Ein Preis als Spiegel

Das „Goldene Band“ des VDS

29.09.2022

Das „Goldene Band“, das der VDS verleiht, würdigt heute soziales Engagement im Sport. Erfunden wurde es 1926, als deutsche Athleten global Schlagzeilen schrieben. Zugleich erzählt die traditionsreichste Ehrung hierzulande von den ideologischen Konflikten im Sport von Weimarer Republik und NS-Zeit.

Autor: Erik Eggers

Der Lauf in die Sportgeschichte provozierte Superlative. Das Berliner Tagblatt jubelte in seiner Ausgabe vom 12. September 1926 über den „bedeutendsten 1500m-Lauf, den es bisher auf der Welt gegeben hat“. Und prophezeite, dass angesichts dessen, was da tags zuvor auf dem Platz des SC Charlottenburg vor jubelnden 30.000 Zuschauern geschehen war, die „Sportsleute der ganzen Welt“ staunen würden.

Viel Prominenz saß damals am letzten Wochenende der 3. Großen Berliner Funkausstellung unter dem Funkturm: der Dichter Bert Brecht, der Dadaist George Grosz, die bildende Künstlerin Renée Sintenis. Sie alle schauten auf den „Wundermenschen“ (Berliner Tagblatt). Gemeint war Paavo Nurmi, Olympiasieger und Weltrekordhalter. Der Mann, der angeblich nur einen Gegner hatte: die Stoppuhr (Foto Schwimmer Ernst Vierkötter auf der Titelseite der Fußball-Ausgabe vom 6. September 1927: Archiv Eggers).

Der Finne führte tatsächlich lange. Aber dann flog der Schwede Edvin Wide an ihm vorbei – und in seinem Windschatten auch ein Deutscher: Otto Peltzer, der eben erst den Weltrekord über 800 Meter aufgestellt hatte. Als Peltzer auch Wide etwa 40 Meter vor dem Ziel passierte und in neuer Weltrekordzeit (3:51,0 Minuten) siegte, brüllten die Fans ekstatisch und stimmten stehend das „Deutschlandlied“ an. Peltzers Rekord beweise, „dass der deutsche Sport marschiert“, hieß es im Berliner Tagblatt – ein rhetorischer Reflex auf den Ausschluss des deutschen Sports nach dem „Großen Krieg“.

Zugleich war der Lauf die Geburtsstunde für das „Goldene Band“, der heute traditionsreichsten Auszeichnung im deutschen Sport. Nur so ist die Meldung zu interpretieren, die am 12. Oktober 1926 in der Wiener Sport-Stunde erschien: „Unter dem Eindruck der hervorragenden Leistungen, die gerade in diesem Jahre von deutschen Sportsleuten vollbracht wurden und die in der ganzen Welt Aufsehen erregt haben, hat sich der Verein Deutsche Sportpresse veranlasst gesehen, eine Auszeichnung zu schaffen, die den verdienstvollen Pionieren des Sports zufallen soll.“

Das „Goldene Band“ werde, hieß es weiter, sowohl an Professionals wie auch an Amateure verliehen, und zwar per VDS-Vorstandsbeschluss. Die Übergabe des Preises werde am 2. November 1926 in der Arena des Deutschen Sportpalastes erfolgen, beim jährlichen Fest der Deutschen Sportpresse.

Neben dem logischen Preisträger Peltzer einigten sich die Juroren auf zwei weitere Männer. Neben dem Berliner Jockey Otto Schmidt, der in diesem Jahr 100 Siege verzeichnet hatte, wurde der Schwimmer Ernst Vierkötter geehrt. Der Kölner hatte am 30. August 1926 ebenfalls weltweit Schlagzeilen geschrieben, als er den Ärmelkanal in Rekordzeit durchmaß. Kurz zuvor hatten ihn 150.000 Menschen beim Schwimmfest „Quer durch Berlin“ gefeiert (Foto: VDS).

Die Ehrung kam nicht überall gut an. Sowohl der Reichsausschuss für Leibesübungen als Dachverband des bürgerlichen Sports wie auch der Deutsche Schwimmverband hatten kundgetan, „übermäßigen Ehrungen für Sportgrößen“ nicht zu wollen. Funktionäre wie DSV-Präsident Max Geisow betrachteten sie als „großen Schaden der ruhigen und steten Entwicklung des deutschen Sports“.

Noch schlimmer fand Geisow aber, dass mit Peltzer und Vierkötter „zwei Amateure in eine Reihe mit dem Berufsreiter treten und zur selben Stunde durch denselben Akt vor aller Welt geehrt werden“. Schwimmer wie Leichtathleten pochten auf das Amateurstatut, das allein den Zugang zu Olympischen Spielen und für die Verbände und Vereine zudem steuerliche Vorteile sicherte.

Die Nominierung des Jockeys kritisierte auch die Presse, freilich aus anderen Gründen. Während Peltzer wie Vierkötter den „Orden“ wegen ihrer Großtaten auf internationalem Niveau zweifellos zu Recht die Preise bekommen hätten, sei Schmidt allenfalls bester deutscher Jockey, nörgelte das Berliner Tagblatt (Schon 1926 war der erfolgreiche Schwimmer Ernst Vierkötter am 27. Juli auf der Titelseite der Fußball-Ausgabe zu sehen: Archiv Eggers).

Der „Verband der Deutschen Sportpresse“, der sich am 21. April 1927 erstmals deutschlandweit organisierte, hielt dennoch an seinem Konzept fest. Er verlieh bis 1932 stets zwei bis vier herausragenden Sportlerinnen und Athleten die Auszeichnung; die erste Frau war 1928 die Fecht-Olympiasiegerin Helene Mayer. Im Jahr 1933 aber stoppten die Nationalsozialisten die Preisverleihung. Sie lehnten den „professionellen Schausport“ sowie das internationalistische und liberalistische Prinzip des Sports kategorisch ab.

Der Sport habe im Berufssport seine „kulturelle Note“ verloren, hatte Hans Bollmann schon 1926 gewütet. Internationale Sportfeste seien vielmehr, „um mit Oswald Spengler zu reden, Verfallformen einer zu Grunde gehenden Kultur, Veranstaltungen geschäftstüchtiger Unternehmer, die dem Volk die unentbehrlich gewordenen circenses bieten“. Als der neue Reichssportführer im Frühjahr 1933 Bollmann zum „Führer der Deutschen Sportpresse“ ernannte, wurde der Preis eingestampft.

Womöglich trugen dazu aber auch die jüngsten Preisträger bei. Der Rad-Sprinter Albert Richter, Preisträger 1932, arbeitete mit einem jüdischen Manager und hielt an diesem fest. Der jüdische Tennisstar Daniel Prenn, ausgezeichnet 1932, emigrierte im April der folgenden Jahres gen England. Vierkötter war nach Kanada ausgewandert, um dort als Profi sein Geld zu verdienen. Und auch Otto Peltzer, der mit seinem Weltrekord mutmaßlich die Idee für das „Goldene Band“ schuf, wurde bekanntlich von den Nazis verfolgt.

Erik Eggers, Jahrgang 1968, ist ein freiberuflicher Autor. Der Historiker gehört der Vereinigung Schleswig-Holsteinischer Sportjournalisten an. In seinem Verlag Eriks Buchregal bringt er eigene Werke und die anderer Autoren heraus.