Back2Bolzen-Initiatorin Susanne Franke

„Viele Gründe, warum die WM die rote Karte verdient hat“

21.09.2022

Mit der Initiative Back2Bolzen fordert Dr. Susanne Franke zum Boykott der WM in Katar auf – und wünscht sich ein kreatives Gegenprogramm, das aufzeigt, wie Fußball auch sein kann. Über ihre Beweggründe spricht sie mit sportjournalist-Autor Christoph Ruf und erzählt vom ersten Vernetzungstreffen Gleichgesinnter unter dem Motto „Nicht unsere WM“.

 

Dr. Susanne Franke gehört dem Vorstand der „Schalker Fan-Initiative“ an. Sie engagiert sich intensiv für die Belange von Fußball-Anhängern. Die Weltmeisterschaft in Katar ist höchst umstritten. Diese findet vom 20. November bis 18. Dezember statt – im Sommer ist es in dem sehr wohlhabenden Land, dass despotisch regiert wird, zu heiß.

sportjournalist: Frau Franke, es gibt viele Gründe, die gegen diese WM ins Feld geführt werden. Welche waren für Sie entscheidend?

Dr. Susanne Franke: Genau das! Dass es so viele Gründe gibt, warum dieses Turnier die rote Karte verdient hat. Angefangen bei der perfektionierten Korruption rund um die Turnier-Vergabe über die Tatsache, dass es sich um eine geopolitische statt um eine sportliche Vergabe handelt. Es geht ja bei diesem Turnier um alles mögliche, im Mittelpunkt steht nicht der Fußball. Und dann natürlich die Frage der Menschenrechte: im Sinne von Arbeitsrechten, Frauenrechten, den Rechten der LGBTIQ-Community. Das Ganze ist für mich ein Business-to-Business-Produkt und nix für Fans.

sj: Also eine reine Geschäftsbeziehung zwischen zwei Wirtschaftsakteuren?

Franke: Genau, da wurde auf der Business-Ebene ein Produkt geschaffen, das wir nicht mehr wollen. Und diesem B2B setzen wir unser B2B entgegen. Bei uns ist B2B die Abkürzung für „Back2Bolzen“ als Kontrapunkt zu Business-to-Business. Darauf haben sich die Initiativen, die beim Kongress Ende Mai in Frankfurt dabei waren, schnell geeinigt. Genau wie auf den Slogan „Nicht unsere WM“.

sj: Schwule und Lesben dürften sich in Katar nicht frei fühlen, aber auch heterosexuellen Paaren drohen theoretisch bis zu sieben Jahren Haft, wenn sie ohne Ehering am Finger Händchen haltend durch Doha flanieren (Franke-Foto: privat).

Franke: Wenn man sich die drei Paragraphen anschaut, die Sexualität unter Strafe betreffen, dann kommen in zweien ja nicht mal Frauen vor. Da rege ich mich als heterosexuelle Frau genauso auf wie als Freundin der Queer-Szene. Diese Gesetze sind genauso sexistisch wie homophob.

sj: Aber glauben Sie wirklich, dass sich die Gastgeber die Blöße geben werden, Menschen einzusperren, weil sie sich küssen?

Franke: Nein, davon gehe ich nicht aus, ganz einfach weil das den Show- und Propaganda-Effekt kaputtmachen würde, der dieses Turnier für Katar so wichtig macht. Man wird aber dafür sorgen wollen, dass keine Regenbogenflaggen gezeigt werden, um gar nicht erst hässliche Bilder zu produzieren. Aber selbst wenn es da jetzt ein paar Wochen lang etwas ziviler zugeht: Möchte man in ein solches Land? Ich nicht.

sj: Kommen wir zur Lage auf den Baustellen in Katar. Die Recherche des Guardian geht sogar defensiv von 6500 Arbeitern aus, die dort seit Vergabe der WM 2010 ihr Leben gelassen haben.

