Wir müssen auch künftig nach Katar blicken

Editorial des Investigativjournalisten Ronny Blaschke

26.10.2022 WM-Gastgeber Katar ist sehr umstritten. Gerade deshalb sei es wichtig, sich nicht von den Machthabern instrumentalisieren zu lassen und kritisch zu berichten, regt der freie Investigativjournalist Ronny Blaschke in seinem Editorial an.
 
Katar braucht aus finanziellen Gründen keine Fußball-WM, wir haben es hier mit einem der reichsten Staaten der Erde zu tun. Katar will den Fußball politisch nutzen. Wir müssen uns bewusst sein, dass eine unkritische Sportberichterstattung dem katarischen Anliegen hilft. Je mehr wir schwärmerisch über Tore und Titel berichten, desto weniger Zeit haben wir für die Thematisierung von Menschenrechtsverletzungen.

Das Ganze ist jedoch komplex. Katar ist einer der größten Auslandsinvestoren in Deutschland, mit Anteilen an Volkswagen, der Deutschen Bank oder Hapag-Lloyd. Auf der anderen Seite haben deutsche Konzerne an der Infrastruktur in Katar mitgebaut: Siemens, die Deutsche Bahn, auch SAP. Wir wissen spätestens seit dem Besuch von Wirtschaftsminister Robert Habeck in Doha, dass Deutschland bald katarisches Flüssiggas beziehen wird. Das demokratische Deutschland unterhält einige Abhängigkeiten zu Katar. Und die Berichterstattung rund um die WM sollte darauf eingehen.

Ich beobachte seit 2006 alle großen Sportereignisse. Meistens wurden vor Fußball-Weltmeisterschaften kritische Dokumentationen gesendet, häufig von Investigativjournalisten oder politischen Redaktionen. Doch mit Beginn der WM lief dann die Unterhaltungsmaschine wieder an. Emotionen, Superzeitlupen, Smalltalk am Spielfeldrand. Und dann wurde der Graben wieder deutlich. Es gab zwar eine wachsende Zahl politisch denkender Sportjournalisten, aber in ihren Redaktionen galten sie mitunter als Nörgler. Das sollte sich diesmal verbieten (Blaschke-Foto: Sebastian Wells).

Die öffentlich-rechtlichen Anstalten ARD und ZDF zahlen wohl mehr als 200 Millionen Euro, um Bilder aus den Stadien in Katar senden zu dürfen. Auch Zeitungen und Onlineportale hoffen auf höhere Auflagen und Klickzahlen. ARD und ZDF haben seit der WM-Vergabe nach Katar im Jahr 2010 immer wieder kritische Dokus gesendet. Private Sender oder Medien wie Sky, MagentaTV oder meinsportpodcast.de zogen mit aufwändigen Rechercheformaten nach.

Fußballsprache ein bisschen von der Glorifizierung befreien

Aber auch die Live-Berichterstattung sollte in Katar eine andere Stufe erreichen. Früher war es ja so: Wenn TV-Kommentatoren während eines Spiels auf politische Themen eingingen, auf gewalttätige Fans oder extremistische Banner, dann haben sie auch viel kritische Post erhalten. Denn viele Zuschauer wollen beim Fußball nicht von Politik behelligt werden. Aber das wird in der Berichterstattung aus Katar nicht mehr anders gehen. Dort sind mutmaßlich Tausende Menschen für den Stadionbau ums Leben gekommen. Vielleicht trägt diese WM auch dazu bei, dass wir die Fußballsprache ein bisschen von der Glorifizierung befreien.

In einigen Rundfunkanstalten vernetzen sich Sportreporter mit ihren Kollegen aus Wirtschaft und Politik. Bei den Regionalzeitungen gibt es ebenfalls einen Wissensaustausch. Und auch international arbeiten kritische Sportjournalisten zusammen, zum Beispiel im Netzwerk Play the Game. So etwas war vor zehn Jahren noch kaum denkbar. Vielleicht sorgt diese Berichterstattung dafür, dass Katar weitere Reformen zulässt, zum Beispiel im Arbeitsrecht. Es könnte aber auch sein, dass sich die Hardliner durchsetzen und eingeleitete Reformen nach der WM zurücknehmen. Deshalb ist es umso wichtiger, auch dann noch nach Katar zu blicken, wenn der Ball dort nicht mehr rollt.

Ronny Blaschke arbeitet als freier Journalist und Autor von Berlin aus. Dabei interessieren ihn die „gesellschaftlichen Hintergründe des Sports“. Hier gelangen Sie zu Blaschkes Website.