Über die Zukunft des Lokalsportjournalismus

"Der Lokalsport kann als Scharnier wirken"

02.07.2025

Prof. Dr. Andrea Kloß im Interview mit Maik Rosner über ihre Studie zum Lokalsportjournalismus, die Folgen der Medienkrise und die Frage, welche Schlussfolgerungen sich aus dem Nutzungsverhalten der Gen Z und der digitalen Disruption ableiten lassen.

 

Andrea Kloß (42) ist Professorin für Journalismus und Medienmanagement an der Hochschule Macromedia in Leipzig. Die Studie "Wenn Lokaljournalismus verschwindet: Folgen der Medienkrise und die Rolle des Sportjournalismus" hat sie gemeinsam mit den Studierenden Moritz Hammann und Emilia Hofmann durchgeführt. Zur Erläuterung: Die nachfolgende mehrfach erwähnte sogenannte "Gen(eration) Z" umfasst junge Menschen, die zwischen 1995 und 2010 geboren sind.

sportjournalist: Frau Kloß, wie sind Sie bei Ihrer Studie zu den Veränderungen im Lokalsportjournalismus vorgegangen?

Andrea Kloß: Zunächst haben wir den Forschungsstand in der Literatur gesichtet. Dadurch haben wir erkannt, dass eine qualitative Analyse mit der Gen Z zum Nutzungsverhalten von Lokalsportmedien besonders spannend ist, weil diese Zielgruppe wegzubrechen droht. Wir haben 15 Gen-Z-Interviews durchgeführt und ein Experteninterview mit einem Sportressortleiter einer Lokalzeitung. Klar ist, dass unsere Ergebnisse nur ein Anfang sein können, um unsere Thesen von einer größeren Datenbasis stützen zu lassen.

sj: Welche zentralen Erkenntnisse haben Sie gewonnen?

Kloß: Spannend ist, dass die Gen Z Medien gerne personalisiert nutzt, digital, via Social Media. Dieses typische Nutzungsverhalten zeigt die Gen Z auch im Lokalsport. Wenig überraschend gibt es bei ihr aber kaum Bereitschaft, für digitale Angebote zu zahlen. Auch, weil zunehmend neue und kostenfreie Akteure auf dem Lokalsportmarkt hinzukommen, wie Vereine oder Fan-Blogs, die in Konkurrenz stehen zu den professionellen Lokalmedien. 

sj: Sie kommen zu dem Schluss, dass das nicht nur für eine strukturelle Krise im Lokalsportjournalismus sorgt, sondern auch für einen tiefgreifenden Rollenwandel. Inwiefern?

Kloß: Es geht nicht mehr um das Ergebnis, sondern die Lokalsportredaktion muss sich überlegen, was sie als besonderen Inhalt anbieten kann. Es braucht einen neuen Fokus, mehr Hintergründe, weniger 1:0-Berichterstattung und zudem neue Formate. (Foto Kloß: Macromedia)

sj: Führt die digitale Disruption nicht aber ohnehin dazu, dass professionelle Medien zunehmend verdrängt werden und ihre RezipientInnen an TikTok, Instagram und unprofessionelle Quellen verlieren?

Kloß: Das ist in der Tat so und auch aus medienökonomischer Sicht tragisch. Über die Plattformen werden zwar viele Informationen genutzt, aber monetär kommt nichts an bei der Lokalzeitung. Das verschärft die Situation. Eine Folge davon sind mehr und mehr Nachrichtenwüsten. 

sj: Sie sprechen von den großen weißen Flecken in der Bundesrepublik, wo gar keine Lokalzeitungen mehr erscheinen. Kann man diese Lücken wenigstens teilweise mit professionellen digitalen Lokalsportangeboten füllen oder bleibt es oft bei den Brachen?

Kloß: Das ist die große Herausforderung. Derzeit ist die Tendenz, dass die Brachen bleiben. Dem entgegenzuwirken, wäre auch deshalb wichtig, weil die Lokalmedien eine immense Bedeutung für den demokratischen Diskurs haben. Da kann der Lokalsport als Scharnier wirken, weil er viel Aufmerksamkeit erfährt. Es fehlt aktuell allerdings an Lösungen, wenngleich es Denkansätze gibt.

sj: Welche?

Kloß: Es gibt zum Beispiel Studien zu der Frage, welche Rolle die KI im besten Sinne spielen könnte, um neue Ressourcen freizumachen und auch den Wüsten zu begegnen. Noch aber stehen die Herausforderungen den Chancen von KI zu sehr gegenüber, allein schon juristisch oder bei der Zuverlässigkeit. Aber es gibt bereits hilfreiche Tools, die erweitert und verfeinert werden müssen.

sj: Sie haben in Ihrer Studie drei praktische Implikationen für den Umgang mit den Veränderungen im Lokalsportjournalismus zusammengetragen. Wie groß sind die Fortschritte bei der ersten Implikation, der Entwicklung neuer Finanzierungsmodelle?