Franke: Wenn wir Arbeitsrechte als Menschenrechte sehen, müssen wir die Lage auf den Baustellen thematisieren, da geht es ja, wie die neueste Amnesty-Studie gezeigt hat, nicht nur um die Bauarbeiter, sondern auch um die Sicherheitskräfte (Amnesty nennt die Zahl von insgesamt mehr als 15.000 Toten nicht-katarischer Staatsangehörigkeit in Katar von 2010 bis 2019; die Red.). Allerdings sehen wir bei der WM in Katar deutlich, wie global die wirtschaftlichen Verflechtungen, Kooperationen und Geldbewegungen sind. Wer sich für die Umsetzung internationaler Standards im Arbeitsrecht einsetzt, tut dies mit Blick auf Näherinnen und Näher in Asien oder Äthiopien ebenso wie mit Blick auf die Arbeiterinnen und Arbeiter auf den WM-Baustellen – das ist der Zusammenhang. Da ist Deutschland in der Verantwortung, auch im Hinblick auf 2024. Wir müssen weiterarbeiten, wenn dieses fürchterliche Turnier in Katar vorbei ist, das steht fest.

sj: Das Bündnis, das sich Ende in Frankfurt am Main zusammengefunden hat, ist sehr heterogen. Und noch etwas fällt auf: Während sonst oft die Ultraszenen gesellschaftspolitische Debatten anstoßen, fehlt die fast vollständig (Abbildung: Gesellschaftsspiele e.V.).

Franke: Das war das Tolle, dass so viele unterschiedliche Gruppen zusammengefunden haben und auch deshalb so viele unterschiedliche Themen angesprochen wurden. Da war die queere Community, die Menschenrechtsszene, christliche Organisationen oder Gewerkschaften. Und wenn die Ultras da gefehlt haben, liegt das sicher nicht daran, dass sie das Turnier toll finden, sondern, dass die meisten von ihnen eh mit EM, WM und deutscher Nationalmannschaft nichts am Hut haben. Und so sehr ich die Utraszenen schätze, ihre Wucht, ihre Kreativität und ihre Choreos – sie haben ja nicht die alleinige Deutungshoheit im Fußball. Ich würde deshalb den Erfolg unserer Kampagne auch nicht davon abhängig machen, wie viele Ultragruppen mitmachen.

sj: Sondern?

Franke: Sondern davon, wie viele andere Akteure mitmachen, von der Breite des Bündnisses, das gerade entsteht. Es ist doch cool, wenn ein rheinländischer Programmkino-Betreiber zu einem Kongress nach Frankfurt kommt und dort auf Menschenrechtler, Verlagsleute und Fan-Initiativen stößt. Ich fand ja auch die Initiative von „Pro Fans“ sehr charmant, die den DFB auffordert, eine Befragung unter allen seinen Mitgliedern zu starten, um zu ergründen, ob der DFB eine Mannschaft nach Katar schicken soll.

sj: Ist Ihre Idealvorstellung, dass das Turnier in Katar von möglichst vielen Fußballfans ganz einfach ignoriert wird?

Franke: Genau, aber eben nicht nur das. Wir wollen, dass gleichzeitig ganz, ganz viele Fans zeigen, wie Fußball eben auch sein kann, wenn er nicht von korrupten Funktionären organisiert wird. Es wäre doch großartig, wenn von Emden bis Passau und von Rostock bis Freiburg dutzende Hallenkicks, Kneipenquizze und Kickerturniere stattfinden, während in Katar ein vermeintliches Spitzenspiel läuft, das kaum ein Fußballfan anschaut. Und wenn das in dieser Größe nicht klappt, freuen wir uns noch immer über jede einzelne Aktion. Das ist auch der Anspruch von „Back2Bolzen“. Wir versuchen eine Dachmarke zu sein für alle Aktivitäten, die während der WM stattfinden, getragen von all den Leuten, die keine Lust haben, da stumpf auf der Couch zu sitzen.

Mit Dr. Susanne Franke sprach Christoph Ruf. Er arbeitet als Freelancer von Karlsruhe aus. Hier geht es zu Rufs Website.