Interview mit Tamara Keller

"Der Stempel der 'Teilzeitmutti' verschwindet nicht"

05.11.2025

Die Journalistin ist Co-Autorin des Reports "Störfaktor Kind". Im Gespräch mit Katrin Freiburghaus berichtet sie über die Ergebnisse.

 

Die Journalistinnen Tamara Keller und Corinna Cerruti haben sich der Frage gewidmet, welche Faktoren Eltern dazu bewegen, den Journalismus zu verlassen. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie im Greenhouse Report "Störfaktor Kind" (hier als PDF abrufbar), der vom Netzwerk Recherche herausgegeben und von der Schöpflin Stiftung gefördert wird. Ein Gespräch über systematische Diskriminierung, Positivbeispiele und den Verlust wichtiger Perspektiven.

 

sportjournalist: "Störfaktor" ist ein hartes Wort...

Tamara Keller: Es ist, was den befragten Eltern in unserem Report gespiegelt wurde. Sie beschreiben aus ihrem beruflichen Umfeld Reaktionen, die signalisierten: "Ihr seid jetzt anders und das stört irgendwie." Aus unserem Kolleg*innenkreis hatten Personen Kinder bekommen und den Journalismus daraufhin zeitnah verlassen – deshalb haben wir diesen Fokus gewählt. Allerdings haben wir bewusst sowohl nach positiven als auch negativen Erfahrungen gefragt.

sj: Was überwog?

Keller: Die Negativschilderungen, was sicher auch damit zu tun hat, dass eigene Negativerfahrungen stärker für strukturelle Probleme sensibilisieren. Aber die wenigen positiven Beispiele zu Möglichkeiten wie verlängertem Volontariat oder Job-Sharing in verantwortlichen Positionen zeigen: Es ist kein Gesetz, dass Journalismus und Elternschaft nicht vereinbar sind. Trotzdem erschwert sie den Job in vielen Fällen so sehr, dass Leute aussteigen, obwohl sie diesen Beruf sehr bewusst gewählt hatten. (Keller-Foto: Tobias Hausdorf)

sj: Was sagt es über die Lebensnähe einer Branche aus, wenn sie Kinder als störend empfindet?

Keller: Das ist die große Frage. Es spielt eine wesentliche Rolle, wie bestehende Strukturen gewachsen sind und wer dadurch in entscheidenden Positionen sitzt. Ein Faktor ist, ob diese Personen Kinder haben oder nicht. Ein weiterer, nach welchem Modell sie das Zusammenleben gestalten. Eine Erkenntnis des Reports ist, dass Personen in Chefpositionen oft nach dem Modell leben, dass sich die Frau zu Hause um die Kinder kümmert und dadurch ihre berufliche Rolle ermöglicht. Deshalb ist häufig kein Mitdenken für andere Modelle vorhanden.

sj: Dieses Modell funktioniert für Familien ja aber oft schon aus ökonomischen Gründen nicht mehr.

Keller: Umso spannender, dass sich an den Bedingungen bislang trotzdem wenig ändert. Das ist eine grundsätzliche Beobachtung im Journalismus: Unser Job ist es, strukturelle Missstände aufzudecken und zu benennen, aber in der Selbstkritik findet das manchmal nicht statt. In vielen Wirtschaftsbereichen sind die Modelle nicht nur in Bezug auf Arbeitszeiten wesentlich flexibler. Das ungeschriebene Gesetz, permanent Präsenz zeigen und 24/7 verfügbar sein zu müssen, kritisieren übrigens auch viele Kinderlose.

sj: Fehlende berufliche Perspektiven oder hohe Belastung sind ebenfalls nicht nur für Eltern problematisch. Gab es Punkte, die speziell Eltern betreffen?

Keller: Fehlende Wertschätzung. Ich fand es verstörend, dass sich im Report immer wieder zeigte, dass der Stempel der "Teilzeitmutti" nicht verschwindet und diese Form der Diskriminierung auch Väter trifft. Den Beruf zu verlassen, war bei vielen Befragten der Frustration geschuldet, dagegen anargumentieren zu müssen. Hinzu kommt eine oft schlechte oder unsichere Bezahlung – mit Kindern steigen die Kosten und das Bedürfnis nach Sicherheit.

sj: Was bedeutet es für den Journalismus, wenn ihn bestimmten Gruppen aus strukturellen Gründen verlassen?

Keller: Dass auch ihre Perspektiven verloren gehen. Für mehr Diversität braucht es zunächst mehr Diversität in Führungspositionen. Im Journalismus sind in der Mehrheit Männer in Entscheidungspositionen. Darauf beschränkt sich die mangelnde Diversität aber nicht. Migration, finanzieller Background, Personen mit Behinderung – wir sind von Diversität weit entfernt. Das führt dazu, dass Redaktionen viele Missstände nicht auffallen. Das wiederum hat zur Folge, dass sich auch Teile der Zielgruppe nicht wahrgenommen fühlen.

 

Tamara Keller ist freie Journalistin und Investigativreporterin. Sie recherchiert zu Ungleichheit, Diskriminierung und Machtmissbrauch. Zudem entwickelt sie journalistische Formate und leitet Seminare. Hier geht es zu ihrem Linkedin-Profil und hier auf ihre Internetseite.

Katrin Freiburghaus arbeitet von München aus als Journalistin und Künstlerin. Hier geht es zu ihrem Instagram-Profil.