Chance oder Bedrohung?

KI im Sportjournalismus

05.04.2023

Künstliche Intelligenz ist im Alltag des Journalismus angekommen. Der wachsenden Bedeutung der Digitalisierung können sich auch Sportredaktionen nicht entziehen.

Autor: Gregor Derichs

KI im Sportjournalismus – wozu das denn? Nun, im günstigsten Fall kann Künstliche Intelligenz die Arbeit erleichtern und sie effektiver machen. Die Herausforderung, den Roboterjournalismus kontrollierend im Zaum zu halten, wird aber stetig größer. Dass die Otto Brenner Stiftung der IG Metall in ihrer Untersuchung „Arbeitsdruck – Anpassung – Ausstieg“ festgestellt hat, dass Medienschaffende die Transformationen in ihrem Berufsfeld als zusätzlichen Stress wahrnehmen und viele sogar deswegen die Branche wechseln wollen, dürfte auch daran liegen, dass immer mehr automatisierte Prozesse beherrscht werden müssen.

Interessante Einblicke in das Thema vermittelt eine Bachelor-Arbeit, die Linus Maier an der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Otto-Friedrich-Universität Bamberg vorlegte. Ihr Titel: „Potenziale und Herausforderungen des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz im Sportjournalismus“. Das Werk dokumentiert die – obwohl als junges Forschungsfeld bezeichnet – schon recht umfangreiche wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den automatisierten Verfahren im Journalismus und identifiziert die Bereiche, in denen die KI schon Einzug gehalten hat (Foto: Otto Brenner Stiftung).

Sie wird in assistierende, generative und distribuierende Technologien unterteilt. Das bedeutet: KI gibt Hilfestellung, schafft eigene Produkte oder verteilt diese. Der generative Bereich des Roboterjournalismus wächst, wahrscheinlich weitgehend unbemerkt vom Publikum, aber auch von vielen Medienschaffenden. Die Schreibautomaten fluten das Internet mit Texten in einem Ausmaß, das sicherlich unterschätzt wird. So schuf ein Bot, gemeint ist ein Computerprogramm, namens Heliograf für die Washington Post und Amazon schon 2016 bei Olympia in Rio de Janeiro in elf Tagen 816 automatische Info-Tweets nach einem festen Tagesschema. Jeder Tweet war selten länger als ein Satz und verwies unter anderem auf anstehende Medaillen-Entscheidungen.

Für die Winterspiele 2018 in Pyeongchang wurde der Bot so programmiert, dass er zwei Sätze und eine Grafik präsentieren konnte. Während in den USA die sogenannten automated insights in den Profisportarten Basketball, Baseball und Fußball genutzt werden und in der unteren Minor League Baseball sogar schon lange Standard und so umfassend sind, dass „man ansonsten zur Erfassung der Spiele bis zu 100 Journalisten bräuchte“ (Zitat aus Linus Maiers Bachelor-Arbeit), ist der Fußball in Deutschland der einzige Sport, über den automatisiert berichtet wird. Das Amateurfußballportal des DFB fussball.de fabriziert jedes Wochenende 75.000 neue Texte. Die Software des Münchner Unternehmens Retresco generiert aber auch für Medien wie Die Welt normierte Sportbeiträge.

„Ziel ist, zu einer immer natürlicheren menschlichen Sprache zu gelangen“

Die Grundlage für alle KI-Texte sind Daten, die Firmen wie Opta oder Deltatre erheben. Die meisten Liveticker werden inzwischen von einem Automaten erstellt. Dass sich Fußball gut für vorgefertigte Formate eignet, bewies auch die WM 2018, als 37.581 Nachrichten der Firma Magic AI im Netz 120 Millionen Aufrufe hatten. „Das Ziel ist es, von reiner Textbausteinmechanik zu einer immer natürlicheren menschlichen Sprache zu gelangen. In Zukunft sollen generative Techniken so weit gehen, dass sogar Highlights durch KI erstellt werden können, was durch Spracherkennungsmethoden von Kommentatoren- und Zuschauergeräuschen möglich ist“, urteilt Linus Maier in seiner Bachelor-Arbeit.

Beim eSports-Game FIFA sind solche automatisierten Kommentatoren selbstverständlich geworden. Außerhalb des Sports sind generative Techniken bei Wetterberichten und in der Wirtschaft relevant, da Texte zu Börsendaten und Geschäftsberichte gut zu normieren sind. Associated Press (AP) steigerte so den Ausstoß von Geschäftsberichten von 300 auf 3700 pro Quartal. Es erscheint logisch, dass der Stress in Redaktionen parallel zur rasant wachsenden Produktion ansteigen kann – selbst dann, wenn nicht mehr jede Meldung „per Hand“ angefertigt wird (Foto Jubelnder eSportler: GES-Sportfoto/Marvin Ibo Güngör/augenklick).

Sinnvoll unterstützen kann KI nicht nur bei der Themenrecherche im Netz, sondern auch bei der Bewältigung der Informationsflut. Digitalisierte Inhalte zu sammeln, zu analysieren und zu interpretieren kann die Recherche in den Datenbergen entscheidend erleichtern. Die „Panama Papers“ oder auch die „Football Leaks“ investigativ auszuwerten, wäre ohne EDV-Einsatz sehr schwergefallen. Richtig wertvoll wird KI bei der Vermeidung von Fake News, wenn eine spezialisierte Software die Quellen prüft. Und sie kommt mit Tools wie „Story-Radar“ oder dem „Reuters Tracer“ zur Anwendung, um Nachrichtentrends zu erkennen. Dabei werden Soziale Medien nach Themen durchforstet, die intensiv debattiert werden.

Ein beträchtliches Potenzial steckt noch in den distribuierenden KI-Technologien, die fähig sind, vom Menschen geschriebene oder computergenerierte Texte in verschiedene Formate zu gießen und diese auf möglichst viele unterschiedliche Plattformen zu stellen. Für die Verlage erhöhen sich damit die Vermarktungschancen. Apropos Verlage: Für sie bedeutet die Ausweitung von KI, speziell der Automatisierung der Texterstellung, eine effiziente, kostengünstige Quantitätssteigerung.

„Ein Roboterjournalist empfindet weder Müdigkeit noch Voreingenommenheit“, erklärt Linus Maier in seiner Bachelor-Arbeit. Mehr Gehalt fordern, wegen Arbeitsüberlastung klagen oder sogar krank wegen der Verdichtung aller Prozesse wird er auch nicht. Positiv wäre es, wenn Verlage in der KI die mögliche Entlastung der Redaktionen erkennen, so dass diese sich mehr auf ihre originären Tätigkeiten fokussieren könnten. Und wenn sie nicht vergessen, dass spezifisches Fachwissen, auch im Sport, kaum automatisierbar ist.

Über das Dauerbrenner-Thema „KI und die Sportmedien“ hat der sportjournalist bereits mehrfach berichtet. Hier gelangen Sie zu einem Interview mit dem Schwerpunkt Roboterjournalismus (2015), hier zu einem fussball.de-Report (2019) und hier zu einem Selbstversuch mit der App ChatGPT. Unser Autor Gregor Derichs ist seit 2001 freier Sportjournalist. 2015 gründete der frühere SID-Mann zusammen mit Dirk Graalmann eine Kommunikationsagentur. Hier geht es zur Website des Unternehmens.