Kloß: Da gibt es bisher nur ein paar individuelle Leuchtturmprojekte, die man aber nicht flächendeckend anwenden kann. Denkansätze sind zudem öffentliche Förderungen oder eine Abgabe wie beim Rundfunkbeitrag, um eine Grundsicherung für den Lokaljournalismus zu schaffen. Die Gen Z hat sich jedoch leider daran gewöhnt, für die Nachrichtennutzung nichts zu zahlen. Es gibt also noch keinen Ausweg aus der Krise.

sj: Haben Sie bei Ihren 15 Interviews ein Bewusstsein bei der Gen Z für den Wert professioneller Medien festgestellt oder überwiegt die Annahme, dass man doch alles über TikTok bekommt, was man wissen muss?

Kloß: Das ist ambivalent. Auf der einen Seite werden von der Gen Z Soziale Medien gerne als Nachrichtenmedien genutzt, auf der anderen Seite gibt es dabei ein Misstrauen den Inhalten gegenüber. Diese Skepsis gibt es aber ebenso gegenüber journalistischen Inhalten auf Social Media. Fake News werden allen Quellen zugetraut. Dennoch wurde ein allgemeines Vertrauen in die Nachrichtenmedien geäußert. Zugleich gibt es eine Nachrichtenmüdigkeit, auch wegen des latenten Misstrauens und vieler negativer Nachrichten.

sj: Die zweite Implikation – innovative, zielgruppenorientierte Formate – soll eine interaktivere und authentischere Berichterstattung ermöglichen. Was ist damit konkret gemeint?

Kloß: Das ist ein Vorschlag, wohin es gehen könnte. Die Gen Z ist Interaktion gewohnt, also kommentieren, liken, Inhalte teilen, aber auch mitgestalten. Zu dem Vorschlag gehören zudem interaktive Storytellingformate. Auch im Lokaljournalismus gibt es da erste Pilotprojekte, bei denen die NutzerInnen eingebunden und Inhalte liefern können.

sj: Wie sieht das genau aus?

Kloß: Die Idee sind virtuelle Räume, in denen sich JournalistInnen und NutzerInnen treffen und austauschen können. Zum Beispiel zu einem Lokalsportevent, zu dem NutzerInnen ihre Erlebnisse mitteilen und damit zur Berichterstattung beitragen können. In Leipzig hatten wir vor einem Monat das Turnfest. Da gab es neben den Wettbewerben auch viele Geschichten drum herum. So etwas bietet sich für interaktive, zielgruppenorientierte journalistische Formate an. 

sj: Wird die dritte Implikation, die Stärkung der journalistischen Rolle, nicht durch die vielen Sparmaßnahmen in der Branche immer mehr erschwert und sogar konterkariert?

Kloß: Das ist tatsächlich ein Spannungsverhältnis und Widerspruch. Genau deshalb braucht es mehr Unterstützung, um den Herausforderungen der digitalen Disruption zu begegnen. Gerade auch, wenn wir nachdenken über KI als Hilfe. Dafür müssten wir zunächst Ressourcen freimachen, um mit diesem Tool und seinen ethischen Herausforderungen umgehen zu können.   

sj: Sie kommen zu dem Fazit, dass sich die Krise des Lokaljournalismus besonders deutlich im Ressort Sport manifestiert. Warum?

Kloß: Dort wird die Vielzahl an neuen Akteuren von Vereinen bis Fans besonders deutlich, die parallel zu den professionellen Lokalmedien über den örtlichen Sport berichten. Das bedeutet umso mehr, dass NutzerInnen abwandern und ein Umdenken in den Lokalsportredaktionen erforderlich ist. Zudem zieht der Sport viel Interesse auf sich. Die professionellen Lokalmedien können aber meist nur die großen Sportarten wie Fußball abdecken, um genug Interesse zu wecken. Für viele Randsportarten fehlen zudem oft die Ressourcen. Hier tun sich Lücken für eigene Medienangebote von Vereinen und Fans auf. Auch dadurch gehen den Lokalzeitungen NutzerInnen verloren.

sj: Welche realistische Perspektive sehen Sie für den Lokalsportjournalismus?

Kloß: Wenn es gelingt, dynamisch und innovativ zu agieren, könnte man der Krise begegnen.