Pressefreiheit auf Abwegen

Repressionsregime Katar

12.10.2022 Am 20. November beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft. Kritik an den Zuständen im Wüstenstaat Katar ist vor Ort kaum möglich. Medienschaffende werden in ihrer Arbeit stark eingeschränkt. Ronny Blaschke gibt einen Überblick.
 
Stoßstangenobservation. Mit diesem Begriff musste sich Benjamin Best im Dezember 2021 in Katar vertraut machen. Zum wiederholten Mal recherchierte der WDR-Journalist am Persischen Golf zu menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen der Gastarbeitenden. Sobald Best und seine Kollegen in Doha das Hotel verließen, wurden sie von zwei Fahrzeugen verfolgt. „Bis in den Abend hinein hatten wir ständige Begleitung. Man wollte uns das Gefühl vermitteln, dass wir unter Beobachtung stehen“, sagt Best. „Bei einigen Kollegen unseres Kamerateams habe ich gemerkt, dass diese Einschüchterung funktioniert hat.“

Am 20. November beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar, das wohl umstrittenste Sportereignis der Geschichte. Die katarische Erbmonarchie will das Turnier als politische und ökonomische Plattform nutzen. Im Zeitalter erneuerbarer Energien muss sich Katar langfristig von seinen Gas-Exporten unabhängig machen und neue Wirtschaftszweige erschließen. Doha wirbt mit der glitzernden Fußballfassade um Investitionen, Touristen und Fachkräfte. Wer hinter diese Fassade blicken möchte, muss mit Konsequenzen rechnen (Best-Foto: WDR/Mette Photography).

Benjamin Best gehört zu der überschaubaren Zahl kritischer Journalist*innen, die schon früh hinter die Fassade geblickt haben. 2019 reiste er ohne Akkreditierung nach Katar und recherchierte verdeckt in Arbeiterunterkünften. Seine Berichte von verweigerten Lohnzahlungen und seine Bilder von engen, dreckigen Unterkünften wurden von etlichen Medien aufgegriffen. Best baute ein Netzwerk von Informanten auf. Immer wieder schickten ihm Gastarbeitende Videos aus Katar und berichteten von Lohnraub und Übergriffen der Vorgesetzten.

Katar möchte keine Kontroversen nach außen dringen lassen, die dem Regime als Schwäche ausgelegt werden können. Das Emirat duldet keine freien Wahlen. Gewerkschaftliche Strukturen unterliegen strengen Kontrollen. Homosexuelle müssen mit Verfolgung rechnen. In der diesjährigen Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen belegt Katar von 180 bewerteten Staaten Platz 119.

Etliche Verhaftungen und Festsetzungen von Medienschaffenenden

In den vergangenen Jahren wurden in Doha mehrfach Journalisten verhaftet, weil sie bei ihren Recherchen angeblich katarische Gesetzte missachteten. Zuletzt wurden im November 2021 der norwegische Reporter Halvor Ekeland und der Kameramann Lokman Ghorbani mehr als 30 Stunden festgehalten. Ekeland berichtete im norwegischen Fernsehen, dass ihre Ausrüstung beschlagnahmt wurde. Und dass sie sich eine Zelle mit zwölf anderen Personen teilen mussten: „Der Raum war winzig. Wenn man sich hinlegte, stieß man gegen eine Wand oder gegen den Kopf eines anderen.“

Katar und seine Nachbarn auf der Arabischen Halbinsel gehören zu jenen Staaten, in denen unabhängiger Journalismus fast unmöglich ist. Das Pressegesetz von 1979 ermöglicht eine Vorzensur von Publikationen. Das Gesetz gegen Cyberkriminalität von 2014 stellt die Verbreitung von „Fake News“ unter Strafe. „Die Gesetze sind oft so vage formuliert, dass die Regierung sie zu ihren Gunsten auslegen kann“, sagt Justin Shilad vom Committee to Protect Journalists (Shilad-Foto: privat).

