Interview mit Markus Kaiser über Künstliche Intelligenz

"Am Kern des Journalismus darf man nicht sparen"

07.01.2025

Der Professor an der TH Nürnberg gibt Workshops für den journalistischen Umgang mit der KI. Christoph Ruf sprach mit ihm über die Chancen für die Branche.

 

Markus Kaiser ist Professor für Praktischen Journalismus an der TH Nürnberg. Der Journalist und Kommunikationswissenschaftler ist Experte für Change Management und Social Media und gibt Workshops für den journalistischen Umgang mit der KI. Im Interview spricht er über Herausforderungen und Möglichkeiten im Umgang mit der neuen Technologie.

sportjournalist: Herr Kaiser, in welchen Bereichen wird in unserer Branche schon KI eingesetzt?

Markus Kaiser: In der gesamten journalistischen Wertschöpfungskette: bei der Recherche, der Suche nach Protagonisten oder bei der Textproduktion – beispielsweise durch das Transkribieren von Tonaufnahmen oder indem die KI später aus einem Text ein Video macht. Die KI kann die klassische 1:0-Spielberichterstattung übernehmen, zumindest im Fußball. Im Handball ist das schwieriger, weil es viel mehr Haupt-Ereignisse gibt, die die Technik noch nicht perfekt gewichten kann.

sj: "Noch nicht", sagen Sie.

Kaiser: In spätestens einem Jahr sollte das klappen. Was die KI aber jetzt schon kann, ist, aus einem Text, beispielsweise einem Streitgespräch, einen Podcast zu generieren. Das sind dann auch potenzielle neue Geschäftsmodelle.

sj: Und was macht künftig der Sportredakteur, der früher vom Fußballspiel berichtet hat?

Kaiser: Anstatt den Spielbericht vom Landesligaspiel zu schreiben, kann er die Geschichte des Spiels recherchieren. Der Redakteur wird also wieder mehr zum Reporter.

sj: Auch weil die KI schon ganz ordentlich redigieren kann?

Kaiser: Mehr aber auch nicht. Es gibt Buttons mit dem Auftrag, einen Text um 20 oder 40 Prozent zu kürzen. Die Kunst wäre aber, redigierend zu kürzen, also nicht einfach pro Absatz 20 Prozent zu entfernen oder von hinten weg zu kürzen. Bei einer Reportage ist das fatal, wenn das Ende fehlt. In einem Jahr ist die Technik weiter.

sj: Wenn Sie Recht haben, dürften sich viele Kolleginnen und Kollegen jetzt fragen, ob sie nicht ersetzbar werden.

Kaiser: Dass der Mensch ganz ersetzt wird, ist definitiv nicht zu befürchten. Das Vier-Augen-Prinzip bleibt unerlässlich. Zudem sind manche TV- und Radiomoderatoren ja selbst schon Marken. Es ist völlig undenkbar, dass je ein Länderspiel von der KI moderiert wird. Grundsätzlich ist es eine tolle Sache, dass einem die KI Werkzeuge liefert, um wieder Zeit für die eigentlichen journalistischen Tätigkeiten zu haben. (Kaiser-Foto: privat)

sj: Das wäre wünschenswert, aber ist das auch ein realistisches Szenario?

Kaiser: Es ist zumindest unerlässlich, um den Berufsstand unverzichtbar zu machen, nur so kann ein Journalist als solcher erkennbar sein. Der nackte Content wird zwangsläufig wachsen durch die KI. Es käme jetzt darauf an, auf diesen Wust durch Hintergründe, Analysen, Reportagen und anderes aufzusetzen. Genau das erwarten die Menschen, die ja Geld für ein Abo bezahlen sollen. 

sj: Was Sie fordern, wäre ein Paradigmenwechsel in einer Branche, in der viele den Sparzwang internalisiert haben.

Kaiser: Wichtig ist, dass sich jede Redaktion als erstes überlegt, in welchen Bereichen sie die KI einsetzen und was sie mit den freien Ressourcen anfangen will, um die Qualität zu verbessern. Wo kann die KI langweilige Tätigkeiten übernehmen, wo kann man durch sie neue Geschäftsmodelle entwickeln? Das Storytelling, die Recherche, der Mensch, der Themen ausgräbt, das ist und bleibt Aufgabe des Journalisten. Und der sollte sich künftig auf die klassischen journalistischen Arbeitsfelder konzentrieren.

sj: Ist das nicht blauäugig? Warum sollten die Verlage der Versuchung widerstehen, die durch KI entlasteten Kollegen zu entlassen?

Kaiser: Es gibt leider Verleger, die so denken. Davor kann ich nur warnen. Denn mit diesem Denken schafft sich ein Verlag selbst ab. Alles, was man mit KI generiert, kann auch ein nicht-journalistischer Verlag, warum sollte irgendjemand Geld für ein journalistisches Produkt ausgeben, das keines mehr ist? Am Kern des Journalismus darf man nicht sparen.

sj: Ihr Wort in des Verlegers Ohr.

Kaiser: Ich habe den Eindruck, dass ein Bewusstseinswandel stattfindet. Ich mache mich als lokales Medienhaus ja auch überflüssig, wenn ich nur über Überregionales berichte. Bei Lokalderbys in den unteren Ligen kommen oft 300 bis 500 Zuschauer, die Protagonisten interessieren die Leute. Ein weites Feld für Journalisten.

sj: Wie ist denn die Stimmung in Ihren Workshops? Werden Sie da als Verkünder neuer Chancen gesehen oder eher als Hiobsbote?

Kaiser: Viele Ihrer Kollegen fiebern regelrecht darauf hin, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Aber klar, es gibt Bedenken, auch auf Verlegerseite, die sich sorgt, welche Kosten da auf sie zukommen. Und natürlich fragen sich viele, ob sie jetzt durch die KI ersetzt werden. Das muss man ernstnehmen. Ich frage daher immer gleich am Anfang, was in einer Redaktion nicht rundläuft und was sie gerne verändern würde. Im Idealfall entwickelt man dann im Workshop eine Guideline, eine Art Redaktionsstatut für den Umgang mit der KI. Es geht darum zu vermitteln, dass künftig Dinge möglich sind, die vorher personell nicht drin waren.

sj: Welche Gefahren drohen?

Kaiser: Die Diskussion um Deep Fake wird zu Recht geführt. Es ist problemlos möglich, gefälschte Inhalte zu verbreiten, indem ich beispielsweise zwei Menschen zusammenbringe, die sich noch nie gesehen haben. So entsteht ein vermeintliches Bild vom Vereinspräsidenten, der sich mit einem Trainerkandidaten an der Tankstelle trifft, oder ein Video, in dem der Trainer die eigenen Fans beschimpft. Politisch gefährlich ist das in Zeiten, in denen viele Menschen nicht mehr die seriösen Medien nutzen und wahr nicht mehr von unwahr unterscheiden können. Umso wichtiger ist es, sich mit der KI zu befassen, die Technik zu verstehen – und damit die Chancen und Risiken, die sie birgt.

Der VDS unterstützt die Pariser Charta zu KI und Journalismus, mehr Informationen dazu finden Sie hier.