und Begegnungen mit interessierten und zugewandten Einheimischen, die die Reporter*innen vor 14 Jahren so begeistert hatten. Während Tokio den Journalist*innen im vergangenen Sommer nach 15 Tagen in der „olympic bubble“ offenstand, blieb dieser Blickwinkel diesmal den internationalen Korrespondent*innen vorbehalten, die dauerhaft in China leben. Sie arbeiteten außerhalb der „Closed Loop“ – auch um eine weitere „rule“ zu umgehen, die von den chinesischen Behörden strikt durchgesetzt wird: drei Wochen Quarantäne für jeden in China lebenden Menschen, der die Olympia-Blase wieder verlässt. Die Regel gilt auch für die Volunteers.