Falsche Prioritäten

Editorial der 1. VDS-Vizepräsidentin Elisabeth Schlammerl

04.07.2022 Das Interview von Nils Kaben mit Toni Kroos war der große Aufreger zum Ende eines Fußballjahres. Der Versuch, dem Thema gerecht zu werden, ging gründlich schief, urteilt die 1. VDS-Vizepräsidentin Elisabeth Schlammerl in ihrem Editorial.
 
Dieses Ereignis Ende Mai ist eine Angelegenheit für die diversen Sport-Rückblicke im Dezember, das stand schon eine halbe Stunde nach Ende des Champions-League-Finales zwischen dem FC Liverpool und Real Madrid fest. Toni Kroos gelang in Paris Historisches, sein fünfter Königsklassen-Sieg ist Rekord für einen deutschen Fußballer.

Der Weltmeister von 2014 wird aber nicht wegen seiner beachtlichen Titelsammlung im Mittelpunkt stehen, wenn die TV- und Radio-Sender, Online-Portale und Zeitungen das Sportjahr Revue passieren lassen. Auch nicht wegen seiner fußballerischen Leistung an jenem Abend. Erst recht nicht wird es um das aufregende Spiel mit einem etwas überraschenden Sieger, die tollen Paraden des Real-Torhüters Thibaut Courtois oder Liverpools Trainer Jürgen Klopp gehen.

Und auch das Organisationschaos vor der Partie dürfte keine Rolle mehr spielen. Das alles ist hierzulande ja ziemlich schnell nach Übergabe des Henkelpotts an die Spanier in den Hintergrund gerückt. Geblieben sind von diesem Spiel zwei Minuten nach Abpfiff mit einem denkwürdigen Interview (Schlammerl-Foto: Edith Geuppert).

Es ließe sich zwar einiges sagen zum Verhalten von Kroos und zu dessen sehr eigener Deutung von Journalismus, auch etwas zur unglücklichen Gesprächsführung des ZDF-Kollegen Nils Kaben. Aber eben ein einziges Mal und nicht – wie geschehen – tagelang. Viel peinlicher als das Interview war nämlich die anschließende Diskussion, die obendrein in den Sportressorts und viel zu selten dort geführt wurde, wo sie eigentlich hingehört hätte: in den Medienteilen.

Es wurden Experten bemüht, den Rechtfertigungen der beiden Protagonisten viel Platz eingeräumt – und Argumente für die Reaktionen des einen und die Richtigkeit der Fragen des anderen gesucht. Selbst im Nachbarland Österreich fühlte sich eine als seriös geltende Tageszeitung berufen, die Einschätzung von ORF-Sportchef Hans-Peter Trost abzudrucken.

Diskussion über Sinn und Unsinn der Field-Interviews wäre nachhaltiger

Wir Journalistinnen und Journalisten ließen uns treiben, auch von den zahlreichen Kommentaren in den Sozialen Netzwerken, wo nicht überraschend mehrheitlich sehr unreflektiert das Verhalten von Kroos goutiert und die Gelegenheit zur Medienschelte genutzt wurde. Das Interview bekam eine Bedeutung, die es gar nicht verdient.

Eine sehr viel nachhaltigere Diskussion wäre die über Sinn und Unsinn, über Nutzen und Qualität der Field-Interviews im Allgemeinen gewesen. Dieses Thema kam in den meisten Medien aber zu kurz – oder wurde erst gar nicht aufgegriffen. Vielleicht beim nächsten Mal, wenn wieder mal ein Interview mit einem Fußballer nicht glattläuft.

Herzliche Grüße, Elisabeth Schlammerl (1. VDS-Vizepräsidentin)