Zu spüren bekam das der kenianische Blogger Malcolm Bidali. Er hatte in Katar als Sicherheitskraft gearbeitet und sich mit sechs Personen eine enge Unterkunft teilen müssen. Mehrere Monate berichtete er unter falschem Namen im Internet über Ausbeutung und Diskriminierung. Bidali wurde im Mai 2021 festgenommen und über mehrere Tage verhört. Später sagte er, dass er ein vorformuliertes Geständnis auf Arabisch unterschreiben musste. Ein Anwalt sei ihm verweigert worden. Nach fast einem Monat in Isolationshaft wurde Bidali freigelassen. Zuvor musste er, wie er sagt, eine Vereinbarung zur Geheimhaltung unterzeichnen (Shilad-Foto: privat).

Fälle wie jene von Malcolm Bidali erschweren die Arbeit der Medienschaffenden in Katar, erläutert Shilad. Zum einen fühlen sich Behörden noch mehr moviert, um die neueste Ausspähsoftware gegen Kritiker zu verankern. „Und außerdem ist in diesem Klima der Angst die Selbstzensur unter heimischen Journalisten weit verbreitet“, sagt Shilad. „Auch Informanten ziehen sich zurück und wollen kaum noch mit Klarnamen zitiert werden.“

Der katarische Staat möchte mit Repression die Deutungshoheit behalten, in diesem Zusammenhang zeigen sich Parallelen zu anderen autoritären Regimen wie Russland, China oder Ägypten. Doch darüber hinaus setzt Katar wie kaum ein anderer Staat auf „soft power“, auf milliardenschwere Investitionen in Technik, Kultur, Sport und Medien.

Katar will mit positiver Konnotation international im Gespräch bleiben

Prominente Beispiele: die Fluglinie Qatar Airways, das Museum für Islamische Kunst in Doha, der Fußballklub Paris Saint-Germain oder der Nachrichtensender Al Jazeera. Vier Institutionen, die Katar mit positiver Konnotation international im Gespräch halten sollen. Al Jazeera gilt als journalistisches Vorzeigemodell in der arabischen Welt, doch mit Kritik am katarischen Regime hält sich der Sender zurück.

Die Herrscherfamilie hat früh eingesehen, dass sie Kritik aus dem Westen nicht verhindern, aber mit eigenen Netzwerken medial abmildern kann. Doha ist seit Jahrzehnten für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich, gründete aber 2002 ein „Nationales Komitee für Menschenrechte“.

Katar verzeichnet pro Kopf den höchsten Kohlendioxid-Ausstoß der Welt, veranstaltete aber 2012 in Doha die UN-Klimakonferenz. Das Regime unterbindet Streiks und verbietet größere Demonstrationen, trat aber 2018 dem „Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte“ der Vereinten Nationen bei (Foto PSG-Spieler: sampics /Stefan Matzke/augenklick).

In Katar ist Kritik am Herrscherhaus oder am Islam nicht möglich. Doch in den vergangenen Monaten erschienen hin und wieder Artikel über Missstände in Unternehmen und über Korruption in der Verwaltung. Das Onlineportal Doha News griff die Recherchen des WDR-Reporters Best über menschenunwürdige Arbeitsbedingungen auf und berichtete vorigen Winter (hier im Dezember, hier im Januar und hier im Februar; die Red.).

Es kann sein, dass sich Katar kurz vor der diesjährigen Fußball-Weltmeisterschaft als liberaler präsentieren möchte, als es eigentlich ist. Doch es gab schon andere Zeiten, zum Beispiel 2016. Damals wurde Doha News vorübergehend von der Regierung blockiert.

Ronny Blaschke arbeitet als freier Journalist und Autor von Berlin aus. Dabei interessieren ihn die „gesellschaftlichen Hintergründe des Sports“. Hier gelangen Sie zu Blaschkes Website.